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Elisabeth Schmid und Rudolf Maier
mit der seitlichen Kerbe paßt hingegen sehr gut zu den mesolithischen Harpunen,
worauf auch die von R.R. Schmidt angegebene Bezeichnung „Azilien-Harpune“ beruht.
Das Gerät ist aus dem unteren Teil eines kräftigen Hirschgeweihes gefertigt, dessen
Oberfläche nur von seichten Gefäßfurchen überzogen war. In der Osteologischen
Sammlung im Naturhistorischen Museum in Basel liegt eine neolithische Hirschstange,
deren unterer Teil sich in gleicher Schweifung biegt wie unsere Harpune8) und deren
Gefäßfurchen nur ganz flach sind. Der Verfertiger der Harpune überschliff die Rau-
hungen so sehr, daß von der dunklen Oberfläche und den Unebenheiten nichts mehr
zu erkennen ist. In einem Tübinger Gutachten wurde das Material als „Oberschenkel-
knochen eines Hirschtieres“ bezeichnet. Aber nicht nur die Feinstruktur widerspricht
dem; daß wirklich Hirschgeweihmaterial vorliegt,bestätigt sich auch in der Anordnung der
noch erkennbaren Spongiosa auf der Unterseite: die feinen Knochenbälkchen um-
schließen parallel dünne, runde Kanälchen, während sich in einem Oberschenkelknochen
die Bälkchen überschneiden oder — wie im mittleren Abschnitt der Röhrenknochen
— ganz fehlen. An unserem Stück ist aber gerade im mittleren und unteren Teil die
Spongiosa gut und regelmäßig erhalten. Gegen die Spitze und die Zackenenden zu
fehlt sie, weil sie dort bei der Zurichtung des Gerätes abgeschliffen wurde.
Der Bau des Hirschgeweihs mit seiner sehr dichten, harten Rinde und dem außer-
ordentlich porösen Inneren ermöglicht nur die Verwendung des Außenteils. Dadurch
sind ja auch die mesolithischen und neolithischen Harpunen flach gegenüber den rund-
schäftigen des Magdaienien aus dem gleichmäßigeren Rengeweih. 'Weil an unserem
Stück zudem noch die Außenseite stark abgeschliffen ist, was ich an langen Harpunen
in diesem Ausmaß nie beobachten konnte, entstand ein außerordentlich dünnes, im
Querschnitt stark gebogenes Gerät (Abb. 4). Auch dies ist eine Besonderheit.
Eine schwache Torsion oder eine leichte, einfache Biegung hat manche mesolithische
oder neolithische Harpune. Aber die S-förmige Schweifung in zwei Ebenen wider-
spricht ebenso der Funktion des Gerätes wie der überaus dünne Querschnitt bei der
großen Länge: Ist einerseits mit dem Wegschleifen der Längsrippen auf der Oberfläche
die Bruchgefahr erhöht, wirken andererseits die Torsionen hemmend beim Eindringen
in das Fleisch des Beutetieres.
Die Vielheit der Zacken, ihre dichte Anordnung, die äußerst flache und geschweifte
Gestalt stellen unsere Harpune außerhalb des bisher bekannten Formenschatzes der
mesolithischen Harpunen. Der Verdacht, daß kein echtes Stück vorliege, ist deshalb groß.
Die physikalische und chemische Prüfung auf Echtheit (E.Sch.)
Die Schwierigkeit derartiger Prüfungen an unserer Harpune beruht vor allem darauf,
daß sie im Laufe der langen Zeit nach ihrer Auffindung mancherlei Manipulationen
ausgesetzt war. Vor allem haben die unkontrollierten Reinigungsverfahren in Tübin-
gen die „Patina“9) zerstört. Doch von der Unterseite der Zacken konnten noch wenige
8) Beim Heraussuchen war mir Herr Dr. Schaub in dankenswerter Weise behilflich.
9) Dieser Ausdruck von R. R. Schmidt ist hier nicht zutreffend, da Patina i. e. S. eine Verände-
rung der Oberfläche selbst, nicht aber eine Auflagerung bedeutet.
