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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt (61): Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1919 (September bis Dezember)

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Nr. 202-227 (1. September 1919 - 30. September 1919)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3728#0115
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Zu Veginn dieser Spielzclt fand in Karlsruhc dje Urausführung
des gros;angelegten Dramas „S i,m s v n"'statt, das nicht etwa die
Dramatisierung der alttestam>.ntlichcn Geschichten, sondern eine ver-
klärende Metaphysik der Eeschlechtsliebe und zugleich ein politisch-re-,
ligiöse-. Volksstück darstellt, beides tief empfunden und m't fest zu-
packender Vildnerhand zu einem monumental.en Kunstwcrt gestaltet.
Das wesentliche des Dramas liegt in der unerbittlichen Konjequenz,
mit der der Held gegen seine Neuwelt und alles, was sich seinem
reinea Menschentum widersetzt, zu Felde zieht. Burte hat dem Stoff
ungleich mehr Eehalt und Tiese abgcwonnen als etwa Wedekind,
dem es in seinem Simson-Drama nur um die Behandlung eines
seruellen Problems zu tun war odex als Eulenberg, der in erster
Linie e:n glühendes Vild exotisHer Sinnlichkeit malen wollte. Vurtes
„Simson" ist ein Denkmal tiefreligiöser Weltanschauung und Stam-
meshörigkeit zugleich. Der Kampf „Simsons" wird im Menschen aus-
getragen und endet in dcm sich selbst erlösenden Menschen. dem die
grenzenlose Forderung an das Leben zur grenzsnlosen Demut vor d-m
Ewigen gewoi/den" ist, und der dennoch siegend triumphiert. Indem
Simson sich zu Eott bekennt, zeugt er für sich selbst. Keine Resigna-
lion, kein Pessimismus schwächt den Schlutz> Das Leid war nur eine
Stufs, ein Purgatorium. Schopenhauer ist überwunden. und Nietzsche
reicht dem Dichter die Bruderhand. Dür ichselige^ und ichbelastete
Mensch rcckt sich, wie eine Erfüllung Wibifebers, kraftvoll empor.'ein
Einsamer, der nach depj Höchsten verlangt. Es gibt für ihn keine Er-
losung auf halbem Wege.

„Es muß der wahre Richter an sich ein Henker sein!"

Die künstlerischen Ausmaße des Dramas sind ganz ungewöhn-
licher Natur, und Bernoulli traf schon das Rcchte, w><nn er die ar-
tistisch gesteigerte Kunst Burtes mit dem Künstlertum des Kompo-
nisten Nichard Strauß in Parallele brachte. Man könnte an groß-
linige Zirkuskmist oder an die phantastische Eeste des modernen Ki-
nos denken, wenn nicht ein eherner Kkang aus innersten Herzens-
.ti^fen die Welt des Dramas durchzitterte: in Simsons Mutter Han-
nah hat Burte das menschlich-innige Verhältnis zur eigenen Mntter
in dankbarer Liebe verschönt. 'Im vorigen Iahre ist die prächtige,
kluge Frau StrüLe, die noch mit der Markgräflerhaube in der Inten-
dantenloge des Mannheimer Nationalthgaters der großen Volksauf-
führung des „Katte" hatte beiwohnen konnen. gestorben, und wer die
Hannahstellen des „Simson"'zu deuten vermag, wie etwa die Le-
rühmte Muttertrosistelle im „Deutschen Reguieni", der wird auch hier
den Dank und die Klage des Sohnes vernehmen.« Auch „Simson" hat
Beziehyngen zur deutschen Eegenwart. Sie gipfeln in der Sen-.
dung des gottgeliebten Helden als der Misston des deutschen Eedan-
kens in der Welt und der tragischen Eüenntnis der Vereinsamung
im Ringe der Wkker.

Gleichnis

Cei schlicht ünd wahr, und glaube nre anders zu sein als all.e
anderen. D«: Wald ist von Väumen voll. Zeder hat andere Art und
anders ist jeder von Cestalt unid Ansehen. Aber alle Wurzekn gieren
mit zähen Fingern nach Nahrung und Halt. Eleich sind sie alle und
ksiner dem andern'verwandt. Welche Ecmeinschaft der Verschiedenen
und Verschiedensten! Ist eine Krone gleich der anderen? Ward je ein
Zweig dem andern gleich? Eleich sind sie nur in der Aehnl'.chkeit und
ähnlich nur im Unterschied!

