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erzogen haben? Die Freiheit der Einzelpersön-
lichkeit, die wirtschaftliche Freizügigkeit und
die sorgsam gehüteten kleinen Annehmlich-
keiten des zivilen Lebens mußten aufgegeben
werden zugunsten rationalisierter Einzel- und
Massenleistungen. Wir sind längst die Num-
mern Sieben, Fünfzehn und Dreihunderteinund-
vierzig in der zentralen Disposition des Staa-
tes über alle verfügbaren Kraftreserven gewor-
den. Und wir haben uns darein gefügt. Wir
haben uns daran gewöhnen müssen, daß der
lebenschonende Pazifismus oder auch nur die
realistische Friedensliebe schwächer sind als die
politische Mechanik des Weltenlaufs, die fast
naturgesetzlich gelegentlich zu kriegerischen
Explosionen, zu Katastrophen und Massenster-
ben führt. Warum sollten wir nicht zugleich,
und zwar in kluger Rücksicht auf einen langen,
zu erkämpfenden Frieden, das Unkraut der inter-
europäischen Feindseligkeit ausrotten und in
uns selbst jenen größeren, einigen Kontinent vor-
bereiten, von dem wir einen neuen Wohlstand
und die Früchte der unsäglichen Kriegslasten
erhoffen?

Beethoven im Osten

Von Kriegsberichter Dr. Hans Bahr, Amtsleiter der Reichsstudentenführung

Ein realistisches Projekt

Diese Aufforderung hat nichts zu tun mit den
abgeschabten Ideologien der Völkerverbrüde-
rung und des Internationalismus. Das neue
Europa ist ein sehr nüchternes, realistisches
Projekt, dessen Verwirklichung nicht im
Bausch und Bogen einer berauschten Begeiste-
rung zu erzwingen, sondern in mühseliger
äußerer und innerer Arbeit zu schaffen ist.

Was kann der einzelne dazu tun? Er kann
sich für seinen privaten Bereich auch im Hin-
blick auf den erhofften Frieden ein wenig mehr
vornehmen, als er bisher zu leisten gewohnt
war. Er muß in die Schule gehen bei den Sol-
daten, die ohne Überschwang, aber von den
Belastungen des Krieges weniger gequält als
gestärkt, Jahre hindurch vor d*m Feinde ste-
hen und ein Ziel vor Augen haben, von dem
sie nicht einmal reden. Das erste, was dabei
zu lernen ist, wäre dies: Die Verheißungen und
die Aufgaben des zu erkämpfenden Friedens
sind lockender und besser als die Unbilden
des Krieges unbequem und unerträglich sind.
Es wirft uns nicht um, wenn wir in den Keller
gehen. England trifft die Wurzel unseres Le-
bens nicht, wenn seine Flieger unsere Städte
bombardieren. Deutschland ist nicht mehr jene
Summe labiler Naturen, die nach vier Welt-
kriegsjahren Frieden wollten um jeden Preis.
Schließlich steht zuviel auf dem Spiel. All das,
wofür wir kämpfen und arbeiten, muß in uns
so klar und reif werden, daß wir es in jedem
Augenblick den Versuchungen der Bequem-
lichkeit und der schwachen Nerven erfolgreich
entgegenhalten können.

Ein zweites, was die Front lehrt, Ist die
stille, unpathetische Liebe zu den größeren
Aufgaben, die der Krieg uns aufbürdet. Wir
kennen doch, an uns selbst oder von anderen,
jenes Gefühl der Sehnsucht nach draußen, das
viele Soldaten im Urlaub befällt. Es ist nicht
nur dies, daß er bei seinen Kameraden sein
• >«. u* (jie Mrtere Verwachsenheit mit
jeuen kriegerischen Emotionen, die der Vor-
marsch, die Weite, ja sogar die monumentale
Trostlosigkeit der russischen Steppe im Be-
wußtsein des einzelnen auslösen können.

