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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0342
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messen dürfen, und wir können Ihnen einen
kleinen Vorschmack davon geben, wenn Sie Al-
fred's Album durchblättern wollen. Hast Du
das große Album mit den Aquarellen nicht bei
Dir, lieber Alfred?"
„O doch, gewiß, liebe Mutter! Es liegt
drüben auf meinem Schreibtisch. Darf ich Dich
bemühen, liebe Cölestine, es herbeizuholen?"
Cölestine brachte ein großes Album in Quer-
Folio mit zwanzig vortrefflich gezeichneten und
aufgesaßten Landschaften, theils in Sepia-, theils
Bleistiftzeichnungen, theils Aquarellen oder Tusch-
zeichnungen in zwei oder drei Tönen bestehend.
Guido war selbst ein bedeutender Dilettant in
der Kunst und hatte ein Urtheil über derlei
Gegenstände. Diese wilden Waldtobel, diese
zerrissenen Felsenhänge mit Wasserfällen und
düsteren Tannichten, diese Schlösser und Ruinen
auf sonnigen Hügeln, diese kühnen schroffen
Felsenkuppen, die aus weichen reichen Wald-
linien emporstarrten, diese mächtigen Baumriescn,
kurz alle diese charakteristischen Eigenthümlich-
keiten krainerischer Landschaften waren mit einer
solch' genialen Naturwahrheit aufgefaßt, und
mit solcher Durchbildung und Wirkung ausge-
führt, daß sich Herrn v. Kirchner'? Bewunderung
von Blatt zu Blatt steigerte.
„Ich mache Dir mein Kompliment, lieber
Alfred," sagte er zu seinem Freunde: „Du hast
Dich in den paar Jahren unserer Trennung
merkwürdig vervollkommnet. Diese Skizzen hier
zeugen von einem solchen Talent sür Malerei,
wie ich es bei Dir früher gar nicht geahnt
habe!"
— «Ich glaube gar, Du wähnst, diese Skiz-
zen seien von mir, Guido?" rief Alfred lachend.
„Nein, mein Freund, da traust Du mir zu viel
zu! Ich wäre froh, wenn mein Talent und
meine Kunst so weit reichten. Ich bin nur der
Besitzer dieser Herrlichkeiten, die ein Geschenk
von lieber Hand sind."
„Und wer ist denn der Meister, wenn man
fragen darf?"
— „Der Meister?" rief Alfred lachend: „ei,
steht denn kein Name unter den Blättern?"
„O ja, hier steht ein verschlungenes N und
W," sagte der Hauptmann.
— „Nun ja, das bedeutet Nora Wyrazek,
und der Meister, der diese Blätter gezeichnet
und gemalt, tritt gerade zur Thüre herein," ver-
setzte Alfred lachend. „Diese junge Dame hier
beschenkte mich zu meinem letzten Namenstage
mit diesem Album von ihrer eigenen Hand."
„Sie, mein Fräulein? Ist es möglich?" ries
der Hauptmann, zu Nora ausblickend, die so
eben ein Präsentirbrett mit einem leichten Gouter
auf den Tisch setzte, und tief erglühte, als sie
ihr Werk in Guido's Händen sah. „Und wer
war denn Ihr Lehrer?"
— „Fräulein Dupuy hier und die Natur,"
erwiederte die Erglühende; „aber Sie beurtheilen
meine kleinen Leistungen allzu schmeichelhaft,
Herr Hauptmann, denn Niemand kennt die
Schwächen meiner Leistungen besser als ich."
„Diese Leistungen sind so vortrefflich, daß
sie Lehrerin und Schülerin gleich sehr zur Ehre
gereichen — es liegt in Ihnen das Zeug zu
einer bedeutenden Künstlerin, mein Fräulein,"
sagte Herr v. Kirchner zu Nora.
— „Sie wollen mir schmeicheln oder mich
ironisiren, gnädiger Herr: es sind schwache Ver-
suche, die vielleicht nur durch die Absicht einen
kleinen Affektionswerth haben," erwiederte Nora,
immer höher erglühend, und beeilte sich, das
Zimmer wieder zu verlassen.