Aber alle schüttelt, wenn die Ctunde kam, derselbe Sturm ugd
peitscht Eeäst und bückt die hohen Kronen, daß die Stämme leise
seuszen.

Sei schlicht und wahr. Viel tausend Menschen stehn und wachsen
hoch. und jeder rauscht sein eigen Lied. Viel tausend Hände gieren
und suchen Halt und Kraft'im Erund. Aber uns durchsaust alle, wenn
die Stunde kam, dsrselbe Eottessturm des Eeschickes, Verkrüppelte,
Erade, Alte und -Iunge packt er an und beugt dieBKronen selbst . . .

Es geht ein Veben hin durch Ast und-Zweig. O hakt dich gut,
der Wald rauscht auf und klagt. Eemeinschaft ward uns nur in
einem: Uns beugt derselbe Sturm zur selben Zeit, die Familie der
Seuszenden.

W. Wolfensberger. „Religiöse Miniaturen"

Träume der Iugend

. Der Setzer Willy Neumeier aus München-Eöbenzell hat
lin Derlag der „Münchener Volksbuchhandlung". Fritz Diehlin'g,
e n Bändchen Eedichte herausgegeben, die nicht nur durch feine
Empfindung. sondern auch durch überaus anmutige Form überraschen.
Neumeicr hat diese Eedichte auch selbst gesetzt und mit besonderer
Corgfali gedruckt. Wir lassen hier eine Probe seiner Kunst folgen:

In der Dämmerung
Im blauen Kleide lehnte sie
am sonnvergoldten Stamme,
ihr schwarzes Haar im Winde flog,
das Aug' ward eine Flamme.

Zur S'lunde ftühlingsstllrmisch sang
die Sohnsucht ihre Weise.
da nahte ich Lezaubert stumm
und rief: „Dora!" — ganz leise.

Da neigte lächelnd sie den Vlick ,
und ging mir still entgegen:

» der Himmel, silbersternbestickt ' >

gab beiden un') den Segen. , ^

Lichtgebet

Von Friedrich Lienhard

2. Dand folgen ^lassen, den cr „M e /ster der
Mens^iheit" (Beiiräge zur Dcscelung Lcr
Menschheit, Stuttgart, Greiner und Pfeijfer) be-
Iitelt. ^Das Folgende^bildct die^EinIcilung des

Welches Volk bedarf wohl dringkichex der Mittelpunktskraft
und Kraftsammlung als das schwer bedrängte Volk der europäischen
Mitte, das Herz Europas? Wahrlich, mit einer bis zum Eenialen-gc-
steigertcn Vereinfachungskraft müßte Gott uns zcrrissenen und zusam
niengebrochenen Dcutschen neu verkündet werden. Ein neuer Kreuz-
zug, nicht mehr nach dem Orient, sondern nach innen. müßte Ständ-',
Parteien und Konfessionen zu neuer Einheit zusammengiutcii. Nur
aus' Feuerskraft, aus Herzensflammen heraus kann das geschehcn.

So bilde das „Lichtgcbet" unseres beseelten Fidus chie Ucber-
leitung von unserem erstcn Bande, der einer Kosmosophie oder kos-
mischer Lebensstimmung unter dem Tiiel „D e Abstammung gus
dcm Licht" gewidmct war.

Datz ich es immer wieder sage: hier spricht ein Dichter unv
Mensch, kein Dogmatiker. Wir gehen hinter die Naturwissenschäft.
zurück in die Schöpferglut, die glles Lcbens Ursprung und Inbegriff
ist; und wir gchen desgleichen versohnlich zurück hinter die Konfessio-
nen zu der Ehristusgestalt, d'ie für beide Tejle die ge stil/. Sonne
bedeutet. ^

Aus dem gleichen Anschauungsdrang wie b-'i den Nan.cn Wart-
burg und Weimar grüßen wir'nun die symbolischen Lichthügel A'ro
polis und Golgatha. An' ihnen suchen wir bed.'utendc Kulturoor-
günge znsammenfassend zu oeranschaulichen und dem lebend^Z-'n Ec-
fühl nahezubringen.

