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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0341
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Der Mensch denkt — Gott lenkt! scheinen, weil der Gruß, der Ihnen galt, nun
! erst in zweiter Linie an Sie kommt! Vergeben
! Sie mir und üben Sie Nachsicht!" sagte er, zu

Novelle von Alfried Wistius.
(Schluß.)
Auf der ganzen Fahrt am nächsten Morgen
war von diesem Gegenstand nicht mehr die Rede,
and die beiden Kameraden bewunderten mit ein-
ander die waldigen Gebirgslandschaften und ma-
lerischen Gegenden, durch welche sie hinfuhren.
Gegen Mittag erreichten sie Otterburg, und als
der Wagen vor dem Schlosse hielt, kamen Frau
v. Hillmar und ihre Tochter, Nora und Fräu-
lein Dupuy herbeigeeilt, den lieben Gast zu em-
pfangen.
„Sein Sie mir tausendmal willkommen,
Herr v. Kirchner! Nie werde ich vergessen, daß
wir Alle Alfred's Leben Ihnen verdanken!" sagte
Frau v. Hillmar und umarmte Guido. „Und
hier haben Sie den ganzen kleinen Kreis
meiner Lieben: meine Tochter Cölestins,
meine Pflegetochter Nora, meine liebe
Freundin Angelique Dupuy!"
„Fürwahr, ich hätte Sie sogleich aus
Alfreds Beschreibungen als seine Schwester
erkannt, mein Fräulein! Vergönnen Sie
mir, in Ihnen eine Freundin zu begrüßen,
die mir aus Alfred's Schilderungen schon
längst bekannt und vertraut ist, Fräulein
Cölestine!" ries Guido lebhaft und ergriff
Nora's Hand, die er an seine Lippen zog.
— „Sie irren, Herr Hauptmann; ich
bin nicht Fräulein v. Hillmar! Ich bin
nur Nora!" stammelte diese erschrocken
und wollte ihm ihre Hand entziehen.
„Nora, die Pflegeschwester?" fragte
Guido betroffen, und sein Auge suchte
das der erglühenden Nora, und auf sei-
ner eigenen gebräunten Wange schlug eine
hohe Röthe auf. „Verzeihung, mein
Fräulein, aber auch Sie sind mir keine
Fremde mehr. Ihnen aber, mein gnä-
diges Fräulein, mag ich sehr linkisch er-

Cölestinen sich wendend, die selbst verlegen und
betroffen dastand, dann aber in ein munteres
Gelächter ausbrach und diese Verwechslung für
einen köstlichen Witz erklärte, was die allgemeine
Befangenheit rasch beseitigte. Cölestine war gut-
müthig und neidlos; ihrer Lebensstellung sicher
und geistig immer etwas indolent, galt es ihr
gleich, daß sie in anderen Sticken hinter Nora
zurückstand. Ja sie liebte es sogar, zuweilen
Fremde zu necken, indem sic ihnen Nora als
das Fräulein v. Hillmar vorstellte.
Nora aber war diese Verwechslung einiger-
maßen peinlich gewesen, und auf ihrem feinen
zarten Gesicht wechselte noch nach einigen Stun-
den mehrfach die Farbe, wenn sie fühlte, daß
die dunklen Augen des Hauptmanns auf ihren

Zügen hafteten, weil Guido bemerkte, daß sie
verlegen und aus dem gewohnten sichern Gleich-
gewichte gebracht war, was er jedoch aufrichtig
! bedauerte; denn diese reizende feine Blondine
mit den braunen Augen und der hohen, freien,
' intelligenten Stirne muthete ihn an wie ein
wahlverwandtes Wesen. Er konnte sich nicht
verhehlen, daß sie unbedingt die geistig bedeu-
tendste der Damen in Otterburg war, und es
erschien ihm wie eine unverdiente Ungunst des
! Schicksals, daß Nora zu der Nolle eines ersten
dienenden Geistes verurtheilt war, wie er meinte,
da er nicht ahnen konnte, daß sie sich selber
diese untergeordnete und gemeinnützige Stellung
! im Hause angewiesen hatte.
Schon der erste Abend sollte jedoch wesent-
! lich dazu beitragen, den stillen Reiz, welcher
Nora in seinen Augen umgab, zu einer wirk-
liehen, wenn auch vorerst geheim gehaltenen
Bewunderung zu entzünden. Hatte er
schon bei Tische mit unverhohlenem Er-
staunen bemerkt, mit welcher Geläufigkeit
Nora mit der Dienerschaft Slowenisch,
mit Fräulein Dupuy im besten Accent
Französisch sprach, hatte er auf seine Be-
merkung hierüber hören müssen, daß Nora
nut gleicher Meisterschaft auch noch die
italienische und die englische Sprache be-
herrsche, und dieselben eben so gewandt
schreibe als spreche — so wuchs sein Er-
staunen noch, als er bei der Rückkehr
von einem kleinen Spaziergang auf die
benachbarten Anhöhen seine Bewunderung
über die eigcnthümlichcn Reize der Ge-
gend aussprach, und Frau v. Hillmar
darauf erwiederte: „Ach, das, was Sie
bis jetzt gesehen haben, lieber Haupt-
mann, will eigentlich noch wenig bedeuten
gegenüber von Dem, was Ihnen unsere
Gebirgslandschaften auf größeren Aus-
flügen erst bieten werden. Wir haben
Punkte hier, die sich mit den gerühmte-
sten Naturschönheiten Mittel - Europa's
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Vie Finqalsyrellc auf Ltassa.
 
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