die Muskulatur von Schultergürtel und oberer Extremität. Das gleiche
gilt für das Skelett-Muskelsystem der unteren Extremität. Als Aufgabe
anatomischer Darstellung wird im Text die Herausschälung von Muskel-
gruppen bezeichnet, welche bestimmten Bewegungen, wie Beugung, Strek-
kung, Drehung usw., dienen; auch dieses Projekt sehen wir in einer Reihe
von Zeichnungen verwirklicht oder doch der Verwirklichung nahe-
gebracht. Das Verstehen des Bewegungsapparates ist nach Leonardo nur
unter Heranziehung der Mechanik möglich, welche dem Anatomiewerk
vorangestellt werden soll.
Ein eindrucksvolles Beispiel des Ringens Leonardos um ein Verstehen der
Konstruktion von Abschnitten des Skelett-Muskelsystems stellt seine
Analyse der tiefen zur Wirbelsäule ziehenden Rückenmuskulatur dar,
welche er mit den Schiffstauen vergleicht, die den Mast, d. h. die Wirbel-
säule aufrecht halten, gleichzeitig aber auch die Schiffsbrüstungen an den
Mast fixieren. Die von Leonardo vorgelegten Skizzen werden zwar den
tatsächlichen Gegebenheiten im einzelnen nicht gerecht, sie verraten je-
doch die Erkenntnis eines Konstruktionsprinzips, auf das unsere mo-
dernen Lehrbuchdarstellungen unter Heranziehung des gleichen Beispieles
aufmerksam machen (Braus, Benninghoff).
Zeichnungen wie Textstellen Leonardos offenbaren, daß er bei allem
Eindringen in die Einzelheiten der Struktur des Leibes stets den Blick
auf das lebendige Ganze gerichtet hatte. Neben den Präparatzeichnungen
steht eine Fülle von Aktfiguren, deren Gestalt oder Oberflächengliederung
aus der Analyse heraus verstanden werden soll. „Lege zuerst die Kenntnis
der einzelnen Teile dar, denn dann wirst Du das Ganze im Zusammen-
hang besser verstehen“, heißt es in den „Quaderni“. Durch zeichnerische Re-
synthese der schichtweise abgetragenen Formglieder und! Gewebe des Beines
bzw. Fußes z. B. soll schließlich (elftens) „der Fuß zu seiner vollendeten
Schönheit“ erstehen. Man wird nun fragen, ob Leonardos anatomische
Studien und besonders die in ihnen sich kundgebende Betrachtungsweise
auf den Künstler Leonardo bezogen werden können, ob sie überhaupt
etwas mit dem zur Erörterung stehenden Thema zu schaffen haben.
Diese Frage glaube ich, ohne den Dingen Gewalt anzutun, aus folgenden
Gründen bejahend beantworten zu können, auch dann, wenn Leonardo
sich nicht ausdrücklich in einer Reihe von Textstellen an den Maler
wenden würde.
In Leonardos- Werk hat ein Streben nach Verständnis der Gestalt des
Menschen seinen vollendeten Ausdruck gefunden, auf dessen Fährte wir
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gilt für das Skelett-Muskelsystem der unteren Extremität. Als Aufgabe
anatomischer Darstellung wird im Text die Herausschälung von Muskel-
gruppen bezeichnet, welche bestimmten Bewegungen, wie Beugung, Strek-
kung, Drehung usw., dienen; auch dieses Projekt sehen wir in einer Reihe
von Zeichnungen verwirklicht oder doch der Verwirklichung nahe-
gebracht. Das Verstehen des Bewegungsapparates ist nach Leonardo nur
unter Heranziehung der Mechanik möglich, welche dem Anatomiewerk
vorangestellt werden soll.
Ein eindrucksvolles Beispiel des Ringens Leonardos um ein Verstehen der
Konstruktion von Abschnitten des Skelett-Muskelsystems stellt seine
Analyse der tiefen zur Wirbelsäule ziehenden Rückenmuskulatur dar,
welche er mit den Schiffstauen vergleicht, die den Mast, d. h. die Wirbel-
säule aufrecht halten, gleichzeitig aber auch die Schiffsbrüstungen an den
Mast fixieren. Die von Leonardo vorgelegten Skizzen werden zwar den
tatsächlichen Gegebenheiten im einzelnen nicht gerecht, sie verraten je-
doch die Erkenntnis eines Konstruktionsprinzips, auf das unsere mo-
dernen Lehrbuchdarstellungen unter Heranziehung des gleichen Beispieles
aufmerksam machen (Braus, Benninghoff).
Zeichnungen wie Textstellen Leonardos offenbaren, daß er bei allem
Eindringen in die Einzelheiten der Struktur des Leibes stets den Blick
auf das lebendige Ganze gerichtet hatte. Neben den Präparatzeichnungen
steht eine Fülle von Aktfiguren, deren Gestalt oder Oberflächengliederung
aus der Analyse heraus verstanden werden soll. „Lege zuerst die Kenntnis
der einzelnen Teile dar, denn dann wirst Du das Ganze im Zusammen-
hang besser verstehen“, heißt es in den „Quaderni“. Durch zeichnerische Re-
synthese der schichtweise abgetragenen Formglieder und! Gewebe des Beines
bzw. Fußes z. B. soll schließlich (elftens) „der Fuß zu seiner vollendeten
Schönheit“ erstehen. Man wird nun fragen, ob Leonardos anatomische
Studien und besonders die in ihnen sich kundgebende Betrachtungsweise
auf den Künstler Leonardo bezogen werden können, ob sie überhaupt
etwas mit dem zur Erörterung stehenden Thema zu schaffen haben.
Diese Frage glaube ich, ohne den Dingen Gewalt anzutun, aus folgenden
Gründen bejahend beantworten zu können, auch dann, wenn Leonardo
sich nicht ausdrücklich in einer Reihe von Textstellen an den Maler
wenden würde.
In Leonardos- Werk hat ein Streben nach Verständnis der Gestalt des
Menschen seinen vollendeten Ausdruck gefunden, auf dessen Fährte wir
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