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Badischer Volksbote: für Deutschtum, Thron und Altar ; Organ der Deutsch-Sozialen Reform-Partei in Baden (1) — 1890

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Nr. 31 - Nr. 40 (7. Februar - 18. Februar)
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Organ für Uaürüeil, Fmüert L KM.

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kL


Verantwort!. Redakteur: F. 2. Lnappc
in Heidelberg.

Hkidcktrg, Rillivch, Sen I?. Mrm.

Dmck u. Verlag von Gebr. Huber inHeidelberg
früher Verleger des Pfälzer Boten.


M AM seit l«.">
IV
ft. Die Arbeiterbewegung, das Sozialistengesetz
und das Kartell.
An den hervorragenderen politischen Aufgaben
haben wir bereits dargethan, wie das Kartell entweder
nichts zu leisten vermochte oder direkt ein Hinderniß
für gesunde Reformen war und ist. Wir wollen
indeß nicht verhehlen, daß bei der Reform des Ge-
nos.senschaftsgesetzes das Kartell zugestandener-
maßen nicht gescheitert ist. Das ist aber kein Verdienst
des Kartells, sondern hier war der Reichstag überhaupt
einig und hat mit dieser Reform ein Werk vollbracht,
an dem sich alle Parteien, insbesondere das Centrum
betheiligt. Wir müssen daher, obwohl der national-
liberale Führer Dr. Miquel am 2. Februar in Kaisers-
lautern u. Herr Konsul Menzer am Sonntag hier in
Heidelberg, behauptete, das Kartell allein sei zu sozial-
volitischem Schaffen befähigt, beim Gegentheil bestehen
bleiben, denn dieses Gegentheil ist erwiesen durch die
ganze Entwicklung und Bethätigung des Kartells.
Allerdings ist es seit dem Zustandekommen des
Alters- und I nv a liditätsgese tzes bei den
Rationalliberalen Mode geworden, sich selbst als die
hervorragenden Vertreter der Sozialpolitik hinzustellen.
Mit welchem Rechte? Gerade die Nationalliberalen
sind Schuld daran, daß diesem Gesetz eine Form ge-
geben worden ist, welche die schwersten Bedenken wach-
rufen muß. Hat es doch der sreikonservative Abgeord-
nete Lohren einen hellerlenchteten Abgrund genannt!
Von anderen Konservativen, z. B. dem Grafen Mir-
bach, wurde das Gesetz aufs Schärfste angegriffen,
so daß Minister von Bötticher sein bekanntes Wort
„Nur Muth, nur Muth" an den Reichstag richten
mußte. Die Fehler des Gesetzes sind bis in die jüngste
Zeit hinein erörtert worden, so daß wir sie hier nur
zu streifen brauchen. Der Umfang der Alters- und
Jnvalidenversorgung ist viel zu weit ausgedehnt, so
daß es fraglich ist, ob in dieser Ausdehnung sich das
Gesetz überhaupt bemeistern läßt. Dabei hat es trotz-
dem den Mangel, daß es die so nothwendige Recon-
valeseenten-, Wittwen- und Waifenversorgung, in die-
sem Versicherungszwang nicht enthält. Daß die er-
folgte Einziehung der landwirthschaftlichen Arbeiter
in dieses Gesetz nicht dem Interesse des Bauern-
standes entspricht, ist unbestreitbar. Die Kleinbauern
können unmöglich die Versicherungslast für ihre Ar-
beiter bezahlen, und außerdem hätte man die land-
Nachdruck nur mit deutlicher Quellenangabe aestaltet-

