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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0309
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F


Der Mensch denkt — Gott tenkt!
Novelle von Kttricd Wqlius.
«Fortsetzung.)
II.
Im Empfangszimmer des Doktor Hauptner,
seines Anwalts, saß an einem schönen Sep-
tembermorgen Herr Moritz v. Kirchner in ziem-
lich unruhiger Erwartung und Spannung.
„Die Nachrichten, welche Sie mir da über die
Familie geben, sind wahrhaft betrübend, mein
lieber Doktor," sagte er zu seinem Geschäfts-
mann, und seine welken kranken Züge drückten
eine tiefe Traurigkeit aus. „Und Sie glauben
also, daß es möglich wäre, die Begnadigung
meines unglücklichen
Bruders zu erlangen?"
— „Ich zweifle kei¬
nen Augenblick daran,
Herr v. Kirchner," er-
wiederte der Advokat.
„Es kann kaum einem
Zweifel unterliegen,
daß der Unglückliche
kindisch ist, und schon
zur Zeit, wo er das
Verbrechen beging, nicht
mehr ganz zurechnungs¬
fähig war. Der Be¬
trug war allzu plump
angelegt, als daß ein
Mann von Bildung und
klarem Verstand nicht
hätte voraussehen kön¬
nen, daß er entdeckt
werden müsse. Es war
überhaupt von Seite
des Unglücklichen ein
Akt der Verzweiflung,
einer jener Momente,
wo die Geldnoth ihn

zwang, zu einem desperaten Mittel zu greifen,
um den Schein von Wohlstand zu retten, wel-
cher ihm allein noch einen bedingten Halt in
der Gesellschaft gab."
„Aber wie konnte es so weit kommen,
lieber Doktor, nachdem ich doch dafür gesorgt
zu haben glaubte, daß die Familie wenigstens
sorgenfrei und anständig leben könne? Haben
Sie denn nicht die Raten der Rente so ver-
theilt, daß ..."
— „Sein Sie überzeugt, Herr v. Kirchner,
daß ich es niemals weder an Fürsorge noch an
Ermahnungen und guten Nathschlägen fehlen
ließ," fiel ihm der Advokat in's Wort; „allein
Sie scheinen zu vergessen, daß ich es mit einem
Spieler und einer Verschwenderin zu thun hatte.
Zahlte ich heute eine Monatsrate, so war sie

entweder schon sehnsüchtig erwartet, um drin-
gende Verbindlichkeiten zu bezahlen, oder sie
wurde in wenigen Tagen leichtsinnig und ge-
dankenlos verpraßt, nnd ich dann alsbald wieder
mit neuen Gesuchen um Vorschüsse bestürmt."
„Entsetzlich!" murmelte Herr Moritz; „wenn
mein fleißiger, nüchterner, sparsamer Vater aus
seinem Grabe herausblicken könnte, ich glaube,
er könnte nicht mehr unter dem Boden ruhen. —
Aber um aus etwas Anderes zu kommen, Herr
Doktor," fuhr er laut fort, „auf was gründet
sich Ihre Hoffnung, daß meines Bruders Be-
gnadigung zu erlangen wäre?"
— „Auf zwei wesentliche Punkte: auf die
geistige Störung des.Herurtheilten, welche seine
weitere Strafe zu einer nutzlosen Barbarei macht,
und auf den Umstand, daß der Kaiser eine Für-
bitte nicht abschlagen
wird, welche der Sohn
des Unglücklichen an
ihn richten würde, Herr
v. Kirchner."
„Wie so dies, Herr
Doktor?"
— „Der Unterlieu-
tenaut Guido v. Kirch-
ner hat sich bei Cu-
stozza und Novara so
ausgezeichnet, daß er
vielleicht das Theresien-
kreuz verdient hätte,
wenn er nicht jung und
ohne Fürsprache gewe-
sen wäre," erwiederte
der Advokat. „Jeden-
falls aber gehört Ihr
Neffe zu den verdien-
testen, tapfersten und
gebildetsten Offizieren
der Armee, und ward
auf dem Schlachtfelde
von Novara zum Haupt-
mann befördert. Der

vcr Hckla ans Island,


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