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Pili NMI©MMS@£IÄII$1TISCHE

HOCHSCIKmiLli_

Kriegsversehrte an Bauschulen

Von Dr.-Ing. Willi Peise, Köln

es sich um optische Instrumente, um Kampf-
und Sprengstoffe, um Buna, Zellwolle oder der-
gleichen handelt, jeder weiß heute, daß bei
deren Entwicklung die Physik und Chemie die
entscheidende Rolle gespielt haben. Eines der
eindrucksvollsten geschichtlichen Beispiele für
die kriegswichtige Bedeutung der chemischen
Grundlagenforschung ist die Gewinnung von
gebundenem Stickstoff aus der Luft zu Beginn
des Weltkrieges; ohne diese Möglichkeit hätte
Deutschland damals nach wenigen Monaten
den Krieg aus Munitiönsmangel nicht weiter-
führen können. Diese Großtat der chemischen
Technik war jedoch in jenem Zeitpunkt nur
möglich, weil ihr eine eingehende wissen-
schaftliche Erforschung der beteiligten Reak-
tionen vorausgegangen war, die zum
größten Teil ohne jede Absicht auf technische
Nutzanwendungen erfolgte.

Die organische C h e m i e , die sich als
Wissenschaft mit dem Bauplan der Kohlenstoff-
verbindungen und den Gesetzmäßigkeiten ihrer
Umwandlung befaßt, kennt heute fast eine
halbe Million solcher — z, T. künstlicher, d. h.
der Natur unbekannter — Verbindungen. Viele
von ihnen sind, wie\ zahlreiche Treib- und
Werkstoffe, zu entscheidenden Faktoren unse-
res nationalen Lebens geworden (Benzin- und
Kautschujssynthese. Zellwolle u. a.). Die Er-
fahrungen einer zwangsläufigen Autarkisierung
während des Weltkrieges sind seit 1933 mit be-
sonderer Energie vorangetrieben worden. Hier-
bei ist hervorzuheben, daß bei den synthetischen
Produkten vielfach eine breite Variierbarkeit
der Qualitäten für die verschiedensten Spezial-
zwecke möglich ist, wie sie mit Naturproduk-
ten nicht erreicht werden kann; in den Kunst-
stoffen sind überhaupt völlig neuartige Ma-
terialien entstanden, die mit ihren zum Teil
bisher unbekannten Eigenschaften ganz neue
technische, auch wehrtechnische, Anwendungs-
gebiete erschlossen haben. Die Vitamin, und
Hormonforschung der letzten anderthalb Jahr-
zehnte hat im Kriege besondere Bedeutung
durch die Herstellung von Heil- und Kräfti-
gungsmitteln gewonnen.

Bei all diesen Forschungen findet nicht nur
eine immer weitgehende Spezialisierung und
Aufsplitterun'g in einzelne Wissenschaftszweige
statt, sondern auch immer wieder ein Hinüber-
greifen in benachbarte Fächer und deren Ar-
beitsmethoden, eine Zusammenfassung in und
eine Neubildung von Grenzwissen-
schaften. Die moderne Chemie arbeitet
weitgehend mit physikalischen Methoden und
Überlegungen: die Neuerschließung von Stoff-
klassen, wie der Carbonvle und bestimmter
Fluorverbindungsreihen, gelang z. B. erst nach
eingehenden energischen Überlegungen, Rönt-
genapparatur und Elektronenmikroskop ge-
hören heute zum Handwerkszeug des modernen
Chemikers, des Mineralogen, des Biologen usw.

Was weitsichtige Forscher schon zu Beginn
'des Jahrhunderts gefordert haben, hat erst der
Nationalsozialismus als Rassegedanken in den
Mittelpunkt unserer Weltanschauung gestellt
und in seinen Gesetzen zur Rasse- und Erb-
pflege in Anwendung gebracht. Eine volle
Auswirkung wird sich erst in den nächsten Ge-
nerationen zeigen; auf ihrren beruht zum guten
Teil die Gewißheit von der großen Zukunft
unseres Volkes. Die spezielle menschliche
Erb lehre erhält dabei ihre dauernde Be-
fruchtung und die Ausweitung ihrer Grund-
lagen aus den Erkenntnissen der experi-
mentellen Forschung an Pflanze
und Tier; die Mutationsforschung z. B.
weist unmittelbar Wege zur Verringerung der
Gefahr mutativer Schädigungen des Erbgutes.

