6
Die venetianische Schule.
schien das Staatsoberhaupt zugleich mit priesterlicher Würde bekleidet,
ähnlich den orientalischen Herrschern, die eine Zweitheilung kirchlichen und
weltlichen Regiments nicht kannten. Eine solche Herrschaft mußte natür-
lich anch weniger Gefahr lansen, dnrch Machiuatioueu der Hierarchie er-
schüttert zu werdeu. Obwohl uicht weniger glänbig als die übrige mittel-
alterliche Welt, wußten die Venetianer bei ihrer praktischen Lebensrichtnng
doch schärfer zu uuterfcheideu, was der weltlicheu Macht und was dem
Priesterthnrn gebührte. Und selbst der venetianische Prälat vergaß in seiner
kirchlichen Stellung nicht der patriotischen Pflichten, die er, als Sohn der
Republik, dieser schuldig zu seiu glaubte. Die Geschichte weist mehr als
eiu Beispiel uach, wo veuetiauische Cardiuäle ihren Einfluß uud ihre
Macht zu Guusteu des Staates geltend machten, dem sie auch im Dienste
der Kirche sich nicht zn entfremden vermochten.
Diese Verhältnisse mögen es erklären, weshalb die Kunst so lange
sie von der Kirche abhing, in Venedig keinen merkbaren Anfschwnng
nahm. Die starren Typen des Byzantinismus genügten den Venetianern
für das kirchliche Andachtsbild noch lange, als schon ans dem Festlande
lebendige und ausdrneksvolle Fresken die byzantinischen Mosaiken aus
Kircheu und Klöstern verdrängten. Der Staat und der Handel waren von
zu sehr verwiegendem Interesse, als daß der Laienstand von den Impulsen
berührt werden wäre, die im Mittelalter ven klerikaler Seite zur Pflege
der Künste und Wissenschaften ausging. Für den Kirchenbau bediente man
sich fremder Meisler nnd Vorbilder, und S. Marco, das Palladinm der
Stadt, ist eiu sprechendes Zengniß für den engen Zusammenhang, welchen
Venedig mit dem Orient unterhielt. Später wanderte die Gothik ein und
erlitt ebenfalls Umbildungen im orientalischen Sinne.
Erst als ein gewisser Stillstand im Wachsthum des Staates einge-
treten war, als hundert Inseln nnd der Sann: des Festlandes von Ra-
venna bis Ragusa dem Scepter Venedigs gehorchten, und der nach außer:
schweifende abenteuernde Sinn des Volkes dem Wunsche nach ruhigem Be-
sitz, uach ungestörten: Gennß der gewonnenen Resultate das Feld räumte,
wurde das Verlangen nach einem srenndlichem Schmuck der heimische::
Gestade von Tag zu Tag mächtiger. Dem eutsteheuden Kunstbedürfniß
konnte die Befriedigung um so schueller folgen, als die materieller: Mittel
zur Erreichung dieses Zieles in: vollen Maße vorhanden waren. So gab
nicht der kirchliche Sinn, sondern das Streber: des Staates, Denkmäler
seiner Größe und Macht zn gründen, den Anstoß zu jener fruchtbaren
Die venetianische Schule.
schien das Staatsoberhaupt zugleich mit priesterlicher Würde bekleidet,
ähnlich den orientalischen Herrschern, die eine Zweitheilung kirchlichen und
weltlichen Regiments nicht kannten. Eine solche Herrschaft mußte natür-
lich anch weniger Gefahr lansen, dnrch Machiuatioueu der Hierarchie er-
schüttert zu werdeu. Obwohl uicht weniger glänbig als die übrige mittel-
alterliche Welt, wußten die Venetianer bei ihrer praktischen Lebensrichtnng
doch schärfer zu uuterfcheideu, was der weltlicheu Macht und was dem
Priesterthnrn gebührte. Und selbst der venetianische Prälat vergaß in seiner
kirchlichen Stellung nicht der patriotischen Pflichten, die er, als Sohn der
Republik, dieser schuldig zu seiu glaubte. Die Geschichte weist mehr als
eiu Beispiel uach, wo veuetiauische Cardiuäle ihren Einfluß uud ihre
Macht zu Guusteu des Staates geltend machten, dem sie auch im Dienste
der Kirche sich nicht zn entfremden vermochten.
Diese Verhältnisse mögen es erklären, weshalb die Kunst so lange
sie von der Kirche abhing, in Venedig keinen merkbaren Anfschwnng
nahm. Die starren Typen des Byzantinismus genügten den Venetianern
für das kirchliche Andachtsbild noch lange, als schon ans dem Festlande
lebendige und ausdrneksvolle Fresken die byzantinischen Mosaiken aus
Kircheu und Klöstern verdrängten. Der Staat und der Handel waren von
zu sehr verwiegendem Interesse, als daß der Laienstand von den Impulsen
berührt werden wäre, die im Mittelalter ven klerikaler Seite zur Pflege
der Künste und Wissenschaften ausging. Für den Kirchenbau bediente man
sich fremder Meisler nnd Vorbilder, und S. Marco, das Palladinm der
Stadt, ist eiu sprechendes Zengniß für den engen Zusammenhang, welchen
Venedig mit dem Orient unterhielt. Später wanderte die Gothik ein und
erlitt ebenfalls Umbildungen im orientalischen Sinne.
Erst als ein gewisser Stillstand im Wachsthum des Staates einge-
treten war, als hundert Inseln nnd der Sann: des Festlandes von Ra-
venna bis Ragusa dem Scepter Venedigs gehorchten, und der nach außer:
schweifende abenteuernde Sinn des Volkes dem Wunsche nach ruhigem Be-
sitz, uach ungestörten: Gennß der gewonnenen Resultate das Feld räumte,
wurde das Verlangen nach einem srenndlichem Schmuck der heimische::
Gestade von Tag zu Tag mächtiger. Dem eutsteheuden Kunstbedürfniß
konnte die Befriedigung um so schueller folgen, als die materieller: Mittel
zur Erreichung dieses Zieles in: vollen Maße vorhanden waren. So gab
nicht der kirchliche Sinn, sondern das Streber: des Staates, Denkmäler
seiner Größe und Macht zn gründen, den Anstoß zu jener fruchtbaren