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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 9. Jahrgang: Heft 7/​8.1930

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Schmarsow, August: Zur Wesensbestimmung des Trecento
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https://doi.org/10.11588/diglit.69561#0022

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Zur Wesensbestimmung des Trecento
Kon August Schmarsow
»Gotik in der Renaissance«, lautet der überraschende Titel eines Büchleins von 1921,
das schon alle die feinen Unterscheidungen der Sinnesart aufdeckt, die dann in dem zwei-
bändigen Werk von 1928 »Italienische Kunst im Zeitalter Dantes« für das Trecento selbst
zumAustrag kommen1. Zwei Doppelmonographien zur altniederländischen Malerei, »Hubert
und Jan van Eyck« für die nördliche Hälfte, mit »Robert van der Kampine und Roger
van der Weyden« für das südliche Flandern, beide 1924 abgeschlossen, verzögerten die
Rückkehr nach Italien, dessen Denkmäler nach der Kriegsabsperrung wieder besucht und
aufs neue nachgeprüft werden mußten, bevor die reifen Ergebnisse mehrfach wiederholter
Vorlesungen an der Leipziger Universität zu einer gedrängten Auswahl der Hauptzeugen
zusammengefaßt und mit der vollen Frische lebendiger Anschauung ausgestattet (mit
150 Tafeln zum Text von 200 Seiten) einem Leserkreis dargeboten werden konnten. Im
Verkehr mit Dantes Dichtung war die Einsicht aufgegangen, wie den bildenden Künsten
seiner Zeit ihr innerstes Wesen abgelauscht werden möchte. Nur in Übereinstimmung
mit der Wortkunst dieses maßgebenden Vollenders ließ sich der Schlüssel zum richtigen
Verständnis aller sinnlich sichtbaren Schöpfungen seiner Lebenstage und seiner unmittel-
baren Wirkungssphäre finden. Wie weit reicht seine eigene Fähigkeit, Kunstwerke, die ihm
auf dem Läuterungsberg vor Augen kommen, damit er bei ihrem Anblick in sich gehe
und von Irrungen befreit werde, auch dem Leser seiner Verse zu vermitteln? Da dient ein
Relief mit der Verkündigung an Maria als Beispiel demütiger Bescheidenheit; aber der
Dichter gibt nur die Rückübersetzung in den Wortlaut der Botschaft und der Antwort,
den man damals wohl gar hineinzuschreiben pflegte. Die Gerechtigkeit Trajans wird in
einem Zwiegespräch mit der armen Witwe vorgeführt, die sich erkühnte, dem Kaiser beim
Ausritt zum Kriegszug in den Zügel zu fallen, und hier gibt es wiederholte Rede und
Gegenrede, bis der Machthaber zustimmt, ihr sofort Recht zu schaffen — also eine Abfolge
von Momenten, der nur die Sprache nachzueifern vermag, der einzige Augenblick des
Bildes jedoch nicht. Da liegt das ganze Problem der Illustration zutage. Der Dichter be-
hauptet geschaut zu haben, was nur die eigene Phantasie so ergänzen konnte, oder gar
die Erinnerung an die gelesene Anekdote geleistet hat2.
Auch das gezeichnete oder gemalte Bild wird durch die dichterische Quelle der heiligen
Schriften oder die mündliche Überlieferung der Geistlichen bestimmt, die alle Aufgaben
stellen. Wie der Satzbau mit seiner Paarigkeit von Subjekt und Prädikat, so auch die Bild-
gestaltung; oder gar, wie die Wortbildung aus Stammsilben und Anhängseln, die Versform
des Dichters aus Längen und Kürzen, Hebungen und Senkungen der Stimme, so waltet
das Gesetz der Reihung von Haupt- und Nebensachen, zwei Gliedern, die ein Bindeglied
zusammenhält und erst zur Aussage verquickt, die beide Bestandteile mit ihrem Sinn er-
1 Augsburg, Dr. Benno Filser Verlag, 1928. 2 Vgl. Zeitschr. f. Ästh. u. allg. Kunstwissenschaft, Stutt-
gart, XVII, 1925.

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