Emanuel Eeibels Wort ist bekannt:

..Drei sind Einer in mir: dcr Hellene, der Christ und d: r Deutschc,
Ach, und die Kämpfe dcr Zeil kämps' ich im ejg'nen Eemüt.

Könnt' ich in jadem Eefühl sie versöhnen, in jedem Eedanken,
Bikdung, Elauben, Natur — wär' ich ein seliger Menfch."

Hier ist in edler Klarheit ausgesprochen, daß Chris.ten um und
Eriechentum nicht etwa durch Eklektizismus oder Stilgcmjsch der
Formen versöhnt und ausgeglichen werden, sondern nur durch Kampf
und Sieg in der eigenen Brust. Dort Kreuz, hier Nosen: wie LÜden
sie ein Eanzes.

Es könnte tzin Eriechenknabe sein. den unser deutsches Fidus
auf den Felskegel stellt und mit ausgebreite'ten Armen betcn läßt.
Dieser feingliodrige, schlanke Iüngling hät die Hüllen abgcmorf-.'n,
bietet sich in jauc^sender Nacktheit dem Lichte dar und nröcht? den
himmlischen, kosmischen Magnetismus heräbleiten in erhobene Hände.
In dieiem Eebet, das ein erlöstes Iauchzen ist. liegt aber -auch schon
Segcn, nicht nur Bitte: diese Seele segnet die schöne, von blauer
Luft und weißen Wölkchen anmutig umsp-elte Wclt. nicht lcb-nsänoü-
lich, sondern lebensgläubig Sie hat den letztcn Mnt. sich schrgnken-
los den himmlischen Einflüssen auszutun, ivie die Blumen dcm i- ichi .
wie Kinder ins Bad spriugen. wie sich dem licbendcn d-e Eeliebte
gibt: in rücksichtslosem Vertrauen.

. Eern malt dcr seelenvolle Fidus Kindergestaltcn. Ihn lockt
die Anmut. ihn bezaubert aber auch dieses herrliche Vertrauen, das
sich i,n .Kindc h'.nzugeben vermag. llnd ich möchte wohl mü'ischen,
daß uns jetzt eine veredelte deutsche Iugeuio aus der Verwildernng
ewporwechse. cine neue. blanke S-cele. die so auf dem Felsen dcr Not
ste'- Mld die Arme bittend den himmlischen Mächten entgegcnbrci/:.i.
W ,i sie in rechtem Sinne betet, so segnet sie einst die uns jetzt so
furchtbar sche'inende Not. Denn das Furchtbare wird fruchtbau. wcnn
es tapfer bestanden wird.

Der Christ kirchlicher Schulung pflegt mit gcfalteten Händen
zu bcten: er hgt das Heilige in seinem Inner.'n versammelt, kreuzt
die Finger, sentt den Blick und stellt eiäe geschlosseme Desinnlichkeit
her. Doch der dichterisch gestimmite. naturfreudiae Mensch kann auch
jene andere phanteistisch anmutende Form des Betens «verstehen. wie
sie in der Vorzeit geübt ward. Es ist hinausfliegende Dankbarkeit
oder Vitte an die Mächte, die duxch den Kosmos strahlen, sonderlicki
an die Sonne. Beide Formen haben ihre Verecht'gung und n ög''n
sich ergänzen wie Ein- uiid Ausatmen. Denn auch im Innern ist
ja ein Kosmos mit einer geistigen Sönne; und das betend aoschlm-
sene oder nach innen gerichtete körperliche Auge bedeutet nicht etma
seelische Erblindung sondern gesammelte Herzenskraft. geiitiacs
Schauen Beiderlei Veter suchen und empfinden also doch dasselbe:
die ANgegenwart Cottes, dessen Wesen Eeist'und dessen Eewand
Licht ist.

Komm' zu uns, heiliges Feuer der Liebe! Zerschmilz das Eis
des Materialismus, adlc das Unedle und hilf uns ichöpserkrüftig
eindeutschen, was unter uns undeutsch ist.

