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Dr. Becker & Newman (Köln); Ensor, James [Ill.]
Ausstellung James Ensor: Oktober-November : Eröffnung, Samstag, den 26. Oktober — Köln: Dr. Becker-Newman, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.73319#0008
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Albert Ehrenstein
JAMES ENSOR

Man weiß, auch die talentiertesten Engländer trennt noch ein M< t
von der Malerei — von der Genialität jener niederländisch-vlämiscf
Kunst, deren unabwendbare Wirklichkeit so tief ist, daß hinter . ,
Metaphysik spukt. Der Anglo-Belgier James Ensor hat den realen^
und mystischen Rubicon: den trennenden Aermelkanal vor seiner
Geburt überschritten. Ihm gehört die Welt der fleischhaften, sinnlichen
Erscheinungen von Anbeginn ebensowohl wie die Geisterwelt.
James Ensor, 1860 geboren, wuchs in Ostende auf. Am Meer.
Am bittern, wilden Wintermeer der Fischer und Meerestiere, an
der zahmeren Sommersee des Kurplunders und der Lebeflunderr
Im Laden seiner Mutter und Tante fand er Produkte fernöst' he
Kunstgewerbes. Gegen Ende der 7Oer Jahre suchte er die nah
westliche Kunstakademie von Brüssel heim, durchaus abstinent -
was den dort gelehrten Normalkitsch anlangt. Schon seine ältester:
Zeichnungen und Bilder waren ein Protest gegen Beschränktheit)
der Lehrer und Bürger, sowie ihre Zusammenfassung und Synthese:;
die engstirnigste Kritik. Seine ersten Arbeiten sprachen deutlich'
,,Odi profanum vulgus", zu deutsch: ich hasse das populäre Pub-
likum — und er machte sich lustig über diese armen Nichtritter von/
der traurigsten Gestalt. Dem allzu scharf Sehenden wird das dumm
und ungeschickt Vegetierende leicht zum Pöbel. Man vergalt Ensor
seinen Grimm gegen Reaktion und Roheit jeder Art mit Skandalen,
Boykott, der zu spät erst der Anerkennung,dem Erfolg,dem Ruhm wich,
Auffällig ist des Zeichners Ensor Vorliebe für Skelette, sein Hang^
bei Bäumen, Schiffen, Menschen das Skelett zu sehen. Der Laub-
wald ist ihm eine hinfällige Versammlung entblätterter Bäume, der'
Mensch eine hinfällige Sammlung verfliegender Träume. Er ist ein
anarchischer Zeichner grotesker Schlachten, Heerwürmer, Masken-)
züge, geheimnisvoller Städte, unterweltlicher Tänze und Erntefestes
des grinsenden Todes. In eines Pandämoniums tausend Ver-^
zerrungen,Wahnideen, Karikaturen, Grimassen, lionardesken Fratzen
offenbart sich ein Zeichner des Todes, ein Maler des rasch ver-l'
wesenden Lebens. Er ist ein Musikus der unheimlichen Stille, dert
Meeresstille, der von Geräuschen das feine Geriesel des Sandes, derj
Sanduhr, des ewig die Dünen bekämpfenden Windes zuerst und zutiefst
 
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