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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0249
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Der Mensch denkt — Gott lenkt!
Novelle von Alfried Msiius.
(Fortsetzung.)
3.
Es war Morgen. Der feine Silberschlcier
eines Frühlingsnebels hing über den Lagnncn
und der grauende Tag kämpfte mit der Nacht,
als es in dem alten Palazzo rege ward, da
die beiden deutschen Edelleute abzüreisen ge-
dachten, welche schon seit Wochen die Froute-
zimmer des zweiten Stockwerkes bewohnt hatten.
Hauptmann v. Ellershausen war vom Kellner
pflichtlich vor Tage geweckt worden, hatte sich
schnell angekleidet und wollte sich entfernen, als
er in der unteren, nur von einer trüben Oel-
lampe erhellten Halle sich verirrte und durch
ein Pförtchen in einen kleinen Hof hinaustrat,
welcher mit Brennholz und allerlei Gerümpel
gefüllt war. Er wollte wieder zurückkehren,
allein das Pförtchen war hinter ihm zugefallen
und hatte keine Klinke von außen. Der kleine
Hof hatte nur noch einen anderen Ausgang
nach dem schmalen Winkel an der Seite des
Hauses — denselben, wo der Nebencingang
lag. Als er auf die Klinke dieser kleinen
Thüre drückte, um sich leider zu überzeugen,
daß das Pförtchen ebenfalls verschlossen war,
pochte Jemand draußen diskret an dasselbe,
und eine gedämpfte Stimme sprach durch das
verschlossene und vergitterte Guckloch der alten
Eicheuthüre in italienischer Sprache: „Signora,
ich bin da! Terenz ist da, Signora! Machen
Sie auf!"
Alle Wetter, ein Geheimnis;! dachte Ellers-
hausen und fühlte unwillkürlich und instinkt-
mäßig ein neugieriges Verlangen, die weitere
Entwicklung dieses Abenteuers abzuwarten; denn
daß es sich um ein solches handle, ward dem
Hauptmann alsbald klar. Es gibt vielleicht keine
Hauptstadt der Welt, die an Abenteuern so reich

ist als Venedig. Sollte hier ein Diebstahl be-
absichtigt werden? Handelte es sich um eine Ent-
führung? . . . Noch war der Hauptmann hier-
über nicht im Reinen, als die Männerstimme
draußen etwas lauter die vorige Benachrichtigung
wiederholte, und unverkennbare Laute erkennen
ließen, daß der Manu jenseits der Thüre die
Mauer erklettern wolle.
Nicht Furcht, sondern eine unerklärliche Scheu,


Kirche des Val de Hracc in Paris. (S. Seite 265.)


für einen Horcher gehalten zu werden, und ein
gewisser Drang der Neugier bestimmten den Haupt-
mann rasch und leise in einen Holzschuppen aus
Brettern zu treten, welcher den Hinteren Raum
des kleinen Hofes einnahm. Kaum war er hin-
ter dessen Bretterwand getreten, so tauchte über
die Hohlziegel, womit die Mauer gedeckt war,
der schwarzbuschige Kopf eines braunen Kerls,
der sich nut raschem Blick in dem Höschen um-
schaute. In diesem Augenblicke öffnete sich
die kleine Hausthüre wieder, und unserem
Hauptmaune in seinem Verschlage stockte bei-
nahe der Athem, als er in der weiblichen Ge-
stalt, welche in den schmalen Hofraum heraus-
trat, Frau Ida v. Kirchner selbst erkannte,
welche einen leichten Mantel von dunklem, blau
und grün karrirtem Zeuge um sich geschlagen
und die Kaputze über den Kopf hereingezogen
hatte und einen unförmlichen Pack, in einen
alten Shawl geschlagen, vor sich aus dem Arme
trug.
„Signora, ich bin da! Terenz ist da!"
flüsterte der fremde Kerl.
— „Gut, ich ebenfalls! Gebt Acht, ich werde
öffnen!" flüsterte die Dame, deren Stimme dem
Hauptmann nun keinen Zweifel mehr ließ, daß
er recht gesehen. Frau v. Kirchner drückte
auf eine Feder am Schlosse, der Riegel hakte
sich aus, das Pförtchen öffnete sich und unter
demselben erschien der fremde Bursche in der
Tracht der Rastelbinder und lächelte Frau v.
Kirchner freundlich an.
„Hier, mein Freund," flüsterte sie eilig
und mit sichtlicher Erregung, und drückte ihm
ein kleines Paket in die Hand. „Hier ist das
Bedungene — und hier das Andere; und nun
handelt wie es Euch befohlen, Terenz, und
Gott wird's Euch lohnen! Nur fort! Schnell
fort!"
— „Ja, ja, gut, Signora! Alles gut! Ad-
dio!" flüsterte der Rastelbinder mit beeifertem
Kopfnicken, nahm den Pack in dem Shawl aus
den Arm, schlug den rauhen Kotzeumantcl dar-
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