Wer rät's ? "

^ i.

12 3 4 Sollst Du ljeb gar bald gewinntzn

5 2 3 4 Suche stets ihm zu entrinnen'

6 2 3 4 Niemals wächst's im Wüstensanb

7 2 3 4 Eolden stehts im Türkenland.

Verantwortlicher Schriftleiter: Iulius Kraemer in KeidelbÄ^


»

Brauner

um Geleit!

N)cild, ini Schatten uralter Tannenriesen, bricht sich aus würziger
§rde harter Aruste ein U)ässerlein seine Bahn und springt stolz auf
——-7- - v- seine junge Araft über Steine und Reiser lustig und lachend wie ein

junges Lämmlein. Die alten Taimen sehen's, schütteln die ehrwürdigen Wipfel mit überlegener Bedachtsam-
keit, freuen sich aber doch des jungen Cebens, das da über ihre LOurzeln hüpft und durch sein munteres
Geplauder die heilige Stille belebt. Boch nicht gar weit ist das N)ässerlein seinen neuen N)eg gegangen,
da begcgnet ihm ein N)anderbursch, müd und durstig oom langen N)eg auf staubiger Landstraße. Dem
beut es frischen Trunk, labt und stärkt ihn, gibt ihm gerne neue Araft und N)anderlust.

Nnd weiler geht das N)ässerlein seinen N)eg, wird ein Bach, treibt die Mühle, wird <ün Fluß, ein
Strom, trägt kleine Aähne, in denen lustige Ncenschen lustige Tieder singen, trägt stolze-Schiffe mit vielen,
vielen .Dingen, die die Nienschenkinder brauchen, trägt sie von Vrt zu Mrt bis weit hinaus 'ins Nleer in
ferne Kande.

So ist der kleine Bdrn im N)alde gar vielen zu Nutz und Frommen aus der Grd entsprungen, hat
kleinen und großen Nlenschen Freude, Trost und Labsal gebracht.

Nun springst auch Du, ein neuer Born ans helle Licht des Tages und sollst gleich Deinem Bruder
willig aus Dir schöpfen lassen, jeden, der zu Dir kommt. Nimm dann alle, so zu Dir kommen, mit auf
Deinem N)anderwege, daß sie Dich begleiten vom Born' zum ^luß und Strom bis hinaus ans Nleer^
hinaus in die weite N)elt. Lehre sie die Augen aufmachen und sich erquicken an all dem Herrlichen, das
an Deinen Nsern steht. SeieinBorn!

Der Dichter

Iojef oon Cichendorss

So viele Quellen von den Vergen rauschen,
Die brechen zornig aus der Feksenhalle,

Die andern plaudernd in melod'schem Falle
Mit Nymphen, die im Erün vertraulich lau-

schen.

Doch wie sie irrend auch die Vahn vertauschen,
Cie trefsen endlich doch zusammen alle,

Ein Stroin, mit-Lriiderlicher Wogen Schwalle
Erfrischend durch das schöne Land zu rauschen.

An Vurgen, die vom Felsen einsam grollen,
Aus Waldesdunkel zwischen Rebenhügeln t
Vorübergleitend in die duft'ge Ferne,

Entwandelt er zum Meer, dem wundervollen,
Wo träumend sich die sel'gen Znseln spiegeln
llnd aus^ den Fluten ruhn die ew'gen Sterne.

Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen,

Wo goldne Ströme gehn und dunkel schallen,
Eesänge durch das Rauschen tief verhallen,
Die möchten gern ein hohes Wort dir sagen.

Vrel goldne Vrücken sind dort kühn geschlagen,
Darüber alte Brüder sinnend wallen —

Wenn Töne wie im Frühlingsregen fallen,
Vefreite Sehnsucht will dorthin dich tragen.

Wie bald läg unten alles Vange, Trübe,

Du strebtest lauschend, blicktest nicht mehr nieder,
Und höher winkte stets der Vrüder Liebe:

Wen einmal so berührt die heil'gen Lieder,
Sein Leben taucht in die Musik der Sterne,
Ein ewig Ziehn in wunderbare Ferne!

cr





M

20. September 1919
 
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