FRÜHZEIT DES RUBENS
Gerade die Nachzeichnungen und Aufzeichnungen des Rubens, die er in Italien hergestellt
hat, jene Ergebnisse seiner lernenden und suchenden Auseinandersetzung mit anderen
Künstlerindividualitäten, um seine eigene Persönlichkeit zu finden, verwendet er be-
denkenlos in eigenen Kompositionen. Aber nicht zum wenigsten dadurch, daß ihre Aus-
drucksfunktion fast immer völlig abgewandelt und zu neuer Bedeutung eingestellt wird,
also von innen heraus durch den Geist des Rubens neue Lebendigkeit und neue Daseins-
voraussetzung erhält, empfangen sie das Blut ihres neuen Meisters und werden so seine
ureigensten Geschöpfe. Besonders die Studien nach antiken Bildwerken, die die Frucht
seiner archäologischen Studien, welche er zusammen mit seinem Bruder Philipp in Rom
betrieben hat, darstellen, können in ihrer Eigenart der Umarbeitung wertvolle Auf-
schlüsse über die Individualität und die Schaffensweise des Meisters geben, deren An-
führung aber — so erläuternd zu allem Obigen sie auch wären ■— doch über diesen
engeren Rahmen hinausgehen würde. Ob Vorbildlichkeit des Naturmodelles oder Um-
prägung desselben durch einen anderen künstlerischen Schaffens willen, das gilt ihm
gleich; das Entscheidende dabei ist nur, daß Rubens das Wesen des Neuschöpfers in
der eigenen Persönlichkeit zu umfassen vermag, sich selbst also und seine Kunst im
fremden Werke erleben kann. So sind direkte, formale Entlehnungen auch des zur
bewußten Selbständigkeit schon durchgedrungenen Künstlers nach der Antike,1 nach
Tizian, nach Raffael und anderen nachweisbar; kaum aber solche nach dem gleichfalls
von ihm hochgeschätzten Tintoretto, ja selbst Correggio, deren individuelle Menschlichkeit
ihm mehr oder weniger fremd war. Nur das Absolute ihrer Geistigkeit zwingt ihn in
tieferer Bindung in ihre Gefolgschaft.
Das Kolorit der Studie zur Beschneidung Christi zeigt im Gegensätze zu der Tonigkeit
der erstbehandelten Skizze der Akademie eine leuchtende Buntheit. Die Wahl der
einzelnen Lokalfarben und ihre Kontrastierung lassen eigentlich schon ganz die Skala
rubensischer Harmonien erkennen. Nur ist ihre dekorative Intensität stärker, aber auch
primitiver in ihrer geringeren Nuancierung der einzelnen Grundfarben. Die Lichtpartien
sind von kühler durchdringender Helligkeit und stehen in zugespitzt dramatischer Gegen-
sätzlichkeit zu den braunen dunklen Schattentiefen.
Das Inkarnat, besonders der in hellem Lichte schwebenden Engelknaben, zeigt neben
der leuchtenden Frische blühender rosa und gelbrosa Fleischfarben mit den stellenweise
blutig roten Reflexen in auffälliger Weise bläuliche Zwischentöne; dadurch ergibt sich
vielfach ein bemerkenswertes Vorwegnehmen des reifen rubensischen Kolorits. Ob diese
frühe Vollkommenheit nicht unter dem unmittelbaren Einflüsse der Kunst des F. Barroccio
1 Von F. M. Haberditzl wurden die wichtigsten An- und Entlehnungen auf diesem Gebiete in seinen «Studien übei
Rubens« im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Band XXX, 1911/12, zusammen-
gestellt und ihrem inneren und äußeren Wesen nach charakterisiert.
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Gerade die Nachzeichnungen und Aufzeichnungen des Rubens, die er in Italien hergestellt
hat, jene Ergebnisse seiner lernenden und suchenden Auseinandersetzung mit anderen
Künstlerindividualitäten, um seine eigene Persönlichkeit zu finden, verwendet er be-
denkenlos in eigenen Kompositionen. Aber nicht zum wenigsten dadurch, daß ihre Aus-
drucksfunktion fast immer völlig abgewandelt und zu neuer Bedeutung eingestellt wird,
also von innen heraus durch den Geist des Rubens neue Lebendigkeit und neue Daseins-
voraussetzung erhält, empfangen sie das Blut ihres neuen Meisters und werden so seine
ureigensten Geschöpfe. Besonders die Studien nach antiken Bildwerken, die die Frucht
seiner archäologischen Studien, welche er zusammen mit seinem Bruder Philipp in Rom
betrieben hat, darstellen, können in ihrer Eigenart der Umarbeitung wertvolle Auf-
schlüsse über die Individualität und die Schaffensweise des Meisters geben, deren An-
führung aber — so erläuternd zu allem Obigen sie auch wären ■— doch über diesen
engeren Rahmen hinausgehen würde. Ob Vorbildlichkeit des Naturmodelles oder Um-
prägung desselben durch einen anderen künstlerischen Schaffens willen, das gilt ihm
gleich; das Entscheidende dabei ist nur, daß Rubens das Wesen des Neuschöpfers in
der eigenen Persönlichkeit zu umfassen vermag, sich selbst also und seine Kunst im
fremden Werke erleben kann. So sind direkte, formale Entlehnungen auch des zur
bewußten Selbständigkeit schon durchgedrungenen Künstlers nach der Antike,1 nach
Tizian, nach Raffael und anderen nachweisbar; kaum aber solche nach dem gleichfalls
von ihm hochgeschätzten Tintoretto, ja selbst Correggio, deren individuelle Menschlichkeit
ihm mehr oder weniger fremd war. Nur das Absolute ihrer Geistigkeit zwingt ihn in
tieferer Bindung in ihre Gefolgschaft.
Das Kolorit der Studie zur Beschneidung Christi zeigt im Gegensätze zu der Tonigkeit
der erstbehandelten Skizze der Akademie eine leuchtende Buntheit. Die Wahl der
einzelnen Lokalfarben und ihre Kontrastierung lassen eigentlich schon ganz die Skala
rubensischer Harmonien erkennen. Nur ist ihre dekorative Intensität stärker, aber auch
primitiver in ihrer geringeren Nuancierung der einzelnen Grundfarben. Die Lichtpartien
sind von kühler durchdringender Helligkeit und stehen in zugespitzt dramatischer Gegen-
sätzlichkeit zu den braunen dunklen Schattentiefen.
Das Inkarnat, besonders der in hellem Lichte schwebenden Engelknaben, zeigt neben
der leuchtenden Frische blühender rosa und gelbrosa Fleischfarben mit den stellenweise
blutig roten Reflexen in auffälliger Weise bläuliche Zwischentöne; dadurch ergibt sich
vielfach ein bemerkenswertes Vorwegnehmen des reifen rubensischen Kolorits. Ob diese
frühe Vollkommenheit nicht unter dem unmittelbaren Einflüsse der Kunst des F. Barroccio
1 Von F. M. Haberditzl wurden die wichtigsten An- und Entlehnungen auf diesem Gebiete in seinen «Studien übei
Rubens« im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Band XXX, 1911/12, zusammen-
gestellt und ihrem inneren und äußeren Wesen nach charakterisiert.
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