Treuer Kiebe Koh«.
3) Roman von U. Rosen.
<N«ihdr. rerb.)
„Wenn es für Dich eine Möglichkeit gäbe, daß Haus
so behändig ohne mein Wissen zu verlassen, würde ich
glauben, daß Du die Hälfte Deiner freien Zeit fern von
dem väterlichen Dache verlebst. Ich habe bemerkt, daß
dieses seltsame Abschließen auf unserem Landsitze nicht
stattfindet. Stellt die Giscllsckaft zu hohe Ansprüche an
Deine Kraft, oder vergeudest Du die fehlenden Stunden in
einem Opiumrausch? Ich fra^e Dich wieder, Beatrice,
Was bedeuten diese Perioden des Schweigens und der Ab-
geschiedenheit in Deinem Leben?"
Beatrice erhob langsam den Kopf und wendete ihr
Gesicht dem Lichte zu. Auf ihren Wangen brannte ein
glühendes Rolh. Ihre strahlenden Augen flammten wie
Tonnen. Ihr ganzes Wesen verrieth eine unterdrückte
Erregung, einen Aufruhr ihrer in allen Tiefen erschütterten
Natur.
„Ich habe Dir keine Erklärung zu geben. Papa," sagte
sie mit leidenschaftlich bebender Stimme. „Denke von mir
was Du willst, argwöhne was Du magst, ich habe Dir
uichts zu sagen. Glaube mich dem Opiumrausch, den Had-
kchichträumen verfallen, aber vergib nicht, daß ich Deine
Tochter und ebenso stolz bin, wie Du, daß ich lieber
sterben würde, als den alten erlauchten Namen der Bcrril's
durch den leisesten Hauch zu trüben. Das genüge Dir,
«apa!"
Beatrice schien in diesem Augenblick in der That die
Verkörperung des Iamilienstolzes- Hoch aufgerichlet stand
ste j» ihrer gebieterischen Schönheit da und in ihrem Herzen
war offenbar keine Spur einer Schwäche vorhanden. Ihr
Bater sah sie an und seufzte.
I» diesem Augenblick theilte sich die schwere Sammet-
Vorli«re abermals und Lord Eduard Ormond trat in das
Gemach. In den Augen des jungen Mannes glühte ein
Eigenthämische» Feuer und rin seltsames Lächeln umspielte
Auen von dc« dichten Schnurrbart fast ganz verdeckten
«tun». OrmondP Wesen verrieth. daß er die Unterredung
äwischkL Baler und Tochter von Anfang bis Ende dr-

