Der Sonntagsbote.
Nnierüaliimgsbeilage zum „KackiMm Volksboim".
Nr. 19.
Sonntag, den 11. Mai.
1890.
Bitte ?u grüßen!
3) Humoreske von Eugen Gavain.
(Nachdruck verboten.)
Der Zug lief nach einer Fahrt von kaum 20 Minuten
im Bahnhof Hanau ein.
„Der Hauptmann von Esebeck ist also in diesem Schlaf-
wagen," hörte mau draußen die Stimme des Inspektors,
der bald darauf in der geöffneten Thür erschien. Der
Hauptmann schlief nun recht fest, aber die Stimme des
Inspektors, der selbst früher Soldat gewesen, drang so
kräftig durch den kleinen Raum, daß sie allenfalls sogar
Tvdte erwecken konnte. Mit einem Ruck war der Haupt-
mann in die Höhe gefahren und sah die Gestalt seines
Peinigers vor sich.
„Herr Hauptmann, entschuldigen Sie, daß ich Sie im
Schlafe stören muß; ich habe mich eines Auftrages au Sie
zu entledigen. Ihr Freund —"
„Donnerwetter!" Es war ein urkräftiges Donner-
wetter, ein Donnerwetter der Verzweiflung. Einen Augen-
blick hatte der Hauptmann beide Fäuste geballt, dann fuhr
er ruhiger, wie einer, der sich in sein Schicksal ergeben
hat, fort:
„Ich danke, Herr Inspektor, ich danke vielmals. Wie
viel Stationen haben wir Wohl noch bis Leipzig?"
„Bis Leipzig? O, da find noch eine Menge Sta-
tionen, aber der Zug hält nicht an allen, nur an den
größeren."
„So? Gott fei Tank; an wie viel Stationen mag er
wohl noch anhalten?"
„O, das kann ich wirklich nicht so genau sagen, aber
es sind immerhin noch ziemlich viel. Aber der Herr Haupt-
mann haben noch nicht gehört, daß Herr Rittmeister von
Berneck —"
Ich weiß, ich weiß schon, es ist mir bereits gesagt
worden, ich danke Ihnen."
Damit fiel er in ein Kiffen zurück, und der Inspektor
verließ, ganz verdutzt über den raschen und wenig höflichen
Abschied, das Koupee. Kaum war er aber draußen, so löste
sich noch einmal ein kräftiges „Donnerwetter" von des
Hauptmanns Lippen, und ingrimmig murmelte er:
„Na, das kann ja noch recht hübsch werden."
Es war kurz vor 1 Uhr, als der Zug aus Hanau
abfuhr, und der Hauptmann legte sich nieder mit dem Vor-
sätze, nun einzuschlafen und sich durch keine weiteren Rufe
erwecken zu lassen. Der Vorsatz war gut, aber die Aus-
führung schwer. Schon war der gute Hauptmann viel zu
aufgeregt, um so ohne weiteres einschlafen zu können.
Kaum war er jedcch einige Minuten eingeschlummert, so
fuhr er wild empor; war es ihm doch selbst im Schlafe,
als wäre sein Name gerufen worden. Aergerlich legte er
sich auf die andere Seite, als er sich überzeugt, daß ihn
feine erregte Fantasie getäuscht. Jetzt fuhr der Zug lang-
samer, und als er ganz still stand, war auch der Haupt-
mann schon emporgeschnellt. Mit angehaltenem Athein
l aufchte er, und deutlich vernahm er, „StationLangenselbold."
Schon athmete er beruhigt auf, als er vernehmen konnte,
wie eine Stimme mit dem Schaffner sprach. Zwar konnte
er nicht verstehen, was da gesprochen wurde, aber fein Name,
den er deutlich aus dem Gespräch herausgehört, hatte ihm
genug gesagt. Wüthend sprang er aus dem Bette und
stürzte in seinen Schlafrock. Eben öffnete der Inspektor
die Thür des Vorkabinets, als der Hauptmann ihm mit
einem raschen Sprunge entgegentral.
„Herrrrrr," donnerte der Hauptmann den Jnspekor
an, der ganz perplex stehen blieb und kein Wort hervor-
zubringen wußte, „Herrrrrr, schereu Sie sich zum Teufel!"
„Aber Herr Hauptmann, ich wollte, — ich babe —"
„Nichts haben Sie, nichts wollen Sie, hinaus, jetzt,
habe ich's satt."
