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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — Band 7.1925

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Schwarz, Heinrich: Renoirs Baigneuses
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https://doi.org/10.11588/diglit.69286#0122
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HEINRICH SCHWARZ

den Ufern der Seine entkleiden und dem Künstler »sitzen« mußte1, sondern sie ist das
Weib schlechthin, das Urweib: sinnlich und daseinsfreudig, heiter und kraftstrotzend.
Ein Symbol ohne jede Aktualität von Zeit und Raum. "Was bei der blonden Baigneuse
begann, ist hier vollendet. Renoir kommt hier der Antike am nächsten. Nicht in der
Statik der Figur. Hier entfernte er sich gerade weit von der Antike und nähert sich
dem Dixhuitieme, aber in der Monumentalität und Isolierung der menschlichen Erschei-
nung. Der Körper hat trotz seiner Schwere, seiner vitalen Räumlichkeit, die den Rahmen
zu sprengen droht, seine Ruhe und Tektonik verloren. Er ruht nicht mehr sicher auf
breiter Grundlage, sondern der ganze Körper ist in Bewegung geraten. Er scheint auf
dem Bein zu rotieren2, der mächtige Oberschenkel umfaßt in weiter Kurve den Körper,
der Fuß verschwindet unter dem Tuch und setzt so die Bewegung in den Bildraum
fort. Die eine Hand greift in den dichten Haarmantel, der den Rücken umflutet, und
über den Arm und den geneigten Kopf fließt die Linie melodisch-rhythmisch wieder
zum Fuß zurück. Die Unmittelbarkeit und Zufälligkeit des Naturausschnittes — pro-
grammatische Bedingung des Impressionismus — ist geschwunden. An Stelle bewußter
Improvisation trat lineare Komposition. Die Farbe ist leuchtender geworden und hat
eine neue Funktion übernommen. Renoir steht dem Akt nicht mehr so distanziert gegen-
über, daß sich der Körper ganz in farbige Illusion auflöst, die sich erst im Bilde wieder
zur Dreidimensionalität zusammenschließt. Er nähert sich der schimmernden Oberfläche
der Haut und sucht so dem Wunder der Erscheinung beizukommen. Die Malerei ist
eine durch Renoirs Impressionismus unendlich geläuterte und sublimierte Miniatur-
malerei geworden. Man denkt an den Knaben, der in der Porzellanfabrik Tassen und
Vasen, an den Jüngling, der im Atelier der Rue du Bac durchsichtige Stores bemalte.
Er steigert die Plastik des Körpers durch die unendlich feinen Degradierungen und
Nuancen der rosafarbigen Töne und grünlichen Schatten. Der Körper — das Zentrum
künstlerischer Konzentration — erscheint als Kontinuität zartester und reichster Ab-
stufungen weniger Valeurs, deren Übergänge nicht abzugrenzen sind und die ineinander
verfließen und sich unter einem unsichtbaren Schleier zu opalisierender Einheit ver-
schmelzen. Die rhythmische Linienkunst Renoirscher Spätakte hat hier in der Farbigkeit
den adäquaten Ausdruck gefunden. Die Steigerung der Illusion plastischer Erscheinung
und farbiger Oberfläche steigert auch die Sinnlichkeit des Frauenkörpers; er wird vitaler
und — im höchsten Sinne — animalischer. Er atmet Leben. Aus der optischen Vision
ist körperliche Fülle und Rundung geworden.

1 Es bleibt dabei bedeutungslos, daß Renoir auch diesen Akt nach der Natur malte. Das Modell war Renoirs Bonne Renee.

2 Noch ausgeprägter auf einer Variante des Bildes in der Sammlung Vollard. Abbildung bei Riviere nach S. 184. Daselbst
eine zweite Variante von 1905 in der Sammlung Durand-Ruel, die dem Wiener Bild näherkommt. Vgl. Meier-Graefe,
Renoir, München 1920, S. 155.

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