Wertvolle Ergebnisse für unsere
Nahrungsfreiheit und Wehrkraft

Die Vererbungsforschung ist auch die Grund-
lage für die großen Erfolge der Pflanzen-
züchtung. Die reine Auslesezüchtung ist
ergänzt worden durch die Kombinationszüch-
tung. Die Erkenntnis z. B., daß eine bestimmte
Eigenschaft wie etwa der Ertrag durch ver-
schiedene Erbanlagen bestimmt sein kann,
führte durch Kombination zweier Sorten mit
gleichem Ertrag zu einer Sorte höheren Ertrags
(Transgressionszüchtung). Durch Züchtung von
krankheits- und frostwiderstandsfähigen Sorten
konnte vielfach die Sicherheit des Ertrags er-
höht werden. Durch Eingriffe in die Zahl der
Chromosomen, jener im Zellkern sich findenden
fädigen Erbträger, können Eigenschaften der
Pflanzen verändert, ja, vielfach kann ein Rie-
senwuchs hervorgerufen werden; entsprechend
lassen sich an Stelle steriler Kreuzungen fertile
Bastarde — etwa aus Weizen und Roggen; ein
alter Wunsch — erzeugen. Da Erbanlagen ge-
legentlich mutieren, können gelegentlich
Pflanzen „aus der Art" schlagen und dabei für
uns wertvolle Eigenschaften vorweisen. Heute
versucht man, solche Mutationen experimentell
auszulösen: welche Bedeutung sie für unsere
Nahrungsfreiheit und Wehrkraft haben können,
läßt sich noch gar nicht abschätzen.

Der gegenwärtige Krieg läßt mit zunehmen-
der Deutlichkeit an Stelle de§ Phantoms einer
kapitalistisch-imperialistischen Weltwirtschaft
Lebensgroßräume als % organisch gegliederte
Wirtschaftsbereiche hervortreten, die sich auch
als politische Großräume konstituieren. Im
amerikanischen, im großostasiatischen und im
europäischen Großraum sind die politisch füh-
renden Staaten nicht zufällig zugleich diejeni-
gen, die in ihren Bereichen auch in den Natur-
wissenschaften und in der Technik führen. Auf
vielen, wenn nicht auf den meisten Gebieten
der Naturwissenschaften war Deutschland
während der letzten 100 Jahre in Europa das
führende Land, das Kraft- und Strahlungszen-
trum des Abendlandes. Aus der Tatsache, daß
neben der politischen und biologischen Kraft
der Völker die Beherbergung und Weiterent-
wicklung der wissenschaftlich-technischen Mit-
tel heute die unabdingbare Voraussetzung für
die Selbstbehauptung eines großen Volkes wie
des deutschen und mit ihm der europäischen
Lebensraumgemeinschaft ist, ergeben sich
für das neue Deutschland beson-
ders große Verantwortungen und
Aufgaben auch im Bereich der
naturwissenschaftlichen Grund-
Jagenforschung.

Seite 2 / Die Bewegung \ Folge 5

Dr.-Ing, Willi Peise greift hier ein Pro-
blem auf, dessen endgültige Lösung sich erst
aus der Gegenüberstellung der Leistungs-
und Erfahrungsberichte der einzelnen Fach-
schulen herauskristallisieren wird. Wir geben
seinen Vorschlägen um so lieber Raum, als
wir erwarten, auch auf diesem studentischen
Sektor durch enge Zusammenarbeit bald zu
dem eriorderlichen Ziele zu kommen.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß bein-
behinderte Kriegsversehrte als Techniker in
Büros und armbehinderte Kriegsversehrte als
Bauleiter und Bauführer an Baustellen voll-
wertige Arbeitskräfte sein können. Deshalb
dürfen Kriegsversehrte auch mit derartiger Be-
hinderung an Bauschulen das Hoch- oder Tief-
baüwesen studieren, wenn sie die sonstigen
Voraussetzungen erfüllen. Der Gehbehinderte
wird sein Hauptaugenmerk auf die Ausbildung
seiner zeichnerischen und der Armbehinderte
auf die Ausbildung seiner betriebstechnischen
Fähigkeiten lenken. Die Bauschule kann die-
sen Absichten im Gegensatz zu der sonst
gleichmäßigen Betonung beider Arbeits-
gebiete bis zu einem gewissen Grade entgegen-
kommen. Wenn also zum Beispiel ein Arm-
behinderter kein hochwertiger Bauzeichner
wird (was übrigens wegen der guten zur Ver-
fügung stehenden Zeichengeräte recht selten
der Fall sein dürfte), aber auf betriebstech-
nischem Gebiet gut Bescheid weiß, sollte er
"eigentlich mit Erfolg die Abschlußprüfung an
einer Bauschule bestehen können. Im prakti-
schen Berufsleben wird er jedenfalls, auf den
richtigen Arbeitsplatz gestellt, eine vollwertige
Arbeitskraft sein.