Der arme Beamte glaubte augenscheinlich, daß es mit
dem Hauptmann wohl nicht ganz ricbtig sei, und trat
schleunigst den Rückzug an. Mit Vehemenz schlug der
Hauptmann die Thür zu, und in das Koupee zurücktreteud,
ballte er grimmig die Fäuste, fuchtelte wild in der Luft umher,
lief einige Male in dem kleinen Raum wie ein gefangener
Tiger auf und ab und donnerte endlich, ganz und gar ver-
gessend, daß er nicht allein sei, los: „Donnerwetter, das
fft zum Rasendwerden. Wenn ich ihn nur hier hatte, o er
sollte es büßen!"
„Was fehlt ihnen denn, Esebeck?" brummte der
Oberstwachtmeister, „Sie machen ja den ganzen Zug
rebellisch."
„Mir, mir fehlt gar nichts, ich habe nur Zahnscknnerzen,"
antwortete ruhiger der Hauptmann.
„Zahnschmerzen? O, das thut mir leid. Aber Sie
müssen nicht daran denken, dann vergehen sie; vielleicht
können Sie schlafen, das hilft auch."
„Ja, ich will sehen, ob ich schlafen kann."
Er legte sich ans sein Lager, das chm jetzt so hart und
heiß und unbehaglich vorkam, daß er nicht eine Minute
still liegen konnte. Er sah nach der Ubr, es war halb
zwei. Er überdachte die endlose Reihe der Stationen,
die er noch vor sich hatte, und auf jeder tönte ihm gewiß
der nunmehr schon verhaßte Gruß entgegen. Es war zum
Verzweifeln. Er überlegte, was er tbnn könne, um sich der
ewigen Störung zu entziehen, aber es siel ihm nichts ein,
was irgendwie helfen konnte. Einen Augenblick dachte er
daran, auf der nächsten Station auszusteigen und morgen
weiterzufahren ; dann aber verwarf er den Plan wieder.
Was sollten auch die Kameraden von ihm denken, wenn er
so plötzlick in der Nacht seine Reise unterbrach.
Er schlug die Vorhänge des Fensters in dem Schlaf-
Koupee auseinander und blickte in die Nacht hinaus. Von
ferne schimmerten Lichter; das war gewiß schon der nächste
Bahnhof. Er sprang auf und griff nach dem Schlafrock.
Er kam gerade noch zurecht, um das Fenster öffnen zu
können, als der Zug in den Bahnhof einlief.
„Station Gelnhausen, eine Minute!"
Aus dem Schatten des Bahnhofsgebäudes löste sich
eine Gestalt in Uniform und schritt auf den Schaffner zu
Nnierüaliimgsbeilage zum „KackiMm Volksboim".
Nr. 19.
Sonntag, den 11. Mai.
1890.
Bitte ?u grüßen!
3) Humoreske von Eugen Gavain.
(Nachdruck verboten.)
Der Zug lief nach einer Fahrt von kaum 20 Minuten
im Bahnhof Hanau ein.
„Der Hauptmann von Esebeck ist also in diesem Schlaf-
wagen," hörte mau draußen die Stimme des Inspektors,
der bald darauf in der geöffneten Thür erschien. Der
Hauptmann schlief nun recht fest, aber die Stimme des
Inspektors, der selbst früher Soldat gewesen, drang so
kräftig durch den kleinen Raum, daß sie allenfalls sogar
Tvdte erwecken konnte. Mit einem Ruck war der Haupt-
mann in die Höhe gefahren und sah die Gestalt seines
Peinigers vor sich.
„Herr Hauptmann, entschuldigen Sie, daß ich Sie im
Schlafe stören muß; ich habe mich eines Auftrages au Sie
zu entledigen. Ihr Freund —"
„Donnerwetter!" Es war ein urkräftiges Donner-
wetter, ein Donnerwetter der Verzweiflung. Einen Augen-
blick hatte der Hauptmann beide Fäuste geballt, dann fuhr
er ruhiger, wie einer, der sich in sein Schicksal ergeben
hat, fort:
„Ich danke, Herr Inspektor, ich danke vielmals. Wie
viel Stationen haben wir Wohl noch bis Leipzig?"
„Bis Leipzig? O, da find noch eine Menge Sta-
tionen, aber der Zug hält nicht an allen, nur an den
größeren."
„So? Gott fei Tank; an wie viel Stationen mag er
wohl noch anhalten?"
„O, das kann ich wirklich nicht so genau sagen, aber
es sind immerhin noch ziemlich viel. Aber der Herr Haupt-
mann haben noch nicht gehört, daß Herr Rittmeister von
Berneck —"
Ich weiß, ich weiß schon, es ist mir bereits gesagt
worden, ich danke Ihnen."
Damit fiel er in ein Kiffen zurück, und der Inspektor
verließ, ganz verdutzt über den raschen und wenig höflichen
Abschied, das Koupee. Kaum war er aber draußen, so löste
sich noch einmal ein kräftiges „Donnerwetter" von des
Hauptmanns Lippen, und ingrimmig murmelte er:
„Na, das kann ja noch recht hübsch werden."