Ein Leben, wie wir es lieben

Sollte nicht auch der Zivilist — wir wollen
ihm nicht zuviel zumuten — sich gelegentlich
erwärmen können für die riesigen politischen
Möglichkeiten, die der Sieg uns allen ver-
heißt? Nehmen wir nur das größere Europa,
denken wir daran, daß ein arbeitender, mjt vie-
len guten Genien gesegneter Erdteil mit einem
deutschen Herzen uns endlich die Chance gibt,
unser Leben so einzurichten, wie wir es uns
in ruhigen Stunden schon oft erträumten. Es
würde sich doch lohnen! Wir würden ja nicht
eine englische Welt aufziehen, die in sich
gleich wieder devi Kern der sozialen oder poli-
tischen Katastrophe trüge. Wir sind weiter als
die englischen Eroberer und die Queen. Wir
wollen ja am Ende des Kolonialismus und der
sozialen Wirren eine neue Gesellschaft ein-
richten, die in den uralten Fächern des euro-
päischen Völkergefüges Frieden und Wohl-
stand etablieren kann. In diesem Sinne kann
jeder einzelne, ob Soldat oder Zivilist, sich al»
Revolutionär, als Träger der Fackel einer euro-
päischen Renaissance fühlen. Es ist ihm zu-
gleich in die Hand gegeben, den abendländi-
schen Pessimismus durch die offenen Fenster
neuer Einsichten hinauszublasen. Endlich sind
wir so weit, daß das utopische Menschheits-
geschwätz der vielen Weltverbesserer von
Augustin herauf bis zu Rousseau und Marx ver-
hallt ist. Wir wollen nicht, weil das nicht geht,
die Menschen von Grund auf verbessern und
die Völker, die Familien im Haushalt Gottes,
auflösen. Wir wollen nur im Rahmen des Mög-
lichen mit realistischen Sinnen das in Ordnung
bringen, was die Geschichte uns überliefert
hat. Der Krieg, mögen wir ihn nun hassen oder
lieben, gibt uns die seltene Möglichkeit, schnel-
ler und totaler dort zu Lösungen zu kommen,
wo im Frieden der Sumpf der Diskussionen
und Einwände den Schritt lähmt. Wenn wir den
Willen und die Kraft haben, durch die Müh-
salen des Krieges hindurchzugehen, dann
sind wir zugleich Europäer, Menschen von
morgen, Pioniere einer neuen Zeit, für die zu
leben und zu sterben es sich lohnt.

Und es stellt sich, wenigstens vor dem ab-
ständigen Urteil der Geschichte, ein gewisses
Gleichgewicht her zwischen den Leistungen der
Front und der inneren Bereitschaft der Hei-
mat, die sich nicht in reinen Arbeitspflichten
genügen kann Denn schließlich ist dieser
Krieg, der auf Leben und Tod geführt wird, auch
an der Front des Geistes zu gewinnen. Hier
können und müssen wir hineinwachsen in das
größere politische Gewand, das der Genius
des erwachenden Kontinents uns zugeschnitten
hat. Die Möglichkeiten sind gar nicht zu über-
sehen. Man muß sich ihrer nur bedienen.

Seite 2 /. Die Bewegung / Folge 6

PK. Inmitten der kämpfenden Front klingt,
vom regionalen Soldatensender übermittelt,
Beethoven auf. Ein scheinbar selbstverständ-
liches und unbedeutendes Geschehen für den
Menschen, der sich diesen Vorgang aus der
Ferne her vorstellt. Wer aber selbst einmal
irgendwo in einem Bunker oder einer Stroh-
hütte in nächster Nähe der Hauptkampflinie
diesen Tönen gelauscht hat, der weiß, daß
hier etwas Neues seine Geburtsstunde feiert
und in Erscheinung tritt. Dieses Ereignis hat
der erste Weltkrieg noch nicht gekannt. Erfin-
dung und Entfaltung des Rundfunks mußten
vorausgehen, um es zu ermöglichen und in die
Wirklichkeit hereinzurufen.

Wir Soldaten des zweiten weltweiten Lebens-
kampfes der Deutschen sind die ersten, denen
durch die Brücke des Rundfunks auch
an den Stätten des unmittelbar noch tobenden
Kampfes ein Zugang zu Beethoven geöffnet ist. •
Auch im Schützengraben vor Verdun war, aus
Instrument und Gesang beschworen, die Macht'
der Musik lebendig. Aber es ist doch etwas un-
vergleichlich anderes, wenn eine künstlerisch
vollendet gebrachte Darbietung von Werken
höchster Symphonik sich über die Ätherwellen
zum Soldaten hinüberschwingt und ihn in Augen-
blicken erreicht, die als kurze Minuten zwi-
schen den Stößen der Kampfhandlungen des
Tages stehen und den Gedanken an eigene
musikalische Betätigung aus naheliegenden
Gründen überhaupt nicht aufkommen lassen
können.

