Jahr i8io ist in der Geschichte der deutschen Romantik ein Merkjahr für die
I Malkunst/ wie es in der deutschen Literatur in der Mitte liegt zwischen dem Jahre
1808, in dem Arnim und Brentano des „Knaben Wunderhorn" abschlossen, und i8ir,
in dem Jakob und Wilhelm Grimm die ersten „Kinder- und Hausmärchen" Herausgaben:
Gegen Ausgang des Jahres 1810 treffen Friedrichs Ruhm und Runges Nachruf in Heinrich
von Kleists „Berliner Abendblättern" zusammen.
Die Konstellation aus dem historischen Zeitpunkt und den Namen ist bedeutsam. Auf der
einen Seite die Maler Friedrich und Runge, auf der andern die Dichter Arnim, Brentano und
Kleist, auch die Brüder Grimm müssen hier genannt werden. Mitten in der tiefsten Er-
niedrigung sammelte der Staat des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen im Stillen
Kräfte und stärkte sich schon jetzt für die künftige Führerstellung, während gleichzeitig der Sieges-
rausch den Übermut des Unterdrückers erhöhte und ihn zu immer folgenschwereren, verhängnis-
volleren Schritten trieb. Was Runge im Verkehr mit wachsamen Freunden, wie Friedrich
Perthes, bereits im Jahre 1805, wenige Tage vor Napoleons Sieg bei Austerlitz, aus Ham-
burg an einen seiner Brüder schrieb, vollzog sich in den Gemütern und der Volksstimmung
von Jahr zu Jahr und wurde durch Steins und Scharnhorsts Reformwerk im Innern in
lebendige Kraft umgesetzt:
„-Es ist ein trauriger und jammervoller Zustand in der Welt und muß so ein
jeder fühlen. Und gegen das alles kann man nichts weiter tun als tapfer aushalten und in
sich wider alle Zweifel kämpfen ... Es wird mit jedem Schritt, den die Franzosen tun, un-
möglicher, daß sie ganz siegen können, da die Stimmung jedes einzelnen immer bestimmter sich
dawider richtet. Dadurch, daß sie siegen, zwingen sie die Verbündeten, immer einen höheren
und gründlicheren Standpunkt gegen sie zu ergreifen. Die Untreue können die Franzosen nicht
verstecken, und je mehr sie Künste gebrauchen, desto erfahrener machen sie ihre Gegner, um
sich vorzusehen, und soviel böser die Franzosen werden, um so viel besser wird die Sache der
Verbündeten und was sie verfechten. Es ist ein Großes und Herrliches, das wir erfahren,
und Gott erhalte uns, daß wir das Ende -""
Wir werden an eine Äußerung von Perthes erinnert, die wir in einem Brief" an
Johannes Müller vom Ls. August i8os lesen: „Muß das Herz uns nicht deshalb schon
groß werden, daß wir gerade in der schlimmsten Zeit leben?"
Runge sollte das Ende nicht erleben. Er starb am r. Dezember 1810 in Hamburg,
acht Tage bevor die alte Hansastadt dem französischen Kaiserreich einverleibt wurde und auf-
hörte eine freie Stadt zu sein. Sein ganzes kampfreiches Künstlerleben hatte im finstersten
Schatten der Wintersonnenwende gelegen.
Das verstümmelte Land östlich der Elbe von kaum zovo Quadratmeilen mit nicht ganz
fünf Millionen Seelen, das noch Königreich Preußen genannt wurde, lag völlig unter der Hand
Napoleons, niedergedrückt durch die Demütigungen und Verluste des Tilsiter Friedens. Das
Volk aber atmete doch schon freier, nachdem die französischen Truppenmassen das Land
r PH. Otto Runge, Hinter!. Schriften II, Zoo.
- Fr. Perthes' Leben I, ,66.
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I Malkunst/ wie es in der deutschen Literatur in der Mitte liegt zwischen dem Jahre
1808, in dem Arnim und Brentano des „Knaben Wunderhorn" abschlossen, und i8ir,
in dem Jakob und Wilhelm Grimm die ersten „Kinder- und Hausmärchen" Herausgaben:
Gegen Ausgang des Jahres 1810 treffen Friedrichs Ruhm und Runges Nachruf in Heinrich
von Kleists „Berliner Abendblättern" zusammen.
Die Konstellation aus dem historischen Zeitpunkt und den Namen ist bedeutsam. Auf der
einen Seite die Maler Friedrich und Runge, auf der andern die Dichter Arnim, Brentano und
Kleist, auch die Brüder Grimm müssen hier genannt werden. Mitten in der tiefsten Er-
niedrigung sammelte der Staat des Großen Kurfürsten und Friedrich des Großen im Stillen
Kräfte und stärkte sich schon jetzt für die künftige Führerstellung, während gleichzeitig der Sieges-
rausch den Übermut des Unterdrückers erhöhte und ihn zu immer folgenschwereren, verhängnis-
volleren Schritten trieb. Was Runge im Verkehr mit wachsamen Freunden, wie Friedrich
Perthes, bereits im Jahre 1805, wenige Tage vor Napoleons Sieg bei Austerlitz, aus Ham-
burg an einen seiner Brüder schrieb, vollzog sich in den Gemütern und der Volksstimmung
von Jahr zu Jahr und wurde durch Steins und Scharnhorsts Reformwerk im Innern in
lebendige Kraft umgesetzt:
„-Es ist ein trauriger und jammervoller Zustand in der Welt und muß so ein
jeder fühlen. Und gegen das alles kann man nichts weiter tun als tapfer aushalten und in
sich wider alle Zweifel kämpfen ... Es wird mit jedem Schritt, den die Franzosen tun, un-
möglicher, daß sie ganz siegen können, da die Stimmung jedes einzelnen immer bestimmter sich
dawider richtet. Dadurch, daß sie siegen, zwingen sie die Verbündeten, immer einen höheren
und gründlicheren Standpunkt gegen sie zu ergreifen. Die Untreue können die Franzosen nicht
verstecken, und je mehr sie Künste gebrauchen, desto erfahrener machen sie ihre Gegner, um
sich vorzusehen, und soviel böser die Franzosen werden, um so viel besser wird die Sache der
Verbündeten und was sie verfechten. Es ist ein Großes und Herrliches, das wir erfahren,
und Gott erhalte uns, daß wir das Ende -""
Wir werden an eine Äußerung von Perthes erinnert, die wir in einem Brief" an
Johannes Müller vom Ls. August i8os lesen: „Muß das Herz uns nicht deshalb schon
groß werden, daß wir gerade in der schlimmsten Zeit leben?"
Runge sollte das Ende nicht erleben. Er starb am r. Dezember 1810 in Hamburg,
acht Tage bevor die alte Hansastadt dem französischen Kaiserreich einverleibt wurde und auf-
hörte eine freie Stadt zu sein. Sein ganzes kampfreiches Künstlerleben hatte im finstersten
Schatten der Wintersonnenwende gelegen.
Das verstümmelte Land östlich der Elbe von kaum zovo Quadratmeilen mit nicht ganz
fünf Millionen Seelen, das noch Königreich Preußen genannt wurde, lag völlig unter der Hand
Napoleons, niedergedrückt durch die Demütigungen und Verluste des Tilsiter Friedens. Das
Volk aber atmete doch schon freier, nachdem die französischen Truppenmassen das Land
r PH. Otto Runge, Hinter!. Schriften II, Zoo.
- Fr. Perthes' Leben I, ,66.
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