Das Anpassen der Schul- bzw. Examensfor-
derungen an den jeweiligen Fall hat aber eine
bestimmte Grenze, die im Wesen der bau-
technischen Wissenschaften begründet ist. Ein
Student des Bauwesens kann niemals ein voll-
wertiger Bauführer werden, wenn er nicht eine
bestimmte Art von Kenntnissen sich zeichnend
erarbeitet hat. Ebenso kann ein Student nie-
mals eine vollwertige technische Bürokraft
werden, wenn er nicht durch Besichtigung von
Baustellen und Werkstätten bestimmte Erfah-
rungen selbst sammelt. In dieser Beziehung
können die Kriegsversehrten den anderen Stu-
denten unterlegen 6ein. Diese Unterlegenheit
besteht aber nur während der Ausbildungszeit.
Die Erfahrung bei der Ausbildung von Kriegs-
versehrten hat gezeigt, daß es wichtig ist, diese
Unterlegenheit zu berücksichtigen und daraus
bestimmte Folgerungen zu ziehen. Zur näheren
Erläuterung sei das Beispiel eines Armbehin-
derten herausgegriffen.

Wie oben schon hervorgehoben, kann ein
Armbehinderter nach Beendigung seines Bau-
schulstudiums eine vollwertige, ja sogar eine
hochwertige bautechnische Kraft sein, auch
wenn er auf rein zeichnerischem Gebiet Unter-
durchschnittliches leistet. Während des Stu-
diums muß er aber eine bestimmte Zahl von
Zeichnungen herstellen, um sich Kenntnisse
anzueignen, die nur auf dem Wege des Zeich-
nens erworben werden können. Dazu braucht
der Armversehrte mehr Zeit als der gesunde
Student. Wenn auch Zeichengeräte der ver-
schiedensten Art zur Verfügung stehen, die
z. B. das Zeichnen mit nur einer Hand ermög-
lichen," muß der Versehrte doch zunächst ein-
mal eine gewisse Zeit aufbringen, um sich mit
dem Gerät vertraut zu machen. Er wird dann
unter Umständen auch später noch in der Ge-
schwindigkeit des Zeichnens zurückstehen. Die
Ausbildungsziele an Bauschulen sind aber so
hoch gesteckt und die Ausbildungszeiten so
knapp bemessen, daß der Kriegsversehrte bei
dem streng schulmäßig geregelten Betrieb
schnell ins Hintertreffen kommen kann. Da an
Bauschulen im Gegensatz zu den Hochschulen
der übertritt vom niederen ins höhere Semester
jeweils durch das Bestehen einer Versetzung
erworben werden muß, würde der Kriegsver-
sehrte bei nicht ausreichender Leistung am
Ende des Semesters „sitzen bleiben". Abge-
sehen von der moralischen Wirkung hat die-
ses „Sitzenbleiben" für den Kriegsversehrten
unter Umständen auch noch andere unange-
nehme Folgen. Es wird durch das mangelhafte
Semesterschlußzeugnis den außerschulischen
Dienststellen beurkundet, daß der betreffende.
Versehrte in einigen Fächern bisher Unzurei- .
chendes geleistet hat. Die Versorgungsstellen
können oder müssen sogar bei diesem angeb-
lich unfähigen Versehrten prüfen, ob nicht
andere Versorgungsmaßnahmen besser am
Platze sind oder gegebenenfalls weiterer Stu-
dienurlaub abgelehnt werden muß.