Es war kurz vor 1 Uhr, als der Zug aus Hanau
abfuhr, und der Hauptmann legte sich nieder mit dem Vor-
sätze, nun einzuschlafen und sich durch keine weiteren Rufe
erwecken zu lassen. Der Vorsatz war gut, aber die Aus-
führung schwer. Schon war der gute Hauptmann viel zu
aufgeregt, um so ohne weiteres einschlafen zu können.
Kaum war er jedcch einige Minuten eingeschlummert, so
fuhr er wild empor; war es ihm doch selbst im Schlafe,
als wäre sein Name gerufen worden. Aergerlich legte er
sich auf die andere Seite, als er sich überzeugt, daß ihn
feine erregte Fantasie getäuscht. Jetzt fuhr der Zug lang-
samer, und als er ganz still stand, war auch der Haupt-
mann schon emporgeschnellt. Mit angehaltenem Athein
l aufchte er, und deutlich vernahm er, „StationLangenselbold."
Schon athmete er beruhigt auf, als er vernehmen konnte,
wie eine Stimme mit dem Schaffner sprach. Zwar konnte
er nicht verstehen, was da gesprochen wurde, aber fein Name,
den er deutlich aus dem Gespräch herausgehört, hatte ihm
genug gesagt. Wüthend sprang er aus dem Bette und
stürzte in seinen Schlafrock. Eben öffnete der Inspektor
die Thür des Vorkabinets, als der Hauptmann ihm mit
einem raschen Sprunge entgegentral.
„Herrrrrr," donnerte der Hauptmann den Jnspekor
an, der ganz perplex stehen blieb und kein Wort hervor-
zubringen wußte, „Herrrrrr, schereu Sie sich zum Teufel!"
„Aber Herr Hauptmann, ich wollte, — ich babe —"
„Nichts haben Sie, nichts wollen Sie, hinaus, jetzt,
habe ich's satt."
Der arme Beamte glaubte augenscheinlich, daß es mit
dem Hauptmann wohl nicht ganz ricbtig sei, und trat
schleunigst den Rückzug an. Mit Vehemenz schlug der
Hauptmann die Thür zu, und in das Koupee zurücktreteud,
ballte er grimmig die Fäuste, fuchtelte wild in der Luft umher,
lief einige Male in dem kleinen Raum wie ein gefangener
Tiger auf und ab und donnerte endlich, ganz und gar ver-
gessend, daß er nicht allein sei, los: „Donnerwetter, das
fft zum Rasendwerden. Wenn ich ihn nur hier hatte, o er
sollte es büßen!"
„Was fehlt ihnen denn, Esebeck?" brummte der
Oberstwachtmeister, „Sie machen ja den ganzen Zug
rebellisch."
„Mir, mir fehlt gar nichts, ich habe nur Zahnscknnerzen,"
antwortete ruhiger der Hauptmann.
„Zahnschmerzen? O, das thut mir leid. Aber Sie
müssen nicht daran denken, dann vergehen sie; vielleicht
können Sie schlafen, das hilft auch."
„Ja, ich will sehen, ob ich schlafen kann."
Er legte sich ans sein Lager, das chm jetzt so hart und
heiß und unbehaglich vorkam, daß er nicht eine Minute
still liegen konnte. Er sah nach der Ubr, es war halb
zwei. Er überdachte die endlose Reihe der Stationen,
die er noch vor sich hatte, und auf jeder tönte ihm gewiß
der nunmehr schon verhaßte Gruß entgegen. Es war zum
Verzweifeln. Er überlegte, was er tbnn könne, um sich der
ewigen Störung zu entziehen, aber es siel ihm nichts ein,
was irgendwie helfen konnte. Einen Augenblick dachte er
daran, auf der nächsten Station auszusteigen und morgen
weiterzufahren ; dann aber verwarf er den Plan wieder.
Was sollten auch die Kameraden von ihm denken, wenn er
so plötzlick in der Nacht seine Reise unterbrach.
Er schlug die Vorhänge des Fensters in dem Schlaf-
Koupee auseinander und blickte in die Nacht hinaus. Von
ferne schimmerten Lichter; das war gewiß schon der nächste
Bahnhof. Er sprang auf und griff nach dem Schlafrock.
Er kam gerade noch zurecht, um das Fenster öffnen zu
können, als der Zug in den Bahnhof einlief.
„Station Gelnhausen, eine Minute!"
Aus dem Schatten des Bahnhofsgebäudes löste sich
eine Gestalt in Uniform und schritt auf den Schaffner zu