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Bargmann, Wolfgang
Anatomie und bildende Kunst — Freiburg im Breisgau: Verlag Karl Alber, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.53065#0037
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Artung von dem Vorstellungsvermögen des Forschenden und Lernenden
abhängt. Es ist nicht erschöpfend, wenn Konrad Fiedler bezüglich der-
jenigen Wissenschaft, welche sich des Sehorgans bedient, meint: „Das,
was man auf Grund der Gesichtswahrnehmung in seinen Besitz bringt,
ist kein Gesehenes und zu Sehendes, sondern ein Gewußtes und zu Wis-
sendes“. Den gleichen, von Hyrtl begangenen Weg der Gestaltung soll,
sc meint ein junger Mediziner in Gottfried Kellers Roman „Der Grüne
Heinrich“, auch der bildende Künstler einschlagen. In Henles Heidel-
berger Hörsaal lauscht der der Malerei zugewandte Grüne Heinrich den
Darlegungen des bedeutenden Lehrers, und in der Tat vollzieht sich in
seiner Einbildung infolge „der Gewöhnung des malerischen Bildwesens“
jene Synthese, die sich freilich ins allzu Phantastische steigert.
Wer nun meint, der bildende Künstler offenbare in seinen Leistungen
nur Errungenschaften seines Sehens und Vorstellens, das Hauptgewicht
der künstlerischen Tätigkeit liege auf dem Vorgang, welcher der Dar-
stellung vorangeht, vergißt, daß die Beziehung des bildenden Künstlers
zur Natur „keine Anschauungsbeziehung, sondern eine Ausdrucksbezie-
hung“ ist (Konrad Fiedler). „Wer sich den tatsächlichen Vorgang zu ver-
gegenwärtigen vermag, der stattfinden muß, um von einem bloßen Vor-
stellungsleben zu der sogenannten darstellenden Tätigkeit überzugehen,
der wird inne werden, daß in dem gesamten künstlerischen Vorgang das
bloße Schauen und Vorstellen nur einen Anfang, einen Ausgangspunkt
bedeutet . ..“, „während alle Entwicklung und Vollendung an die äußere
bildende Tätigkeit gebunden ist.“ Dieser Satz Konrad Fiedlers enthält
die bescheidende Antwort auf die Frage nach Art und Ausmaß der den
Morphologen und den Künstler verbindenden Beziehungen.
Damit stehen wir am Ende einer Betrachtung, die in der Feststellung
inniger Verknüpfung zwischen bildender Kunst und Anatomie, d. h.
Kunst und Wissenschaft, gipfelt, welche nach einem Worte aus Anselm
Feuerbachs „Vermächtnis“ „der alten Dame Kultur zuliebe Arm in Arm
wandeln bis an das Ende der Dinge“.

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