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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 9. Jahrgang: Heft 7/​8.1930

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Pazaurek, Gustav Edmund: Mittelalterlicher Edelsteinschliff[1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69561#0278

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Gustav E. Pazaurek

Seltsamkeiten, erheischten aber eine möglichst kostbare Edelmetall- und Edelsteinfassung,
wodurch die Goldschmiede und Edelsteinschleifer eine ungeahnte Blüteperiode erreichten
und so stark beschäftigt waren, daß selbst noch hundert Jahre später, nach den ausgiebig-
sten Plünderungen durch die Hussiten, Äneas Sylvius den gewaltigen Reichtum der
Kirchenschätze selbst in kleineren Orten nicht genug zu rühmen weiß.
Dazu kam noch eine nur auf Böhmen beschränkte, keineswegs auf französische An-
regungen zurückzuführende, fast barbarische Liebhaberei des Kaisers, in besonders bedeu-
tungsvollen Räumen, wie in der Wenzelskapelle des Prager Doms oder in der Kreuz-
und Katharinenkapelle der von ihm gebauten Burg Karlstein, alle Wände ganz mit
meist unregelmäßig gelassenen, nur auf der Schauseite polierten, in den Verputz einge-
fügten Halbedelsteinen, deren vergoldete Fugen seine Wappen aufgepreßt tragen, vollzu-
pflastern1. Eine solche Anhäufung, wie die oft recht beträchtliche Größe dieser meist in
Böhmen selbst gefundenen Karneole oder Amethyste, Chrysoprase oder Achate haben etwas
von überirdisch-orientalischer Märchenpracht und wirken noch heute in ihrem Farben-
glanz wie vor fast 600 Jahren.
Die transparenten Edelsteinstücke, namentlich mehr oder weniger fehlerlose Berg-
krystalle, kamen für diese effektvolle und doch recht brutale Dekorationsweise nicht in
Betracht; für sie hatte man eine bessere Verwendung, indem man sie zu kostbaren Ge-
fäßen gestalten ließ, sie innen durch Schliff aushöhlte und außen, dem Zeitgeschmack ent-
sprechend, zum erstenmal in Facetten schliff und polierte, die bei sicheren alten ägyp-
tischen Arbeiten2 sehr selten vorkommen und bei den den Prager Arbeiten kurz voran-
gehenden Pariser Stücken vorläufig nicht mit Sicherheit nachzuweisen sind. Das Hauptstück
dieser Gruppe, das mit einem Schlage eine ganze Reihe ähnlicher Objekte auf ihre ur-
sprüngliche Erzeugungsstätte zurückzuführen gestattet, ist eine ungewöhnlich große,
nämlich fast 40 cm hohe Weinkanne, die heute als Reliquiar für einen Teil des sogenannten
Tischtuchs vom Letzten Abendmahl im Prager Domschatz verwahrt wird, wo sie bereits
das Inventar von 1554 als Geschenk Kaiser Karls IV. aufführt (Taf. 104)3. Man würde
für ein Tischtuch vielleicht ein Rahmenreliquiar naturgemäßer finden, wie solche tatsächlich
ungefähr in derselben Zeit für das Lendentuch und für das Schweißtuch Christi (nicht mit
Krystall-, sondern mit Glasdecktafel), und zwar auch für den Prager Domschatz entstanden,
ebenso für die Holztafel vom Tisch des Letzten Abendmahls, die der genannte Kaiser 1554

1 Farbige Abbildung in Pazaurek, Guter und schlecliter Geschmack im Kunstgewerbe, Farbentafel II u. S. 284.

2 Ob der große Facettenbecher des British Museums (Lamm, Tafel 64 Nr. 10), der nacli der Tradition
eine Stiftung Karls des Kahlen an die Abtei von Compiegne sein soll, unter die Fatimidenarbeiten gerechnet
werden kann, bleibe dahingestellt. Die beiden ziemlich zeitlosen Facettenfläschchen der Kollektion Harari Bey
in Kairo (Lamm, Tafel 78 Nr. 7 und 8) geben keine Anhaltspunkte; aber irgend eine Verwandtschaft des eben-
da verwahrten Fächergriffes (Lamm, Tafel 78 Nr. 9 mit Text auf S. 221) mit den gotischen Facettenkrügen,
kann ich beim besten Willen erst recht nicht finden. 3 A. Podlaha und E. Sittler, Prag, der Domschatz des
Metropolitankapitels, Prag 1905, S. 66 Nr. 45. — Die Zeichnung in natürlicher Größe bei J. Koula, Denkmäler
des Kunstgewerbes in Böhmen, IV, 2, ist unrichtig, weil sie an der unteren Gefäßrundung Walzenschliff an-
deutet, was den Tatsachen nicht entspricht. — Herr Weihbischof Dr. Podlaha hatte die Güte, mir die vorzügliche

neue Photographie zur Verfügung zu stellen.
 
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