ÜBER DIE ZWECKMÄSSIGKEIT VON BILDERAUFSCHRIFTE N
ihn Don Quixote an, »am allerwenigsten zur Kunstbetrachtung, weil dein Unverstand alles
verwirrt. Die Methode schreibt vor, daß man die Aufschrift zuerst im ganzen lese und
so vorbereitet sich der Betrachtung des Bildes zuwende. Die Leute, die ein wirkliches
Verständnis für die Kunst zeigen und nicht solche Gaffer wie du, haben so große Übung
darin, daß sie mit raschem Blick den Titulus mit dem Bild vergleichend prüfen und, wenn
sie mit der Zuschreibung an den Maler einverstanden sind, gleich zum nächsten Bild
übergehen, wie neulich der Baccalaureus tat und sich so auch dem Herzog gegenüber
als Kenner erwies«. — »Wenn ich Statthalter auf der Insel bin, die Ihr mir versprochen
habt«, erwiderte Sancho trotzig, »werde ich zuerst dem Baccalausius und seinesgleichen
bei Todesstrafe verbieten, mein Land zu betreten und dann nach Erledigung der
wichtigsten Regierungsgeschäfte gleich darangehen, eine solche Galerie mit den schönsten
Bildern mir anzuschaffen, meiner Würde entsprechend, wie der König sagte, als er sich
den höchsten Orden zuerst umhängte. Aber Aufschriften und Täfelchen darf es bei den
Gemälden nicht geben; es muß wie im Himmel sein, wo doch gewiß nicht angeschrieben
steht, ob man im ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten oder gar im siebenten
Himmel ist, und es nur an der Seligkeit ermessen kann. Und dann soll das Volk herein-
kommen und alles für sich betrachten. Inzwischen setze ich mich zum Ausgang hin, und
wenn dann einer mit fröhlichem, heiterem Gesicht heraustritt, so winke ich ihn zu mir
und sage ihm: Lieber Freund, da du so zufrieden dreinblickst, trägst du mir sicher so
manches Bild im Kopf nach Hause weg. Erzähl' mir doch, was du an diesem oder jenem
gesehen. Und wenn er das recht ausführlich vermag, so schenke ich ihm einen Taler,
wenn er mir aber auch noch die Farben zu schildern weiß, einen Doppeltaler«. — »Aber,
Sancho«, sagte Don Quixote, »da wirst du bald ein armer Mann werden, denn das ist
wahrlich kein Kunststück, was du für zwei Taler verlangst. Überhaupt, deine Marotte
gegen die Täfelchen ist lächerlich. Hättest du gesagt, sie gefallen dir nicht, weil sie auf
den Rahmen oder auf der schönen Wandbespannung kleben und marktschreierisch wie
die Preistafeln beim Kuchenbäcker den edlen Eindruck der farbigen Welt stören, so
ließe sich darüber reden, und auch ich muß dir gestehen, daß mir flüchtig solche Bedenken
aufstiegen. Aber deine Gründe sind so fadenscheinig, daß man leicht den innersten
Grund erschaut: da du nicht lesen kannst, machst du, ein Pfiffikus, aus der Not eine
Tugend und ein großes Geschrei über Dinge, die dich wahrlich nichts angehen«. — Und
so endigte sich für jetzt ihr Gespräch.
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ihn Don Quixote an, »am allerwenigsten zur Kunstbetrachtung, weil dein Unverstand alles
verwirrt. Die Methode schreibt vor, daß man die Aufschrift zuerst im ganzen lese und
so vorbereitet sich der Betrachtung des Bildes zuwende. Die Leute, die ein wirkliches
Verständnis für die Kunst zeigen und nicht solche Gaffer wie du, haben so große Übung
darin, daß sie mit raschem Blick den Titulus mit dem Bild vergleichend prüfen und, wenn
sie mit der Zuschreibung an den Maler einverstanden sind, gleich zum nächsten Bild
übergehen, wie neulich der Baccalaureus tat und sich so auch dem Herzog gegenüber
als Kenner erwies«. — »Wenn ich Statthalter auf der Insel bin, die Ihr mir versprochen
habt«, erwiderte Sancho trotzig, »werde ich zuerst dem Baccalausius und seinesgleichen
bei Todesstrafe verbieten, mein Land zu betreten und dann nach Erledigung der
wichtigsten Regierungsgeschäfte gleich darangehen, eine solche Galerie mit den schönsten
Bildern mir anzuschaffen, meiner Würde entsprechend, wie der König sagte, als er sich
den höchsten Orden zuerst umhängte. Aber Aufschriften und Täfelchen darf es bei den
Gemälden nicht geben; es muß wie im Himmel sein, wo doch gewiß nicht angeschrieben
steht, ob man im ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften, sechsten oder gar im siebenten
Himmel ist, und es nur an der Seligkeit ermessen kann. Und dann soll das Volk herein-
kommen und alles für sich betrachten. Inzwischen setze ich mich zum Ausgang hin, und
wenn dann einer mit fröhlichem, heiterem Gesicht heraustritt, so winke ich ihn zu mir
und sage ihm: Lieber Freund, da du so zufrieden dreinblickst, trägst du mir sicher so
manches Bild im Kopf nach Hause weg. Erzähl' mir doch, was du an diesem oder jenem
gesehen. Und wenn er das recht ausführlich vermag, so schenke ich ihm einen Taler,
wenn er mir aber auch noch die Farben zu schildern weiß, einen Doppeltaler«. — »Aber,
Sancho«, sagte Don Quixote, »da wirst du bald ein armer Mann werden, denn das ist
wahrlich kein Kunststück, was du für zwei Taler verlangst. Überhaupt, deine Marotte
gegen die Täfelchen ist lächerlich. Hättest du gesagt, sie gefallen dir nicht, weil sie auf
den Rahmen oder auf der schönen Wandbespannung kleben und marktschreierisch wie
die Preistafeln beim Kuchenbäcker den edlen Eindruck der farbigen Welt stören, so
ließe sich darüber reden, und auch ich muß dir gestehen, daß mir flüchtig solche Bedenken
aufstiegen. Aber deine Gründe sind so fadenscheinig, daß man leicht den innersten
Grund erschaut: da du nicht lesen kannst, machst du, ein Pfiffikus, aus der Not eine
Tugend und ein großes Geschrei über Dinge, die dich wahrlich nichts angehen«. — Und
so endigte sich für jetzt ihr Gespräch.
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