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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0308
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-°O> 300 <Z-

in der Restauration fanden, auf dem Rasen!
tanzten seine Kinder.
Als wir beim ausgesuchten Mahle bei der!


W M

„Ganz malerisch, so, heben Sie den Arm
ein wenig höher, Mademoiselle, so," sagte Walter.
Herr Pillot rief: „Jetzt, Kinder, ihr wißt, was
ihr zu thun habt."
„Aber um Gottes willen, Herr
Pillot, was thun Sie? Sehen
Sie doch Ihre Kinder an? So
kann ich sie doch nicht aufnehmen,
sie blasen ja alle die Backen auf,
als wollten sie sich auf Posaunen
hören lasten!"
„Das sollen die Kleinen, sie
haben Befehl, die Wangen aufzu-
blasen; ich bitte, sagen Sie in
Gegenwart der Zeugen keine Splbe
darüber, die Kinder sollen voll-
wangig aussehen."
„Sie werden alle aufgedunsene
Gesichter auf der Photographie ha¬
ben; es geht wirklich nicht, Herr
Pillot."
„Es muß sein, ich zahle Ih¬
nen dreifaches Honorar, und, falls
ich demnächst ein Glück habe, drei-
hundert Napoleons, auf meine Ehre,
aber ich zähle auf strengste Dis¬
kretion von Ihnen und Ihrem Ge-
hülfen."
„Das Letztere bin ich nicht,
aber auf Verschwiegenheit meiner¬
seits dürfen Sie rechnen."
„Der Mann schämt sich viel¬
leicht, Porträts von solchen Jam¬
mergestalten an Großeltern zu sen¬
den," flüsterte mir Walter deutsch
zu, und sagte zu Herrn Pillot
französisch: „Ihr Wille soll erfüllt
werden!"
In diesem Augenblicke traten
die bereits genannten Herren ein. Walter be-
grüßte sie, wies ihnen Plätze an, und wandte
sich wieder zu der Gruppe. Herr Pillot kom-
mandirte: „Ruhig, Kinder, keines bewege sich,
und jetzt die Blicke dorthin nach dem Kranz an
der Wand gerichtet, verstanden?"
A teinpo bliesen sämmtliche Pillots ihre
dünnen Backen auf.
„Fertig, vielen Dank!" sagte Walter.
Jetzt löste sich die Gruppe auf, Herr Pillot
beeilte sich, seine Kinder in das Vorzimmer zu
schieben, den Geruch von Collodium, der bei
jedem Photographen bemerkbar ist, für schädlich
erklärend, dann wandte er sich an die Zeugen
und bat sie, das Dokument, welches er bei sich
habe, zu unterschreiben. Die Herren lasen es
durch und setzten dann ihre Namen darunter,
auch Walter und ich bezeugten schriftlich, daß
die Familie Pillot von Walter photographirt
worden sei u. s. w.
Kaum befanden wir uns wieder allein, als
Madame Fournier hereingeschwebt kam. Bei
ihrem Anblicke fiel mir das alte Studentenlied
ein:
„Häßlichkeit entstellet immer
Selbst das schönste Frauenzimmer."
Ich hatte nicht Lust, von Madame Fournier
zu träumen, und sagte Walter Adieu.
Ungefähr fünf Monate nach jenem Vorgänge
erhielt ich ein Briefchen von Walter, in welchem
er mich bat, am anderen Tage mit ihm aus das
Land zu fahren, er würde mich abholen. Zur
bestimmten Zeit erschien mein Freund, und eine
Stunde später saßen wir unter grünem Laub-
dach, uns des herrlichen Herbsttages freuend.
Den Wirth machte Herr Pillot, den wir schon

dritten Flasche St. Julien waren, erzählte uns
Herr Pillot mit einem, eines Beckmann würdi-
gen Humor, folgende Geschichte: „Die Familie
Pillot besitzt verschiedene Vorzüge, aber kein
Pillot hat das Glück gehabt, beleibt zu sein.
Wie das zugeht, weiß ich nicht, alle meine Be-
mühungen, mich zu runden, blieben erfolglos.
Um doch eine füllreiche Person in die Familie
zu bekommen, vermählte ich mich mit Adele Mer-

Lilöcr-KälM.