Uberdurchschnittliche Leistungen

Der Kriegsversehrte kommt in eine Lage, die
er nicht verdient hat, die aber auch von den
Versorgungsstellen nicht beabsichtigt ist. Gibt
man dem Versehrten Zeit, ein weiteres Seme-
ster zur Erreichung des gleichen Zieles zu ver-
wenden, werden seine Leistungen leicht den
Durchschnitt erreichen.. Die Erfahrung zeigt so-
gar, daß Versehrte auf Grund' ihres un-
geheuren Eifers, den sie fast immer an den
Tag legen, meistens Uberdurch-
schnittliches leisten, wenn man ihnen
die für ihre Veranlagung erforderliche Aus-
bildungszeit gewährt.

Die Verhältnisse, die für einen Armbehin-
derten leicht einleuchten werden, treffen aber
auch für andere Versehrte, ja auch für nicht
Versehrte Studienurlauber zu. Ein
Schwerversehrter, der wieder soweit her-

gestellt war, daß weder eine Bein- noch eine
Armbehinderung zurückblieb, litt unter den
Folgen von Witterungsumschlägen. Der da-
durch . bedingte wiederholte Ausfall einzelner
Arbeitstage konnte auch duTCh intensivstes
Nachstudium nicht eingeholt werden. Die Lei-
stungen blieben daher weit unter dem Durch-
schnitt. Das am Ende des ersten Semesters sei-
nen tatsächlichen Leistungen entsprechend aus-
gestellte Zeugnis schien ihn als ziemlich un-
fähig zu kennzeichnen. Bei Wiederholung des
Semesters wurde er aber einer der erfolg-
reichsten Studenten.

Ein unversehrter Studienurlauber konnte
nach mehrjähriger Unterbrechung seines
Studiums und auf Grund des harten Kriegs-
erlebens nicht gleich Zu Beginn des Semesters
mit dem -von ihm früher gezeitigten .Erfolg
studieren. Als er sich gegen Ende des Se-
mesters wieder zur alten Leistungsfähigkeit
emporgearbeitet hatte, war es zeitlich nicht
mehr möglich, das am Anfang des Semesters
Versäumte nachzuholen. Die Gesamtleistung
am Ende des Semesters war nicht befriedigend.
Hätte dieser Soldat ohne Unterbrechung ein

weiteres Semester studieren können, würde das
dann ausgestellte Zeugnis ihn als tüchtigen
Fachmann gekennzeichnet haben. So hat aber
das tatsächlich ausgestellte Zeugnis gewisse
Mängel erkennen lassen. Es soll damit nicht
gesagt sein, daß Studienurlaub für jeweils ein
Semester nicht angebracht ist, sondern daB ein
ungünstiges Zeugnis, wie es eben sehr leicht
entstehen kann, für den betreffenden Soldaten
keine unangenehmen Folgen haben darf. Ähn-
liche Fälle ließen sich noch beliebig erläutern.

Man könnte die daraus folgenden Schwierig-
keiten durch nachsichtige Beurteilung bei der
Zensurengebung und bei Prüfungen umgehen.
Da Kriegsversehrte und Soldaten sich aber
nichts schenken lassen wollen, eine solche
Nachsicht sich auch leistungsmindernd aus-
wirken würde, was vom Herrn Reichserzie-
hungsminister bei der Ausbildung besonders
von Kriegsversehrten und Soldaten durchaus
unerwünscht ist, muß ein anderer Ausweg ge-
funden werden. Es wäre angebracht, wenn man
die Dauer der Studienzeit für Kriegsversehrte
und Soldaten nicht mit dem normalen Maß-
stab messen würde. Wenn ein gesunder Stu-
dent fünf Semester zum Studium benötigt, ist
es für viele Kriegsversehrte eine hoch anzu-
erkennende Leistung, wenn sie das gleiche
Ziel zum Beispiel in sieben -oder acht Se-
mestern erreichen. Die Entscheidung über die
Länge der Ausbildungszeit würde am besten
die jeweilige Ausbildungsstätte treffen.

Hans Toiss:

Der „Doktor" -
eine wissenschaftliche Leistung!