„Was mich anbelangt, Herr Hauptmann,"
sagte Fräulein Dupuy, „so gebietet mir die
Ehre, jedes Verdienst von meiner Seite in Abrede
zu ziehen. Ich habe Nora nur die einfachsten
Ansangsgründe des Zeichnens beizubringen ver-
mocht, und sie hatte mich in wenigen Monaten
überflügelt. Es ist eine wundersame Selbststän-
digkeit in diesem zarten Wesen — eine so starke
Seele, ein solch kräftiger Wille, eine solch be-
wundernswerthe Ausdauer, wie man sie kaum
jemals bei einer Frau finden wird. Was sie
erfaßt, das verfolgt sie mit einer eisernen Zähig-
keit, und Tag und Nacht arbeitet ihr mächtiger
Geist daran, bis sie der Sache auf den Grund
gekommen. Was sagen Sie dazu, Herr Haupt-
mann? Als ich Nora im Zeichnen nicht mehr
weiter fördern konnte, saß sie halbe Nächte hin,
um Calame's Landschaftsschule auf die Schiefer-
tafel nachzuzeichnen, und bald war in der gan-
zen Gegend kein einziger schöner Baum mehr,
den sie nicht skizzirt hätte. Es ist wahrhaft
schade, daß diese Skizzen nur auf die Schiefer-
tafel gezeichnet und immer wieder ausgelöscht
wurden."
„Wir besitzen aber noch einige Zeichnungen
von ihr aus jener Periode, welche Ihnen be-
stätigen werden, was Mademoiselle sagt," sägte
Frau v. Hillmar hinzu. „Es bedarf wohl nicht
erst der Erwähnung, daß ich Nora veranlaßte,
ihre Skizzen aus Papier zu zeichnen, sobald sie
diese Proben ihres Talents abgelegt hatte.
Mademoiselle hat übrigens Nora ganz richtig
geschildert: Alles, was sie angreift, wird von
ihr mit einer eisernen Konsequenz durchgesührt,
und es ist ein wahres Räthsel, wie in einem
solch' zarten Körper ein solch' starker klarer Geist,
ein solch' unbeugsamer ernster Wille wohnen.
Nora lernt ungemein leicht, aber sie nimmt
nichts leicht, sie scheut nicht Mühe noch Nacht-
wachen, um sich selber fortzubilden, und ehe
man sich dessen versieht, ist sie Meisterin in
Dem, was sie kaum begonnen hat. Sie sollen
sie heute Abend noch in einer andern Kunst be-
wundern, worin sie nicht minder cxcellirt — in
der Musik. Sie sind ja Musikfreund, nicht
wahr?"
— „Ein leidenschaftlicher, gnädige Frau!"
„Ein famoser Sänger, ein wahrer Klavier-
virtuose, liebe Mama," ergänzte Alfred: „nenne
mir überhaupt irgend ein Gebiet menschlichen
Wissens oder Könnens, auf welchem mein Freund
sich nicht auszeichnet! So wip ihr Nora ge-
schildert habt, ist gerade auch Er!"
Herr v. Kirchner lehnte dieses Lob bescheiden
ab, aber die letztere Aeußerung Alfreds über-
zeugte ihn gleichwohl im Stillen von dem Vor-
handensein einer innigen Wahlverwandtschaft
und Congenialität zwischen Nora und ihm. Und
da in einem kleinen Familienkreise auf dem
Lande die Musik als gesellige Unterhaltung im-
mer eine namhafte Rolle spielt, so kam man
auf naturgemäße Weise dazu, im Verlaufe des
Abends auch Musik zu treiben. Guido sang
einige Schubert'sche Lieder, und forderte Nora
zu einem Duett aus. Er wählte das aus Don
Juan zwischen Don Juan und Zerline, aber sie
lehnte es ab, da sie es noch nie gesungen.
„Wohlan, so schenken Sie mir das Vergnügen,
es wenigstens zu probiren," sagte Herr v. Kirch-
ner: „ich bin überzeugt, Sie können es sogleich:
Ihr Organ ist so weich und biegsam und wohl-
geschult, Ihr Gehör vortrefflich. Beginnen wir!"
„Es wird zu schwer für mich sein, Herr
Hauptmann, denn ich habe noch nie Gesang-
unterricht genossen." erwiederte Nora bescheiden.