Erst Schwere und Umwelt des Kampfes ge-
gen die Sowjets haben in unseren Herzen voll
jene Bereitschaft heranreifen lassen, die aus
der Zusammenkunft zwischen Beethovens Mu-
sik und härtestem kriegerischem Ringen das
Neue, Tiefe, bisher im wahrsten Sinne Uner-
hörte dieser direkten Synthese von kriegeri-
schem Erlebnis und höchster künstlerischer
Schöpfung zu erfühlen vermag.

Hier wird ein neues Beethoven-Erlebnis ge-
boren. Auf neuen Bergen schaut ein neuer
Mensch in neuer Weise das Licht des Genies!

Der gleiche Mann, der noch vor ganz we-
nigen Minuten vom feindlichen Gewehrfeuer
überschüttet wurde, schaltet, wieder in den
Bunker zurückgekehrt, ' einen Hebel nach
rechts und schon wird er umflutet vom Brau-
sen des letzten Satzes der 5. Symphonie, der
aus dem Lautsprecher dringt. Solche Augen-
blicke sind nicht liäufig, aber sie sind doch
da. In dieser Unmittelbarkeit der Aufeinander-
folge vom kriegerischen Eindruck harten Gra-
des und musikalischer Einwirkung einer ge-
waltigen Kunst liegt das Erstmalige der Beet-
hoven-Empfindung der Ostfront.

Darüber im einzelnerfTQ spreche»'una zu
schreiben führt an der Wahrheit vorbei, weil
es sich um Unsagbares und Unbeschreibbares
handelt. Sicher ist, daß unser Gefühl bei sol-
chem künstlerischem Empfangen und Verneh-
men an der Front aus dem Beieinander von
Kampf und Kunst zu Zusammenhängen vor-
findet, die im Urgesetz beider Dinge gemein-
sam angelegt sind, aber erst in solcher Stunde
und aus solcher Bereitschaft in den Bereich
des menschlichen Ahnungsvermögens treten.
Durch das Wirken des Rundfunks, das den
noch frischen Kampfeindruck mit den seeli-
schen Impulsen verbindet, die beim Hören
von Tonwelten aus dem Reiche unvergäng-
licher Schöpferhöhe der Menschheit entste-
hen, werden zwei Pole einander weitaus näher
gebracht, als das bisher jemals möglich war,
Kräfte kommen zum Zusammenspiel, die sich
vorher noch nie begegnet haben und in ahnen-
dem Begreifen sieht das innere Auge des
Frontsoldaten eine neue Schau des Kampfes
der Tongewalten aus den Umrissen der eige-
nen kämpferischen Situation sich erheben.

... Musik der einzige unveikörpeite
Eingang in eine höhere Welt des Wissens

In einem Brief an Goethe berichtete einst
Bettina von Brentano 1805, Beethoven habe ihr
gesagt: ,,Sprechen Sie dem Goethe von mir,
sagen Sie ihm, er soll meine Symphonien
hören, da wird er mir Recht geben, daß Musik
der einzige unverkörperte Eingang in eine
höhere Welt des Wissens ist." Schon mancher,
der als Soldat in den Pausen zwischen zwei
Stoßtruppunternehmungen oder zwei Jagd-
flügen Beethoven vernahm, hat dieses Wort
unbewußt unterschrieben, indem er fühlte, daß
er in diesen Tönen erneut gesagt bekam, was
er soeben als Soldat im Kampf erfuhr. Hier in
diesen Tönen fand er, unverkörpert, ungestal-
tet und doch gestaltet, in der Sprache der Mu-
sik ausgedrückt, worüber sich sonst nicht spre-
chen läßt: Die Darstellung seines eigenen Ge-
fühlsgeschehens im Kampf, die Schwingung
seiner Seele, die ihn nur dann bewegt, wenn er
im Gefecht sich auf dem schmalen Grade zwi-
schen Tod und Leben nach vorwärts kämpft,
die Erregung, die ihn nur dann erfüllt und er-
faßt und in der Heimat in ihm' nie entstehen ,
kann, kurz das alles, was v der Soldat des
schicksalhaften Frontkampfes sein eigenstes
Wissen nennt.