Seit dem Jahre 1130 wird nachweisbar der
Doktortitel verliehen. Er hat in dieser langen
Zeit innerhalb und außerhalb der Umversitas
litterarum oft wechselnde Wertschätzung er-
fahren. So fehlt es beispielsweise im Volks-
mund nicht an Sprichwörtern, bei denen der
Doktor nicht gerade gut wegkommt, sei es, daß
man „weltfremde Spitzfindigkeit" belächelt
oder daß man geradezu vor Doktoren und ihrer
„Kunst" warnt.

Allerdings hat es zu allen Zeiten Unwürdige
gegeben, die sich in den Besitz wissenschaft-
licher Grade brachten, wie das mit anderen
Würden und Titeln auch geschah. Der Maß-
stab der Wertschätzung des Doktorgrades hängt
jedoch letztlich immer davon ab, was die Wis-
senschaft selbst gilt und wie leicht oder wie
schwierig es ist, den Grad zu erwerben.

Man hat auch in der letzten Zeit hin und
wieder Stimmen gehört, welche sich über man-
gelnde Geltung der wissenschaftlichen Arbeit
beklagten. Inwieweit dies in solcher Verallge-
meinerung zu Recht erfolgte, soll hier nicht
erörtert werden. Insoweit aber befand man
sich dabei bestimmt im Unrecht, als es um die
allgemeine Beurteilung von Notwendigkeit und
Leistung der Wissenschaft ging. Gerade in der
jetzigen- Zeit wird es niemand geben, der zum
Beispiel keine Achtung empfände vor Natur-
wissenschaft und Technik als den Teilen wis-
senschaftlicher Arbeit, bei denen der erhabene
» Gedanke des Wahnfceitsuchens und die weltbild-
•schaffende Gewalt des Energie und Materie
lenkenden Geistes am augenfälligsten ist. Aber
auch über diese . Wissenschaftsgebiete hinaus
wird niemand ernste wissenschaftliche Arbeit
unterschätzen. Wo eine strenge Methodik wal-
tet, wo ein hohes Maß logischen und konstruk-
tiven Denkvermögens vorausgesetzt wird, da
wird jede Geringschätzigkeit fernbleiben.
Auch der nicht wissenschaftlich Gebildete hat
ein sehr feines Unterscheidungsvermögen da-
für, wo solche Arbeitsweise geübt wird und
wo nicht. Es liegt daher an der Wissenschalt
selbst, ihre Geltung dadurch zu erhalten, daß
sie sich beschränkt auf d i e Gebiete, welche
ihrer Methode zügänglich sind. Es wird auch
den danach nicht wissenschaftlichen Arbeiten
kein guter Dienst erwiesen, wenn man beispiels-
weise die zu einem Teil von ihnen notwendige
plötzliche Anpassungsfähigkeit an leine Situa-
tion oder oft elementare Tatkraft dadurch
hemmt, daß man diese Gebiete wissenschaftlich
verbrämt durch letztlich hilflose Abstrahie-
rungsveasuche. Es muß hier der Mut zu klarer
Trennung aufgebracht werden, um der Wissen-
schaft und um des Lebens willen. Das hat
nichts mit einer Lebensfremdheit der Wissen-
schaft zu tun. Sie soll, gleichgültig, ob es sich
um eine sogenannte konstruktive oder eine
sogenannte descriptive Wissenschaft handelt,
von Natur und Leben ausgehen und wieder zu
ihnen zurückfinden. Aber sie muß sich auf
diesem Wege dessen bewußt bleiben, was ge-
wissermaßen „vor die Klammer gezogen" wer-
den kann. Vor die Klammer zu ziehen sind
etwa die Naturgesetze, die Sprachgesetze, die
aus der Geschichte abgeleiteten Grunderkennt-
nisse, die aus der Notwendigkeit des geord-
neten Zusammenlebens abgeleiteten Rechts-
normen usw. Nicht wissenschaftliche Felder
jedoch sind all die Dinge und Vorgänge, die
Einzelbedeutung haben und zu deren Kenntnis
es wissenschaftlicher Methoden \nicht bedarf.