Dennoch ward der Versuch gemacht; Guido
schlug die Noten auf, setzte sich an das Klavier
und spielte und sang, Nora probirte und traf
ziemlich genau, nur fehlte es ihr noch an Routine
und Uebung, aber man fühlte, daß sie mit Em-
pfindung und Verständlich auf die Mozart'sche
Musik einging. Dennoch erklärte sie sich am
Ende des Gesanges sür höchst unbefriedigt von
ihrer eigenen Leistung.
„Ich kenne die Heroen der neueren Musik
zu wenig, habe von Mozart, Beethoven, Men
delssohn-Bartholdy, Schubert und Anderen noch
so Weniges meisterhaft. vortragen gehört, daß
ich bezweifle, ob dies sich durch eigenes flei-
ßiges Studium erringen läßt," sagte Nora.
„Ja, wenn ich einen Lehrer hätte, wie Sie!"
— „Lassen Sie mich etwas hören, was Sie
selbst gelernt haben," sagte Guido; „wenn mög
lich, dann will ich Ihnen nachhekfen."
Ich rechne aus Ihre Nachsicht, HerrHaupt-
m« X denn ich kenne keine Prüderie. Wer nie
g ' , kann nie die Wahrheit finden," erwie¬
derte Nora, holte ein geschriebenes Notenbuch
herbei und spielte ein Adagio aus der kolossalen
neunten Symphonie Beethoven's über Schiller's
Lied an die Freude. Es war eines jener schwie-
rigen, aber das Innerste des Gemüths bewe-
genden Stücke des großen Meisters. Alle hör-
ten in lautloser Spannung zu, Guido wandte
ihr die Blätter um und erschien ganz iu ihr
Spiel versenkt.
„Das ist vortrefflich, mein Fräulein," sagte
er bewegt, als sie geendet. „Es fehlt Ihnen
nichts, als eine bessere Technik. Allein Sie
haben ein Gefühl, ein Verständniß für den gro
ßen Meister, wie ich es selten gehört. Und
diese schwere, gewaltige Piece haben Sie sich
selbst einstudirt?" Nora nickte erglühend und
wagte nicht aufzublicken, aber die Bewunderung
und das Erstaunen, welche in dieser Frage
lagen, schwellten ihr das Herz mit einem un-
säglichen Entzücken. „Wie haben Sie dies nur
angestellt und zu Stande gebracht?"
— „Ich habe nicht nachgelassen, bis sch die
Schwierigkeiten überwunden und die Feinheiten
und Schönheiten begriffen hatte, Herr Haupt
mann. Kennen Sie denn das englische Sprüch-
wort nicht: ^Virero i« a rvill, tlmre is a rvaz ,
oder zu deutsch: Willenskraft Wege schafft?"
„Willenskraft Wege schafft!" wiederholte
Guido bewegt. „Ein treffliches Motto, mein
Fräulein, und zugleich ein Schlüssel zu Ihrem
ganzen Charakter!"
Nora erglühte und wollte den Flügel ver-
lassen, aber Frau v. Hillmar forderte sie aus,
noch einige der weichen elegischen slowenischen
Volkslieder zu singen, die sie mit solcher Wir-
kung vortrage, und Nora gehorchte. Diese lieb-
lichen Mollakkorde voll süßer Schwermuth har-
monirteu wunderbar mit dem Ausdruck in den
feinen edlen Zügen der reizenden Blondine, und
übten eine Wirkung auf den Hauptmann, deren
Tiefe Niemand ahnte. Er war schweigsam ge-
worden, und Frau v. Hillmar, welche dies auf
Rechnung der Ermüdung von der Reise brachte,
gab bald darauf das Signal zum Ausbruch.
Allein Guido hatte noch keinen Schlaf. Sein
Kops glühte, seine sonst so ruhige Natur war
tief erregt, chaotisch drängten sich die Gedanken
und Empfindungen in seinem Gehirn. Er war
sich bewußt, daß noch niemals eine Frau einen
solch' tiefen Eindruck aus ihn gemacht hatte, als
diese zarte Blondine mit den braunen Augen,
der geschmeidigen, schlanken, feinen Gestalt, dem
unbeschreiblichen Ausdruck in ihrer ganzen Er
 
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