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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0069
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Tod und Leben.
Novelle von Uugust Schrader.
(Fortsetzung.)
8.
Eine Stunde von dem Landhause des Doktors
Mohr lag still und einsam ein Dörfchen, das
rings von einem Eichensorste umgeben war. Die-
sem Umstand verdankte es auch wohl den Namen
„Eichstedt." Das Dörfchen zählte vielleicht fünfzig
Häuser und entbehrte der Kirche; die Land-
leute mußten, wenn sie dem Gottesdienste
beiwohnen wollten, nach dem eine halbe Stunde
entfernten Kirchdorfe wandern. Eine Schule
war vorhanden; die Gemeinde hatte sie vor
wenigen Jahren erbaut und besoldete den
Lehrer so gut als möglich. War diese Ge-
meinde auch klein, so hatte sie doch mehrere
sehr wohlhabende Mitglieder. Große Acker-
flächen sah man nicht, wohl aber bei jedem
Hause einen wohlgepflegten Garten. Der
fruchtbare Boden brachte köstliches Gemüse
hervor, das in der Stadt besonders gesucht
ward. Der Gartenbau Eichstedt's war be-
rühmt geworden und dies mit vollem Recht.
Keine Erdbeere, keine Kirsche, keine Pfirsiche,
keine Birne, kein Apfel war so schmackhaft
und saftig als die von Eichstedt. Die reichen
Städter bezahlten diese Produkte gut.
Am Ende des Dorfs wohnte der Mann,
der für den reichsten galt. Es war dies Mat-
thias Keßler, der fast jährlich ein neues
Stück Erde ankaufte. Sein Garten war der
größte, schönste und fruchtbarste. Nicht nur
Gemüse und Obst, sondern auch Blumen züch-
tete er, deren Zwiebeln und Samen weit und
breit verschickt wurden. Das Gehöft dieses
Mannes war nicht eben groß, aber es be-
stand aus gut gebauten und gut erhaltenen
Häusern.
Wir betreten Keßler's Wohnzimmer. Es
war fast städtisch eingerichtet. Sopha, Stühle,

Kommode und Sekretär mochten vor Kurzem erst
gekauft sein; die Gardinen an den Fenstern waren
fein und weiß. Man errieth, daß hier eine
sorgsame weibliche Hand waltete. Nirgends ge-
wahrte das forschende Auge ein Stäubchen. Die
Scheiben der Fenster glänzten wie die Möbel.
Eine einfache blaue Tapete bedeckte die Wände,
an denen Lithographien und Stahlstiche in
schwarzen Rahmen prangten. Auf dem Sekretär
stand eine Stutzuhr unter großer Glasglocke,
deren Pendelschläge hell durch das freundliche

Zimmer klangen. Das eine der Fenster ging
nach dem Hof, das andere nach dem Garten
hinaus.
Der Zeiger der Pendüle stand auf halb Zwölf,
als ein junges Mädchen eintrat. Es war Klär-
chen, die Tochter Keßler's. Klärchen, eine schöne
und üppige Mädchengestalt, mochte neunzehn
Jahre zählen. Sie trug ein dunkelgraues Mie-
der mit Zinnknöpfen und einen Rock von brau-
nem Fries. Das schneeweiße Hemd, aus feinem
Linnen gefertigt, bedeckte nur zur Hälfte den
üppigen runden Arm. Ein dunkelgrünes Sei-
dentuch, dessen Zipfel auf dem Rücken zuge-
knotet, verhüllte züchtig den vollen Busen.
Was man nicht oft bei Landschönheiten fin-
det, besaß Klärchen: einen kleinen wohlge-
formtcn Fuß, der mit weißem Strümps und
leichtem Schuh bekleidet war. Ihr Köpfchen
war von besonderer Schönheit. Das üppige
schwarze Haar desselben glänzte wie Ebenholz;
es bildete über der Stirn einen glatten Schei-
tel, der mit sichtlicher Sorgfalt gepflegt ward.
Die schweren Flechten vereinigten sich zu
einem Kranze, den ein schwarzes Bändchen
zusammenhielt. Das frische, blühende Ge-
sicht glich dem einer Madonna ... die Züge
desselben waren fein und ausdrucksvoll. Schön
geschweifte Lippen bildeten einen reizenden
Mund. Das große himmelblaue Auge, um-
geben von dunkeln Wimpern, spiegelte die
mädchenhafte Freudigkeit eines arglosen Ge-
müths ab. Klärchens Wuchs war untadel-
hast; in allen ihren Bewegungen lag eine
natürliche Grazie, die ihre Erscheinung zu
einer pikanten machte. Hätte sie städtische
Kleider getragen, man würde sie für eine
Dame vom Stande gehalten haben.
— Schon halb Zwölf! rief sie überrascht,
als sie nach der Pendüle gesehen hatte.
Sie öffnete einen Kasten der glänzenden
Kommode, holte ein weißes Damasttuch her-
vor und breitete es auf dem Tische aus, den
sie in die Mitte des Zimmers gezogen hatte;

Vie astronomische Ahr in Straßburg. (S. Seite 87.)


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