Was die Wissenschaft von sich selbst ver-
langt, und inwieweit sie sich selbst zu be-
schränken hat, muß auch jede wissenschaft-
liche' Einzelarbeit beachten. Die Doktorarbeit
soll eine solche wissenschaftliche Arbeit sein.
Hierin soll auch ein Unterschied der Doktor-
prüfung vom Staatsexamen liegen, daß nicht
nur über ein prüfungsordnungsmäßig festgeleg-
' tes Wissen und dessen praktische Handhabung
Rechenschaft abzulegen ist, sondern daß tiefes
Eindringen in die wissenschaftliche Methodik
vorausgesetzt und auf Grund dessen in eigener

Weiterarbeit die Wissenschaft selbst bereichert
wird. Niemand wird einer Dissertation
den Wert einer besonderen Leistung ab-
sprechen, deren Thema wissenschaftlicher Un-
tersuchung würdig und in. der wissenschaft-
liche Erkenntnismethode ernstlich angewandt
ist. Mit Recht aber wird nicht nur der Wissen-
schaftler einer Arbeit skeptisch gegenüber-
stehen, die schon durch die Wahl des Themas
den Verdacht aufkommen läßt, als scheue sich
der Verfasser vor streng logischer und quali-
tativ nachprüfbarer Denkarbeit.

Bedauerlicherweise drängen sich manche
Studenten und Studentinnen' geradezu zu den
Fächern innerhalb ihrer Fakultät, welche sich
nach ihrer Meinung augenblicklich besonders
zum Tummelplatz schwer nachprüfbarer Mei-
nungen eignen oder bei denen sie eine zwar
bienenfleißige, aber nahezu kritiklose Zusam-
mentragung von Material für genügend an-
sehen. Es entstehen die „Doktorfabriken" des
Studentenwitzes. Diese Erscheinung ist, ob-
gleich lange nicht so häufig wie oft außerhalb
angenommen, sehr geeignet, die Wertschätzung
des Doktorgades herabzusetzen. Es ist darum
nicht mehr so sehr verwunderlich, wenn Nicht-
studenten heute allenthalben in Verkennung
der wahren Verhältnisse meinen, sie könnten
womöglich nebenberuflich in kurzer Zeit
„irgendeinen" Doktorgrad erwerben. (Dabei ist
es müßig, zu erwähnen, daß beispielsweise
Mathematik oder Bürgerliches Recht nicht sehr
gefragt sind.) Es gilt für dieses Teilgebiet wis-
senschaftlicher Arbeit in Abwandlung dasselbe,
was sich von der Geltung der Wissenschaft
selbst sagen. ließ: Der Doktor gilt so-
viel, als ereine wissenschaftliche
Leistung bleibt.

Strenge wissenschaftliche Auslese

Studentenschaft und Hochschule haben kei-
nen Einfluß auf die Vorbildung der Studenten
in der Oberschule. Sie können insbesondere
nicht darauf hinwirken, daß schon hier eine
Auslese nach wissenschaftlicher Eignung streng
durchgeführt wird und daß im Leh'rplan die das
Denkvermögen besonders ausbildenden Fächer
bei dieser Bewertung im Vordergrund stehen.
Aber sie können und müssen vor allem die
Studenten und Studentinnen, welche an eine
Dissertation denken — was nebenbei bei wei-
tem nicht alle zu tun brauchen —, weiterhin
und gerade heute, da ein Leerlauf jeder Ar-
beitskraft den Sieg verzögert, einer strengen
wissenschaftlichen Auslese unterziehen und
neben dem Können eine wissenschaftliche Be-
geisterung heranbilden und bewahren. Nur da-
durch ist es möglich, die richtige Einstellung
zur wissenschaftlichen Arbeit und auch zur
Doktorprüfung zu erhalten. Nämlich die, daß
die Promotion nicht um des Titels willen oder
um einer vermeintlich besseren Berufsaussicht
willen mit möglichst geringem Aufwand durch-
zuführen sei, sondern daß die Doktor-
prüfung eine wissenschaftliche
Leistung darstellt, auf die Dok-
torand und Wissenschaft stolz
sein können. Alle anderen Maßstäbe, wie
etwa ein gutes Staats- bzw. Diplomexamen
oder außerwissenschaftliche Fähigkeiten kön-
nen nicht berücksichtigt werden, genau so
wenig wie wissenschaftliche Leistungen des
einzelnen auf anderen Gebieten Berücksichti-
gung finden, sondern jeder sich überall neu
zu bewähren hat.

Hauptschrittleiter; Dr. Heinz Wold. Anschrift der Haupt-
schriftleitung: München, Schellingstr. 39. Fernruf 20801. Für
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