Arme, ein Rabe krächzt ihm das Todtenlied nach. Auch dies Bild ist wie fast alle des
Meisters mystisch, schauerlich und trübe."
Dresden muß hier irrtümlich für Berlin angenommen sein. Ein Sah in der „Vossischen
Zeitung" vom 8. Dezember 1814, den der Fürst offenbar gekannt hat, gibt den Sinn des
Bildes in mehr unverhüllter Form: „Einem französischen Chasseur, der einsam durch den
beschneiten Tannenwald geht, singt ein auf einem alten Stamm sitzender Rabe sein
Sterbelied."
Die überwältigenden Eindrücke von den Weltereignissen der letzten Wochen haben diese
Idee in Friedrichs Einbildungskraft erzeugt. Vor vierzehn Tagen hatte Napoleon, von nur
wenigen Getreuen gefolgt, in Dresden Halt gemacht, indes seine Hunderttausende hinter ihm
bis auf wenige Zehntausend zusammengeschmolzen waren; zerstreute, flüchtige Scharen, halb-
erfrorene, ausgehungerte Gestalten, gleich einem Maskenzug des Todes, ein Gegenstand des
Mitleids und des Hohns der Volksphantasie:'
„Trommeln ohne Trommelstock,
Kürassier im Weiberrock,
So hat Gott sie geschlagen,
Mit Roß und Mann und Wagen."
Des frommen Friedrich Gedanke in diesem Bilde ist boshaft, trifft hinterrücks wie eins
von Kleists gehässigsten Epigrammen, voll Schadenfreude und Grimm wie sein „Kriegslied
der Deutschen".
Auch Friedrich sieht in dem unstäten Flüchtling nichts anderes als eines der Raubtiere,
die aus seinem Vaterland ausgerottet werden mußten mitsamt ihrer ganzen Brut — wie
Kleist singt:
„Nur der Franzmann zeigt sich noch
In dem deutschen Reiche,
Brüder, nehmt die Keule doch,
Daß er gleichfalls weiche."
Friedrichs „Nebelkrähe" bot wahrlich genügend starken Stoff zu einem Bruch zwischen
Goethes jungem Schützling und dessen Lehrer, falls ihre politischen Ansichten auseinander-
gingen. Goethe selbst glaubte ja damals noch an den Glückstern Napoleons und warnte
davor ihm zu trotzen.
Die „literarische" Staffage in dem Bilde ist von Interesse durch den Einblick, den sie
uns in Friedrichs seelisches Empfinden gewährt, wie auch als Beitrag der Malerei zur Zeit-
stimmung. Künstlerisch erhöht sie natürlich weder den Wert des Bildes, noch schmälert sie
ihn. Sein Kunstwert wird von dem echten und tiefen Naturgefühl getragen, das es zu einem
der eigentümlichsten und schönsten Werke des Künstlers aus diesen frühen Jahren macht.
Eine Skizze zu einem Nachruf für Friedrich von seinem treuen Freund und Bewunderer
Johann Claussen Dahl enthält einige Zeilen in bezug auf Friedrichs Kunst gerade aus diesen
- Treilschke I, S. 397-
3
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Meisters mystisch, schauerlich und trübe."
Dresden muß hier irrtümlich für Berlin angenommen sein. Ein Sah in der „Vossischen
Zeitung" vom 8. Dezember 1814, den der Fürst offenbar gekannt hat, gibt den Sinn des
Bildes in mehr unverhüllter Form: „Einem französischen Chasseur, der einsam durch den
beschneiten Tannenwald geht, singt ein auf einem alten Stamm sitzender Rabe sein
Sterbelied."
Die überwältigenden Eindrücke von den Weltereignissen der letzten Wochen haben diese
Idee in Friedrichs Einbildungskraft erzeugt. Vor vierzehn Tagen hatte Napoleon, von nur
wenigen Getreuen gefolgt, in Dresden Halt gemacht, indes seine Hunderttausende hinter ihm
bis auf wenige Zehntausend zusammengeschmolzen waren; zerstreute, flüchtige Scharen, halb-
erfrorene, ausgehungerte Gestalten, gleich einem Maskenzug des Todes, ein Gegenstand des
Mitleids und des Hohns der Volksphantasie:'
„Trommeln ohne Trommelstock,
Kürassier im Weiberrock,
So hat Gott sie geschlagen,
Mit Roß und Mann und Wagen."
Des frommen Friedrich Gedanke in diesem Bilde ist boshaft, trifft hinterrücks wie eins
von Kleists gehässigsten Epigrammen, voll Schadenfreude und Grimm wie sein „Kriegslied
der Deutschen".
Auch Friedrich sieht in dem unstäten Flüchtling nichts anderes als eines der Raubtiere,
die aus seinem Vaterland ausgerottet werden mußten mitsamt ihrer ganzen Brut — wie
Kleist singt:
„Nur der Franzmann zeigt sich noch
In dem deutschen Reiche,
Brüder, nehmt die Keule doch,
Daß er gleichfalls weiche."
Friedrichs „Nebelkrähe" bot wahrlich genügend starken Stoff zu einem Bruch zwischen
Goethes jungem Schützling und dessen Lehrer, falls ihre politischen Ansichten auseinander-
gingen. Goethe selbst glaubte ja damals noch an den Glückstern Napoleons und warnte
davor ihm zu trotzen.
Die „literarische" Staffage in dem Bilde ist von Interesse durch den Einblick, den sie
uns in Friedrichs seelisches Empfinden gewährt, wie auch als Beitrag der Malerei zur Zeit-
stimmung. Künstlerisch erhöht sie natürlich weder den Wert des Bildes, noch schmälert sie
ihn. Sein Kunstwert wird von dem echten und tiefen Naturgefühl getragen, das es zu einem
der eigentümlichsten und schönsten Werke des Künstlers aus diesen frühen Jahren macht.
Eine Skizze zu einem Nachruf für Friedrich von seinem treuen Freund und Bewunderer
Johann Claussen Dahl enthält einige Zeilen in bezug auf Friedrichs Kunst gerade aus diesen
- Treilschke I, S. 397-
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