Elisabeth Schmid und Rudolf Maier
mit der seitlichen Kerbe paßt hingegen sehr gut zu den mesolithischen Harpunen,
worauf auch die von R.R. Schmidt angegebene Bezeichnung „Azilien-Harpune“ beruht.
Das Gerät ist aus dem unteren Teil eines kräftigen Hirschgeweihes gefertigt, dessen
Oberfläche nur von seichten Gefäßfurchen überzogen war. In der Osteologischen
Sammlung im Naturhistorischen Museum in Basel liegt eine neolithische Hirschstange,
deren unterer Teil sich in gleicher Schweifung biegt wie unsere Harpune8) und deren
Gefäßfurchen nur ganz flach sind. Der Verfertiger der Harpune überschliff die Rau-
hungen so sehr, daß von der dunklen Oberfläche und den Unebenheiten nichts mehr
zu erkennen ist. In einem Tübinger Gutachten wurde das Material als „Oberschenkel-
knochen eines Hirschtieres“ bezeichnet. Aber nicht nur die Feinstruktur widerspricht
dem; daß wirklich Hirschgeweihmaterial vorliegt,bestätigt sich auch in der Anordnung der
noch erkennbaren Spongiosa auf der Unterseite: die feinen Knochenbälkchen um-
schließen parallel dünne, runde Kanälchen, während sich in einem Oberschenkelknochen
die Bälkchen überschneiden oder — wie im mittleren Abschnitt der Röhrenknochen
— ganz fehlen. An unserem Stück ist aber gerade im mittleren und unteren Teil die
Spongiosa gut und regelmäßig erhalten. Gegen die Spitze und die Zackenenden zu
fehlt sie, weil sie dort bei der Zurichtung des Gerätes abgeschliffen wurde.
Der Bau des Hirschgeweihs mit seiner sehr dichten, harten Rinde und dem außer-
ordentlich porösen Inneren ermöglicht nur die Verwendung des Außenteils. Dadurch
sind ja auch die mesolithischen und neolithischen Harpunen flach gegenüber den rund-
schäftigen des Magdaienien aus dem gleichmäßigeren Rengeweih. 'Weil an unserem
Stück zudem noch die Außenseite stark abgeschliffen ist, was ich an langen Harpunen
in diesem Ausmaß nie beobachten konnte, entstand ein außerordentlich dünnes, im
Querschnitt stark gebogenes Gerät (Abb. 4). Auch dies ist eine Besonderheit.
Eine schwache Torsion oder eine leichte, einfache Biegung hat manche mesolithische
oder neolithische Harpune. Aber die S-förmige Schweifung in zwei Ebenen wider-
spricht ebenso der Funktion des Gerätes wie der überaus dünne Querschnitt bei der
großen Länge: Ist einerseits mit dem Wegschleifen der Längsrippen auf der Oberfläche
die Bruchgefahr erhöht, wirken andererseits die Torsionen hemmend beim Eindringen
in das Fleisch des Beutetieres.
Die Vielheit der Zacken, ihre dichte Anordnung, die äußerst flache und geschweifte
Gestalt stellen unsere Harpune außerhalb des bisher bekannten Formenschatzes der
mesolithischen Harpunen. Der Verdacht, daß kein echtes Stück vorliege, ist deshalb groß.
Die physikalische und chemische Prüfung auf Echtheit (E.Sch.)
Die Schwierigkeit derartiger Prüfungen an unserer Harpune beruht vor allem darauf,
daß sie im Laufe der langen Zeit nach ihrer Auffindung mancherlei Manipulationen
ausgesetzt war. Vor allem haben die unkontrollierten Reinigungsverfahren in Tübin-
gen die „Patina“9) zerstört. Doch von der Unterseite der Zacken konnten noch wenige
8) Beim Heraussuchen war mir Herr Dr. Schaub in dankenswerter Weise behilflich.
9) Dieser Ausdruck von R. R. Schmidt ist hier nicht zutreffend, da Patina i. e. S. eine Verände-
rung der Oberfläche selbst, nicht aber eine Auflagerung bedeutet.