wirthschaftlichen Verhältnisse nicht nach der Schablone
der Industrie, sondern in einem eigenen Gesetze be-
handeln sollen. Genau so verhält es sich mit dem
Handwerkerstand. Endlich aber durchbricht das Gesetz
die mühsam geschaffene berussgenossenschaftliche Orga-
nisation der Unfallversicherung und hat durch den be-
willigten Staatszuschuß einen direkt der sozialdemo-
kratischen Staatsauffassung entlehnten Grundsatz in
unsere Gesetzgebung eingeführt. In dieser Form ist
das Alters- und Jnvaliditätsgesetz zu Stande gekom-
men, ohne daß es den Kartellparteien dabei wohl zu
Muthe gewesen wäre. Ein Theil derselben hat direkt
dagegen gestimmt, so daß das so tief einschneidende
Gesetz nur mit der geringen Majorität von 185 gegen
165 Stimmen angenommen worden ist. Der wei-
tere Ausbau der Unfallversicherung ist
ebenfalls nicht das Verdienst des Kartells, denn daran
war das Centrum wesentlich betheiligt, namentlich ist
die landwirthschaftliche Unfallversicherung, für welche
die Regierung einen unbrauchbaren Entwurf vorge-
legt hatte, nach den Anträgen und Förderungen des
uns durch den Tod so früh entrissenen Freiherrn von
Franckenstein erledigt worden.
Kurz, wohin wir auch blicken, finden wir, daß das
Kartell nicht Trägerin positiver sozialer Reformen ist.
Daß das auch in Zukunft so sein werde, ergiebt sich aus
der Zusammensetzung und den inneren Beweggründen
der Kartellparteien. Sie waren unfähig, die Agrar-
frage und das Handwerk zu fördern, sie vermögen
auch die Arbeiterfrage nicht zu lösen trotz aller schön
stylisirten Reden des Herrn Dr. Miquel. Er wird
es nicht vermögen, in der Arbeiterwelt den Glauben
an den sozialen Beruf des Kartells zu erwecken. Die-
selbe kennt die Geschichte der sozialen Reformbewegung
zu gut, nm irre zu werden, sie kennt auch das terro-
ristische Vorgehen der Nationalliberalen bei den Wah-
len, um deren gerühmte angebliche „Arbeiterfreundlich-
keit" nicht zu durchschauen. Wer die abhängige Ar-
beiterwelt zur Abstimmung gegen ihre Ueberzeugung
mit allen Mitteln gedrängt hat, wie die Nationallibe-
ralen, kann nicht erwarten, daß er irgendwie Ver-
trauen bei den Arbeitern erwecken wird!
Und auch die Art und Weise, wie das Kartell
sich zur Frage des Sozialistengesetzes gestellt
hat, muß die Arbeiter mit tiefem Mißtrauen erfüllen.
Im Jahre 1887 haben die verbündeten Regierungen
versucht, das Sozialistengesetz durch die Verweisung
außer Landes zu verschärfen, was vom Reichstage
abgelehut wurde. Im Jahre 1888 hat dann Preußen
im Bundesrath einen Gesetzentwurf zur Ueberführung
lauscht batte. Das Sprühen und Funkeln der grauen
Augen erlosch, und das hüpfende Licht in denselben ver-
schwand, ehe er von dem Grafen und Beatrice bemerkt
wurde.
Lord Ormond stand in der Blühte des Mannesalters.
Er wurve allgemein hübsch genannt, und seine vieljährigen
Reisen in ftrmn Landen und die wunderbaren Abenteuer,
die er unter allen Himmelsstrichen erlebt hatte, verliehen
ihm den Glorienschein der Romantik und machten ihn in
der vornehmen Welt zu einem Helden wie Lara und der
Korsar von Br Yon- Seine ursprünglich Helle Gesichtsfarbe
war durch den Kampf mit den Stürmen und der Sonne
der Tropen gebräunt worden. Sein hellblondes Haar
ringelte sich in dünnen spärlichen Locken über der hohen
Stirn. Die Augen waren scharf, kalt und grausam in
ihrem Ausdruck. Klein und enggeschlitzt wie die eines
Chinesen, blitzten sie zuweilen in einem phospborortigen
Schimmer auf, der bewies, daß der englische Ahasver eine
rankesichlige Seele und ungezügelte Leidenschaften besaß-
Daß Lord Ormond Beatrice Berril liebte bezeugte
sein unermüdliches Werben, seine unerschütterliche Treue,
die niemals an dem endlichen Siege verzweifelte. Er war
verarmt, von Schulden erdrückt, durch ein wüstes Leben
erschöpft, mit dem festen Entschlüsse nach England zurück-
gekehrt, seine Ansprüche auf Beatricens Hand durchzusetzen.
Bei dem Anblick der strahlenden Schönheit der Gräfin
loderte die Liebe, die er ihr seit zwanzig Jahren widmete,
zu neuen Flammen auf. Beide Hände ausstreckend, eilte
er auf den Grafen zu, der überrascht und erfreut aufsprang,
ihn zu begrüßen.
Beatrice gestattete ihrem heimgckehrten Verehrer, ihre
kalten, juwelengeschmückten Hände zu ergreifen, und, ihn
höflich willkommen heißend, wurde sie wärmer bei den
ungeheuchelten Kundgebungen seines Entzückens über das
Wiedersehen. Unter seinem heißen Blicke liebender Be-
wunderung errölhetc sie leicht.
Von dem milden Wesen Beatricens ermuthigt, begann
der Gras zu hoffen, daß feine Vorstellungen die gewünschte
Wirkung bei der Tochter hervorgerufen hätten, und sie ge-
neigt sei, da» sehnlichste Verlangen seines VaterherzerS

