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Bammer, Anton [Oth.]; Muss, Ulrike <Univ.-Doz. Dr. phil> [Oth.]
Das Artemision von Ephesos: das Weltwunder Ioniens in archaischer und klassischer Zeit — Mainz am Rhein, 1996

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.30985#0085
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78

Artemis Ephesia

95

Ebenfalls zum Hort gehören die ägyp-
tisierenden und phönikischen Funde, wie
Skarabäen und Figürchen aus Fayence,
ein Bes und ein Fayenceplättchen mit
der Darstellung eines Pferdes oder Esels
(Abb. 107 - vgl. u. S. 86). Einen weite-
ren Teil des Fundkomplexes bilden zahl-
reiche Bronzefibeln, die vor allem Typen
repräsentieren, die im West- und Nord-
bereich des Tempels nicht vorkommen,
wie Fibeln mit einer Kugel auf dem Bügel
oder Gewandschließen, die mit flachen
Buckeln verziert sind, sowie solchen mit
einfachem verdicktem Biigel. Skarabäen
und Fibeln können dabei nicht zur ständi-
gen Ausstattung der Kultstatue gehört
haben, sondern waren hinzugefiigte, an-
geheftete Weihgaben.

Wie immer die Formen der Bernsteine
im Detail zu interpretieren sind, in ihren
Formen liegt der Schliissel zum Ver-
ständnis des Schmuckes der späteren
Artemis Ephesia, der «Vielbrüstigen».
Denn die römischen Nachbildungen der
Artemis Ephesia zeigen, wie oben dar-
gelegt wurde, auf dem Brustschmuck und
dem Ependytes sowohl Tiere als auch
eiförmige Gebilde, die mal als Eier, mal
als Brüste oder auch Stierhoden interpre-
tiert worden sind. Die tropfenförmigen
Bemsteine (Abb. 91) weisen mit letzteren
eine gewisse formale Analogie auf. Ihr
oberer «Gefäßrand» ist vielblättrig ge-
schnitten und hat die Form einer Blüte oder
eines Samens. Der Bauch des Objektes ist
im horizontalen Querschnitt oft auch nicht
kreisrund, sondern oval. Aller Wahr-
scheinlichkeit nach handelt es sich bei

ihnen um Imitationen von vielsamigen
Früchten wie Hagebutten, Mohn, Korn-
blumen. Vielleicht gehen die größeren und
später entstandenen Gebilde, die den
Brustschmuck der Artemis Ephesia (Abb.
83, 84) ausmachen, auf diese Bernsteine
zurück. Für den Hortfund bleibt zu bemer-
en, daß der Bernstein hier jene Material-
funktion einnimmt, die bei den jüngeren
Hinterfüllungsfunden dem Metall Elek-
tron zukommt.

Die Kultgürtel der Artemis

Als besonders aussagekräftig für die Re-
konstruktion der frühen Kultstatue sind
zwei Bronzegürtel (Abb. 93, 94) anzuse-
hen, welche unterhalb der Parallelmauer
des Tempels C an seiner östlichen Seite
gefunden worden sind. Dorthin gelang-
ten sie erst nachträglich im Zuge einer
Aufschüttung für den Tempel C. Ob ge-
rade diese beiden einmal zum Kultbild
gehörten, kann nicht bewiesen werden,
da sie nicht neben der Baldachinbasis ge-
funden wurden. Gürtel dieser Art gehör-
ten aber zum Schmuck des Kultbildes,
wie ein Blick auf die Rückseite der gro-
ßen Artemis Ephesia aus dem Pryta-
neion, die sich heute im Museum von Sel-
?uk (Abb. 95) befmdet, zeigt. Der Ver-
schluß der Gürtel ist in etwa identisch
gestaltet. Es existiert sowohl die phrygi-
sche Fibel als auch ein sich verjüngendes
Hakenelement.

Einer der beiden Gürtel aus dem Arte-
mision (Gürtel I) weist einen in regel-

mäßigen Abständen durchlöcherten Rand
auf, was darauf hinweist, das er - wahr-
scheinlich mit Leder - unterlegt war
(Abb. 93). Die Schnalle hat die Form
einer phrygischen Fibel mit stumpfem
Abschluß. Der Gürtel selbst besteht aus
einem in regelmäßigen Abständen durch-
löcherten Rand und daran anschließen-
den Streifen, die mit horizontalen Linien
ziseliert sind.

Der zweite Gürtel (Gürtel II) unter-
scheidet sich in mehreren Details von
Gürtel I. Die Gürtelschnalle weist zwar
auch einen phrygischen Fibelbügel auf,
dieser ist aber nicht wie jener des Gürtels I
aus einer Abfolge von fünf aufeinander-
geschmiedeten Ringelementen gebildet.
Der Fibelbügel selbst endet hier in Löwen-
köpfen (Abb. 94). Der Gürtel ist der
sichtbare Beweis für den Zusammenhang
zwischen dem alten Xoanon und der
römischen Kopie des Kultbildes. In die-
sem Sinne sind auch die Bernsteine und
anderen Schmuckstücke zu sehen.

Die Fundstelle der beiden Bronzegür-
tel zeigt, daß man sich offenbar scheute,
Kultgeräte und Weihegaben aus dem hei-
ligen Bereich zu entfernen, und daher
versenkte man sie - nachdem sie un-
brauchbar geworden waren - in der nä-
heren Umgebung wieder in der Erde.
Dies bringt uns nochmal zurück auf das
Wesen des Heiligtums selbst.

Die Veränderung der Architektur in
der Zentralbasis vom 8. bis zum 6. Jh.
v. Chr. brachte zwar eine strukturelle
Umgestaltung vom Ringhallentempel zur
Kapelle mit sich, aber es wurde dabei
nicht unterlassen, die alten Bauteile als
Fundamente wiederzuverwenden. Eine
solche Wiederverwendung ist als Zei-
chen der Wertschätzung zu verstehen;
man schrieb ihnen eine Art Heiligkeit zu.
Auch die Bausteine und nicht nur die
Weihgeschenke waren tabuisiert. Dies
bringt uns zum elementaren Gedanken
des frühen Tempels. Er selbst mit all sei-
nen Objekten war der Kult. Dies änderte
sich erst im 6. Jh. v. Chr., als sich Archi-
tektur und Skulptur verselbständigten.

Abb. 95 Rückseite der Artemis Ephesia,
der sog. Großen Artemis. Zu sehen ist ein
aus Metall gedachter Giirtel, mit Schließe in
Form einer phrygischen Fibel.
 
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