Gewiß: Im allgemeinen ist es die heitere
Muse, die im Bunker regiert. Wir alle suchen
ihr entspannendes Wirken gerade im soldati-
schen Lebensbezirk mehr als alles andere. Die
Stunde der ernsten Muse reift kaum einmal
heran. Aber doch bricht sie von Zeit zu Zeit
bei uns herein und steht dann im Mantel des
Ungewohnten und Seltenen nur um so größer
vor uns.

/Einige von diesen einsamen Augenblicken
seien in der Erinnerung beschworen.

An einer Einbruchsteile zwischen Don und
Wolga, die noch am gleichen Tage ihre Be-
reinigung erfuhr! liegen wir in der Morgen-
frühe, nachdem der erste Panzerangriff der
Sowjets abgeschlagen war und wärmen uns an
den ersten Strahlen der Sonne. Die Besatzung
eines hier aufgefahrenen Flakgeschützes hat
ihren kleinen Rundfunkapparat eingestellt, der
den herrlichen Rhythmus deutscher Märsche
in den Unterstand hineinbringt, den wir uns
tags zuvor gegraben haben. Der Mittag rückt
her,an. In der Ferne zeigen sich, durch ein Tal
von uns getrennt, neue Wellen von Sowjetpan-
zern. Ein Tiefangriff feindlicher Flugzeuge setzt
ein, um unsere panzerbrechende Flakabwehr
unschädlich zu machen. In den gleichen Minu-
ten tönt, von deutscher Meisterhand gespielt,
Beethovens Pathetique aus dem Lautsprecher
auf. Und in den Pausen zwischen den Einschlä-
gen der Bomben der Sowjets jagt der dritte
Satz dieser Sonate einher. Wie im Wettkampf
läuft er durch den Höllenlärm. Bald hat sich
alles wieder gelegt. Der Gegner hat das Weite
gesucht und auch der Sonatensatz ist zu Ende.
Aber wer wollte vergessen, wie die kampfge-
triebene Melodie^ in die Schranken getreten
war gegen den infernalischen Takt der explo-
dierenden Abwürfe!

Ein andermal: Im Zelt eines Verbandplatzes
kurz hinter der Hauptkampflinie liegen Soldaten
aus verschiedenen europäischen Völkern bei-
sammen und warten auf den Abtransport, der
sie als Verwundete in die rückwärtigen Gebiete
bringen soll. Ein Sanitätssoldat holt mit seinem
Volksempfänger den nächsten Soldatensender
herein. Es ist Sonntag früh gegen 8 Uhr. Feind-
liche Verbände sind bei einem Umgehungsver-
such verhältnismäßig nahe an den Verband-
platz herangekommen. Muß rasch abtranspor-
tiert werden? In dieser schicksalsschweren Mi-
nute horcht alles rfach draußen und ist voll
Frage bei den Kameraden, die in der Abwehr
des Angriffs stehen. Da ruft plötzlich ein Wal-
lone in der Dämmerung zwischen Bewußtsein
und Bewußtseinslosigkeit einer schweren Ver-
wundung, ein Musikstudent aus Lüttich, von
seinem Strohlager aus: „Beethoven!" Und erst
jetzt hören wir, wie die ewige Hymne ,,Die
Himmel rühmen" leise und doch vernehmbar

den Lautsprecher verläßt und sich ausbreitet
zwischen uns. Der deutsche Arzt verstärkt
etwas durch eine kleine Drehung am Apparat
und schon zieht es wie eine beruhigende Macht
durch das Zelt. Der Feind wurde abgeschlagen.
Aber keiner von uns wird den Augenblick ver-
gessen, in dem Beethoven im entscheidenden
Moment zwischen rumänische, wallonische, slo-
wakische, italienische und deutsche Soldaten
trat.

