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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 9. Jahrgang: Heft 7/​8.1930

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Pazaurek, Gustav Edmund: Mittelalterlicher Edelsteinschliff[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69561#0277

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Mittelalterlicher Edelsteinschliff

Als sich die Pariser Edelsteinschleifer zu Ende des 1 5. Jahrhunderts zu einer Zunft
zusammenschließen, mögen die Schleifmühlen jedenfalls schon in Tätigkeit gewesen sein.
Von Krystallgefäßen hören wir allerdings erst aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, als
1552 der Goldschmied Etienne de la Fontaine von König Johann II. (f 1564) eine Rech-
nung für Arbeiten vorlegt, an denen auch Pierre Cloet beteiligt ist; auch in den Inven-
taren Karls V. (1580) und Karls VI. (1418) werden Krystallgefäße angeführt. Vielleicht
gehört unter diese Arbeiten auch jene, durch die Fassung im Renaissancegeschmack ganz
entstellte Kanne der Apollon-Galerie des Louvre1, deren abgeplattet kugeliger Bauch und
hoher zylindrischer Hals noch nicht facettiert sind, deren Henkel jedoch bereits drei
krabbenartige Ansätze aufweist, die für die hochgotischen Krystallarbeiten charakte-
ristisch werden.
Solche Arbeiten mag während seines Jugendaufenthaltes in Frankreich Kaiser Karl IV.
kennen und lieben gelernt haben, da wir bald darauf ähnliches in seiner Residenz Prag
weiter verfolgen können. Vorher war in Böhmen von Edelsteingefäßen nicht viel die
Rede und die Notiz, daß zum Beispiel 1245 König Wenzel I. von den Zisterzienserinnen
in Oslawan zwei Krystallampullen 2 kauft, die er dem Prager Agneskloster schenkt, ist ver-
einzelt; vielleicht waren es sogar byzantinische oder noch wahrscheinlicher fatimidische
Fläschchen, etwa für Jordanwasser oder Erde aus dem Gelobten Lande. Der noch im
17. Jahrhundert sprichwörtliche Edelsteinreichtum Böhmens3, der erst unter Kaiser Ru-
dolph II. systematisch ausgenützt wurde, war im Mittelalter noch unverbraucht, ja kaum
entdeckt, da erst die unter den prachtliebenden Königen Wenzel II. und Ottokar II. die
immer zahlreicher auftretenden Goldschmiede diese Schätze zu nutzen begannen, aber
erst seit ihrem Zusammenschluß zur Prager Goldschmiedezunft 1 524 größere Ansprüche
gestellt haben mochten. Als Karl IV. nach dem Tode seines 1546 bei Crecy auf französi-
scher Seite gefallenen Vaters Johann die Regierung seines Erblandes antritt und bald
darauf, vom Papst in Avignon wie von Frankreich unterstützt, auch deutscher König wird,
gilt seine Hauptsorge seiner Residenz Prag, zu deren Prachtentfaltung zahlreiche Künstler
aus Frankreich, Deutschland und Italien herangezogen werden. Er war aber nicht nur
ein sehr kluger und weitblickender Politiker, sondern auch ein leidenschaftlicher Sammler,
nämlich von Reliquien, die ihm von allen Seiten in unglaublichen Mengen verehrt
wurden. Alle diese Heiligenreliquien, meist blindgläubig und kritiklos hingenommene
1 Abb. in L'art pour tous. XVIII, Nr. 457—1828. (Irrtümlich wird hier auch das Krystallgefäß selbst ins
16. Jahrhundert versetzt); desgleichen bei C. J. Lamm, Mittelalterliche Gläser, Tafel 80, Nr. 8, wo auch unter
Nr. 4 ein verwandtes kleineres Gefäß aus der Londoner Rothschild-Sammlung ohne Facetten, aber auch ohne
Henkelkrabben (Lamm nennt diese »querstabähnliche Vorsprünge«), festgehalten ist, das auch in Paris ent-
standen sein mag, ebenso die auch nicht kantige Kanne des Victoria and Albert-Museums in London (ebenda,
80, Nr. 9), deren Henkel Krabben zeigt. 2 Joseph Neuwirth: Geschichte der Christlichen Kunst in Böhmen
bis zum Aussterben der Pfemysliden, Prag 1888. S. 502. (Nach Erben, Regesta Boh. Nr. 1121, S. 350). — Die
daselbst genannten »Krystallampein« sind selbstverständlich keine Beleuchtungskörper. 3 Die wiederholt zitierte
Stelle des Jesuiten Balbin (Miscellanea historica regni Bohemiae, 1679), daß der Stein, mit dem der Hirt nacli
einer Kuh wirft, oft wertvoller ist als die Kuh selbst, wird nicht nur von G. B. Hancke (Beschreibung von
Kuckus) zu einer ganzen Ode erweitert, sondern begegnet uns, ebenfalls in Alexandrinern, auf einem email-
bemalten Fichtelgebirgs-Maigelein der ehemaligen Sammlung von Dr. Max Strauß in Wien.
 
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