Auflösung folgt im nächsten Heft.
Auflösung Les Silder-Käthsels im neunten Heft.
Es wird nichts so heiß gegessen als es gekocht ist.

ceur, der Tochter und Schwester korpulenter
Leute. Jedes Mitglied der Familie wog an
zwei Centner. Der Bruder meiner Frau mochte
mich nie leiden, obgleich ich ihm
brüderlich entgegenkam. Er hing
fest an dem Vorurtheil, daß ha-
gere Menschen neidisch, geizig,
zänkisch seien, dagegen dicke wohl-
wollend, freigebig, friedlich! Er
verlor seine kugelförmige Gattin
und seine beiden eben so gestal-
teten Kinder durch den Tod, und
schloß sich jetzt an seine älteste
Schwester, deren robusten Mann und
die quappelige Tochter des Paares.
Jedes Jahr lud mein Schwager
Merceur sie auf sein schönes Gut
in der Bretagne ein, mich dagegen
mit meinen Kindern nie. Als meine
Frau starb, redete er mir nach, ich
Hütte sie verhungern lassen, und
mein anderer Schwager Charpentier
stimmte ihm bei. Die Schwestcr
meiner Frau starb ebenfalls, und
Merceur erklärte, jetzt würden Char-
pent.er und dessen vollwichtige Toch-
ter seine Haupterben, wir mageren
Pillots sollten jedoch nicht einen
Sou erhalten. Ich frage Sie, war
das nicht himmelschreiend? Sind
meine Kinder nicht auch die Enkel
seiner Eltern?! — Jndeß, was
konnte ich thun? Ich ließ den Schwa-
ger Merceur links liegen, kümmerte
mich auch wenig um Charpentier.
Zusüllig erfuhr ich, daß meine
Herren Schwäger seit einiger Zeit
wegen politischer Meinungsver-
schiedenheit eben nicht mehr die
besten Freunde wären. Dennoch konnte ich mich
nicht entschließen, diese Feindschaft zu benützen
und mich Merceur zu nähern; erst als ich er-
fuhr, daß er die Wassersucht habe, ließ ich ihn
durch einen Freund von mir, der in die Bre-
tagne reiste, brüderlich grüßen. Dieser Freund
brachte mir wieder einen Gruß und die Bitte
von Merceur, ihm die photographischen Por-
träts meiner Kinder zu senden, aber ohne Re-
touche, denn er wolle die Gesichter der Kinder
sehen, wie sie in Wirklichkeit wären, ja er
bestand darauf, wie Sie ja wissen, daß die Klei-
nen vor glaubwürdigen Zeugen ausgenommen
würden. Mir ging ein Licht auf, und meines
Schwagers Abneigung gegen magere Personen
kennend, verfiel ich auf eine harmlose List.
Meine Kinder waren ja vor Zeugen ausgenom-
men, ihre photographirten Gesichter unverändert
abgeschickt worden. Daß diese meine Sprößlinge
doch ungeachtet oder eigentlich wegen ihrer auf-
geblasenen Wangen Merceur sehr gefallen haben
müssen, wurde mir nach dem Tode meines guten
Schwagers klar, denn mein ältester Sohn hat
das Merceur'sche Gut geerbt, die anderen Kinder
des Oheims baares Vermögen, das beträchtlich ist."
Wir lachten Alle, Herr Pillot sagte: „Man
muß die Vorurtheile Anderer nicht bekämpfen,
sondern ihnen auszuweichen suchen. Hier, Herr
Walter, ist eine Anweisung aus meinen Bankier,
gut für dreihundert Napoleons."
„Darf ich diese Geschichte, versteht sich ohne
Namen, in einer illustrirten Zeitschrift erzählen,
Herr Pillot?" fragte ich. Er entgegnete: „Warum
nicht? Nur, das bitte ich mir aus, schicken Sie
eine gute Zeichnung dazu ein!"
 
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