des Sozialistengesetzes ins gemeine Recht vorgelezt,
welcher die gesammte Versammlnngs-, Vereins- und
Preßfreiheit unter ein Damoklosschwert gestellt hätte,
dem alle Parteien ohne Ausnahme verfallen mußten,
je nachdem gerade der Wind vom Regierungstisch her
wehen würde. Die Tendenzen in den obersten Regio-
nen sind durch diese Vorgänge vollkommen geklärt,
und erst dieser Tage hat an sie Exminister v. Putt
kamer in seiner Stolper-Kandidatenrede in dem
Brustton unerschütterlicher Ueberzeugung wieder an
geknüpft. Herr v. Puttkamer soll auf Wunsch des
Fürsten Bismarck kandidiren, und daß er an hoher
Stelle sehr gelitten ist, weiß man. Was geht hier
vor? so frägt man unwillkürlich.
In dieser Situation ist das Kartell eine dräuende
Gefahr. Das Kartell ist schon jetzt darüber einig,
daß das Sozialistengesetz nunmehr als dauerndes
Gesetz und nicht mehr auf Zeit bewilligt werden
soll. Trotz aller Milderungen des Gesetzes ist dieser
Plan eine Gefahr für alle unabhängigen Parteien,
denn der 8 1 des Sozialistengesetzes soll nach wie
vor die kautschukartige Definiton enthalten, die auf
alle mißliebigen Parteibewegungeu ausgedehnt werden
könnte. Und kann man außerdem ein Gesetz verewigen,
das, grundsätzlich in einem Rechtsstaate verwerflich,
von der Arbeiterwelt als ein Klassengesetz empfunden wird
u. nur geeignet ist, berechtigte Bewegungen der Arbeiter-
welt zu gefährden und dieselben in das Sammelbecken
der Unzufriedenheit, der Sozialdemokratie zu treiben?
An der Frage des Sozialistengesetzes, der Haupt-
aufgabe der letzten Session ist das Kartell gescheitert.
Aber schon jetzt mahnen nationalliberale Blätter die
parlamentarischen Vertreter des Nationalliberalismus,
nicht hartnäckig im Widerstand gegen die Answeisungs-
befugniß zu bleiben, sondern mit demselben das dauernde
Sozialistengesetz zu bewilligen. Das Kartell, welches
positiv weder für Landwirthschaft, noch für Handwerk,
noch für die Arbeiterwelt etwas zu leisten verstanden
hat, ist also auch noch entschlossen, nach der negativen
Seite hin Schlimmes zu schfffen. Wahrlich, wer die
Schäden im Volksleben kennt, wer die Schwierigkeiten,
in denen sich unser ganzes soziales Leben befindet,
nicht mit dem Polizeistock beseitigen will, wer nur
einen Funken freiheitlichen Geistes spürt, der muß
gegen eine solche Parteikombination auftreten, wie
sie das Kartell darstellt. Bauern, Handwerker, Bür-
ger, Arbeiter alle müssen sich aufraffen, um am
Wahltage das Kartell niederzustimmen und die Ge-
fahren zu beseitigen, welche die weitere Herrschaft
desselben in sich birgt.
zu erfüllen und den Freier zu erhören, der jetzt vor ihr
stand.
„Sie müssen meinen ungestümen Eintritt entschuldigen,"
lächelte Lord Ormond, sich auf den Sessel setzend, den Bc-
atr ce ihm anwics. „Ich sagte dem Diener, der mich so-
gleich wiederkannte, ich wollte, wie es in alter Zeit meine
Gewohnheit gewesen, mich selbst ünmelden, um Sie Beide
zu überraschen, und ich schmeichle mir, daß ich damit er-
folgreich war Der Berril'sche Palast war mir stets ein
zweites Vaterhaus, er ist unverändert geblieben; möchte
nur sie, die diese Räume zu einem Paradiese gestaltet, ihren
Sinn geändert haben."
Er blickte ernst und flehend auf Beatrice, die ihren
alten Hochmuth und ihre kühle Zurückhaltung wieder an-
genommen hatte „Ich ändere mich niemals, Lord Ormond,"
erwiderte sie bedeutsam, den Spitzenfächer vor dem Gesicht
entfallend, um seinen Augen auszuweichen. „Ich war
immer Ihre Freundin, und bin es noch."
. „Nicht mehr, Beatrice?" flüsterte der Gast.
Die zunehmende Kälte Beatricens war eine nickt miß»
zuverstehende Antwort-
Lord Ormond ließ sich nicht davon absckrecken, seine
Huldigungen fortzusetzen und in dem Bemühen fortzufahren
einen angenehmen Eindruck zu erzielen Bei dem Grafen
wurde ihm seine Aufgabe leicht. Auch Beatricens ernste
Stirn entwölkte sich mehr und mehr. Lord Ormond halte
sich während seiner langen Abwesenheit sehr veranrert und
sein Wesen eine Glätte und eine Geschmeidigkeit angenom-
men, die ihm >onst fremd gewesen waren. Beatrice glaubte
in ihm den Gegenstand eines intercssanlen Sludwms zu
finden. Die linier Haltung, die immer lebhafter wurde,
entriß die Tochter des Grafen dem beängstigenden Gefühl,
das die Worte ihres Vaters in ihr zurückgelassen hatten
Als der Diener meldete, die Tafel sei bereit, nahm Bea-
trice den Arm ihres Gastes u- alle Drei begaben sic» in das
Speisezimmer, ein großes, blumengeschmücktes, glänzend
erleuchtetes Gemach. Das Mahl wurde durch die witzigen
Bemerkungen Lors Ormond's gewürzt, der eifrig bemüht
war, die gute Meinung seiner schönen Nachbarin zu ge-
winnen. (Fortsetzung folgt.)
 
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