Und noch ein drittes Mal breitere der Mei-
ster seine ewigen Hände in großer Stunde über
uns aus: Es war unmittelbar vor Stalingrad.
Durch das dunkelnde Gewebe des frühen
Abends schössen die Feuerfontänen der bren-
nenden Stadt in den Himmel. Als habe der Ur-
brand im Kern des Erdballs auf einer Strecke
von fast 20 Kilometer die Erdrinde durch-
stoßen und einen neuen vulkanischen Krater
von außerordentlicher Dimension gezeugt, so
jagte der lodernde Aufruhr Furien in die Lüfte.
Munitionslager lösten sich vom Boden ab wie
tödlich verwundete Tiere, die in einem letzten
Sprung noch einmal den Körper aufbäumend
nach oben ziehen, um dann kopfüber nieder-
zubrechen. In phantastischen Explosionsakten
drängten Gaskessel in das Dunkelrot der
schwelenden Häusermassen fahle Weißglut
hinein und wirbelten ihr zerbrochenes Gehäuse
wie abgebrochene Windmühlenflügel durch
den Totentanz der Feuersäulen. Da traf Beet-
hoven bei uns am Rande der feuerspeienden
Wolgastadt ein. Aus dem Lautsprecher bahnte
sich das Vorspiel zu Egmont seinen Weg. Ganz
so, wie der Meister sich einst zur Zeit der Ent-
stehung der Egmont-Musik einem Bekannten
gegenüber als der „Freund im Sturm',' bezeich-
net hatte, hielt er sich jetzt bei uns auf. Stolz
zogen die Trompetenklänge der triumphierend
sich gipfelnden Abschlußtakte durch die Stunde
des Wartens auf die kommenden Dinge dieser
Nacht: Fanfaren einer Welt aus heldischem
Geist, aufsteigend in lichter klarer Gestalt.
Bald darauf versuchten die Sowjets, unsere
Linie einzudrücken. Im Masseneinsatz stürmte
ein Untermenschentum heran und brach sich,
von unseren Grenadieren gepackt, das Genick.
Der Kampf geht weiter, der Kampf für unser
Reich und unsere Lieben, für unseren Glauben,
unsere Kultur und damit auch für Beethoven.

UNSERE HALTUNG

Von Ing. Leo Quinkenstein

D"s Thems [^j^rht n».i wir haben es sog«?
tagtäglich vor Augen. Es geistert durch die
Zeitungen, es spricht zu uns aus jedem Aufruf,
jeder schreibt davon, und in jeder Rede hallt
es wider.

Gerade darum aber gerät es so leicht in Ver-
gessenheit bei uns. Es ist so zur Gewohnheit
geworden, daß man an unsere Haltung appel-
liert, daß wir taub geworden sind. Es ist wie
eine Medizin, die man täglich schematisch
schluckt, und die damit ihre Wirkung verliert.

Seien wir doch ehrlich! Gerade wir Zivi-
listen, die wir in der Heimat zurückgeblieben
sind, gerade wir verlieren unsere Haltung so
oft. Wir müssen sie immer aufs neue wieder
zurückerobern. Ein jeder hat da mit sich selbst
zu kämpfen, um die eigene Schwäche zu 'über-
winden.

Leben wir nicht alle mehr oder weniger
neben dem großen Geschehen daher? Nahmen
wir nicht die Siegesmeldungen bald wie etwas
Selbstverständliches hin? Wir sind eingeschla-
fen dabei! Wir haben uns große Ziele vor-
posaunen lassen und weise dazu genickt.
Andere schüttelten skeptisch den Kopf. Wir
haben diskutiert und uns gefreut, wenn es
weiterging.

„Ja, ja, unsere Jungs da draußen!"

Wie im Kino haben wir unbeteiligt vor der
Leinwand gesessen und ließen das Geschehen
vor uns abrollen. — Ein neuer Winter kam.
Es war wie ein schleichendes Gift in den letz-
ten Wochen. Rückschlag auf Rückschlag, offen
oder halb verhüllt zutage tretend. Die Stim-
mung sank unter den Nullpunkt.

Bedrückt waren wir wohl alle. Mutlosigkeit
und Stänkerei machen sich so schnell breit.
Das zerrt an den seelischen Kräften und am
Gemüt, und je nach Temperament sucht man
das Gift loszuwerden.

Man spritzt es mit sarkastischen Redensarten
wahllos umher und die Seuche greift weiter
um sich.

Es ist schwer, sich von der allgemeinen
Stimmung freizumachen. — Offen und klar ist
nun die Not zutage getreten.

Eigenartigerweise ist aber die Bedrückung
weg. Es wirkt wie ein Schlag in den Magen,
Man ist wieder nüchtern und schüttelt die Be-
klemmung ab.

Wie nach einem reinigenden Gewitter ist es,
wenn der. Regen wolkenbruchartig nieder-
rauscht. Die Spannung ist gelöst. Man klappt
den Kragen hoch, zieht den Hut in die, Stirn,
spuckt aus und stapft in das Unwetter hinein.

Faßt euch an, die ihr wieder zur Besinnung
gekommen seid, und versucht den andern zu
helfen!

Erschreckt wie die Kaninchen laufen sie
durcheinander und jammern. Jeden möchte
man anpacken, bei den Schultern, ihn rütteln
und schütteln und ihn anbrüllen: „Mensch,
merkst du denn nicht, daß wir in der Sch ....
stecken? Werde doch wach, Kerl und pack anl

Fühlst du nicht daJJ dir da« Wawer .«n J-Ial'.

. steht, dir und mir? Komm hierher! Schaufle
das Wasser über Bord, bis wir das Leck ge-
dichtet haben! Es ist ja nicht eine Phrase, die

, du jeden Tag in der Zeitung liest. Es geht ja
tatsächlich um jeden einzelnen! Begreife es
doch!"

Und wenn sie immer noch dumpf und taub
für sich dahintrotten, muß man sie ohrfeigen.
Aber dann sind sie wenigstens wach! — Es
sind doch alles prächtige Kerle! Sie schlafen
nur. Hast du sie wach bekommen, dann zeige
ihnen nur, wo die Kiste schwankt. Sie werden
sich in die Stränge werfen, daß es krachtl

— Stalingrad! —

Weißt du, was das heißt: Kämpfen bis zum
letzten Mann!? Auf verlorenem Posten, alle
Brücken im Rücken zerbrochen? Es gibt nur
noch ein Vorne, und das ist der Tod!

Spürst du, wie dir das Blut heiß zum Herzen

strömt, wenn du an „sie" denkst? _ Du

brauchst dich deiner Andacht nicht zu schä-
men und der Tränen, die sich dir in die Augen
drängen.

Es ist ein Heldenlied ohnegleichen, das dort
aufbraust an der Wolga! —- Bis zum letzten
Mann!

Die Spartaner haben darum gewußt. Teuto-
nen haben es gekonnt und die Goten. Fride-
rizianische Grenadiere haben so gefochten.

Die dort — an der Wolga — können es
auch. Es sind Söhne unseres Volkes. Sie sind
ein Teil von uns. — Wir aber, wir wollen es
auch können, wenn es an uns herantritt. Wenn
es vor uns steht, das große Schicksal, wird
alles andere so klein und nebensächlich vor
der gepanzerten Faust und wir werden die
ganze Kraft unserer Seele brauchen, um zu be-
stehen.

Ein großes und stolzes Volk wollen wir wer-
den, und wir wollen um unsere Größe kämp-
fen, zäh und verbissen! So groß auch die Not
ist, die das Herz klopfen läßt, angstvoll und
wild, —- Tag für Tag wollen wir zähneknir-
schend anrennen gegen den Widerstand!

Alles, was gut und stark in uns ist, wird
uns helfen und halten. Stemmt die Schultern
vor, den Dickschädel eingezogen: „Verflucht
noch mal, jetzt gerade!"

Dann bin ich nicht bange, daß es wieder vor-
wärts geht. Ingrimmig werden wir dem Feind
in die teuflische Fratze lachen und mitten ;
hinein schlagen. — Wer steht gegen unser
Volk?

Der Sieg wird uns gehören!

Hauptschriftleiter: Dr. Heinz W o I f t. Anschrift der Haupt-
schriftleitung: München, Schellingstr. 39. Fernruf 2 0801. Für
den Anzeigenteil verantwortlich Joh. Bartenschlager.
Verlag: Franz Eber Nachfolger G. m. b. H. — Druck: Buch-
gewerbehaus M. Müller & Sohn. Sämtliche in München. —
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