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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 2.1867

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.44082#0310
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-Ex 302 <Z—

Name eines solchen Offiziers unter einer Imme-
diateingabe an den Kaiser verschafft derselben so
viel Berücksichtigung, daß wir auf Erfolg hoffen
könnten!"
„So ist also Guido wirklich ein Mann, der
seinen Eltem nicht gleicht?"
— „Ein Mann, dem ich meine volle Ach-
tung zollen muß!" entgegnete der Advokat.
„Lassen Sie es ihn nicht entgelten, daß er im
Widerspruch mit Ihren Wünschen Soldat ward,
Herr v. Kirchner. Ich glaube seine Absicht da-
bei durchschaut zu haben. Guido war zu scharf-
blickend, um nicht, als er aus seinem Pensionat
in's Vaterhaus zurückkehrte, dessen Verhältnisse
zu durchschauen; er ahnte ohne Zweifel, daß seine
Eltern für ihn in jedem anderen Lebenskrcis
eine Fußangel werden würden. Er wollte sich
seinen Weg selbst machen und wußte, daß des
Kaisers Rock Jeden mit Ehren deckt, der ihn mit
Ehren tragt; er wußte: Xodlesse odliZs, und
dies in Verbindung mit einer lange gehegten
Vorliebe für den Soldatenstand entschied seine
Berufswahl. Guido ist der Schmied seines ei-
genen Geschickes, und wird seinen Weg noch
machen. Ich hoffe. Sie werden ihn achten und
liebgewinnen lernen, wenn Sie ihn sehen. Soll
ich ihm nicht schreiben? Er kann ja mit dem
Dampfboote in einem Tage von Linz hier sein."
„Nein, lassen Sie ihn, lieber Doktor! Ich
berühre wahrscheinlich Linz selbst auf meiner
Reise, dann will ich ihn selber sehen. Adeline
soll unsere Bekanntschaft vermitteln. — Aber
meine Schwägerin macht mir wirklich die Zeit
lang, und wir rauben Ihnen auf diese Weise
einige kostbare Stunden."
— „Frau v. Kirchner hat mich niemals durch
ihre Pünktlichkeit verwöhnt, mein geehrter Herr,
indeß wird sie sicher kommen — ah, wenn ich
nicht irre, fährt sie da gerade gegen das Haus
heran!" sagte Doktor Hauptner. „Wollen Sie
also nach unserer Abrede sich in ejncm Kabi-
net verstecken, um Zeuge unserer Unterredung
zu sein?"
„Gewiß, ich werde nur hervortreten, wann
ich es für geboten erachten sollte," sagte Herr
Moritz; „ich will die Frau Schwägerin aus dem
Versteck beobachten, und die Wirkung des Planes
sehen, den wir verabredet haben. Handeln Sie
also ganz genau nach Vorschrift . . . ."
— „Aber ich erlaube mir noch einmal eine
Einwendung, Herr v. Kirchner!" sagte der Ad-
vokat ernsthaft. „Ich verhehle Ihnen nicht, daß
ich den Plan nicht billigen kann; es wäre ge-
wiß zweckmäßiger, den geraden Weg zu gehen,
denn wenn je Ihre Ahnung, daß Ihr Kind Ih-
nen geraubt worden und noch am Leben ist, sich
bewähren sollte, so kann möglicherweise daraus
erst eine Gefahr für das Kind entstehen."
„Das Kind ist nun eine Jungfrau von bei-
nahe achtzehn Jahren, und die Vorsehung, welche
es seither beschützt und bewahrt hat, wie wir
hoffen-nm»rn, wird auch ferner die Unschuld
schützend
Doktor Hauptner zuckte die Achseln, aber da
man in diesem Augenblick an der Thüre pochte,
so bedeutete er Herrn Moritz, sich in den Alkoven
zurückzuziehen, und ging dann, als Herr v. Kirch-
ner sich hinter den Vorhang versteckt hatte, selbst
nach der Thüre, um diese zu öffnen.
Eine hochgewachsene stattliche Dame von an-
sehnlicher Korpulenz rauschte in schwerer Seide
und auffälligem Putz herein. Die Züge der
Frau, welche ctwa 48 bis 50 Jahre zählen
mochte, zeigten noch Spuren einstiger Schönheit,
aber es waren nur Trümmer. Das Gesicht war!

hochgeröthet und hatte seine früheren edlen For-
men verloren. Der Mund und das.Doppelkinn
hatten einen harten selbstsüchtigen Ausdruck an-
genommen. Die dunklen großen Augen blickten
kalt, lauernd und stechend, und das ganze Ge-
bühren der Dame hatte etwas Kühnes, Heraus-
forderndes, um nicht zu sagen Freches.
„Was verschafft mir die Ehre, zu Ihnen be-
schicken zu werden, Herr Doktor?" Hub die Dame
nach den ersten Begrüßungen an.
— „Eine Mittheilung sehr trauriger Art,
gnädige Frau, obschon noch keine offizielle und
verbürgte," entgegnete der Advokat. „Ein Brief,
welchen ich heute von dem Banquier Ihres Herrn
Schwagers aus London erhalten habe, benach-
richtigt mich, daß laut Nachrichten aus Trinidad
auf Euba Herr Moritz v. Kirchner . . ."
„Gestorben ist, wollen Sie sagen?" fiel Frau
Ida dem Zögernden so lebhaft in's Wort, daß
man den Ton für einen freudigen gehalten haben
würde, wenn sie nicht, sich schnell fassend, mit
einer wehmüthigen Miene hinzugesetzt hätte: „Das
kommt nicht unerwartet; der arme Schwager ist
ja schon seit Jahren leidend."
— „Verzeihung, meine Gnädige! von Tod
ist noch keine Rede, sondern nur von einer schwe-
ren Erkrankung, die allerdings zu ernsten Be-
fürchtungen Raum gibt."
„Nun? Und was ist die Folge davon, Herr
Doktor? Denn um dieser Mittheilung allein wil-
len haben Sie mich doch nicht rusen lassen!"
rief Frau v. Kirchner kalt. „Was haben Sie
mir weiter zu sagen?"
— „Das genannte Bankhaus scheint mit
dem Testament des Herrn Moritz v. Kirchner
ziemlich genau bekannt zu sein," fuhr der Ad-
vokat gelassen fort, ohne sich an den Ton seiner
Zuhörerin zu kehren. „Es macht mir die An-
zeige, Ihr Herr Schwager habe längst Fürsorge
getroffen, daß für den Fall seines Ablebens die
Rente für die Familie seines Bruders unge-
schmälert fortbezahlt werde . . ."
„Gottlob," murmelte Frau Ida aufathmend;
„und wer wird das beträchtliche Vermögen er-
ben, Herr Doktor? Eigentlich find ja keine Jn-
testaterben da, als mein Gatte und meine Kin-
der !"
— Mir ist hierüber nichts bekannt, meine
Gnädige! Aus gewissen Andeutungen in dem er-
haltenen Briefe entnehme ich nur, daß allem An-
chein nach Herr Moritz v. Kirchner bestimmt
hat, daß sein gesammtes Vermögen noch eine
Reihe von Jahren verwaltet und dessen Zinser-
trägnisse aufgehäuft werden sollen. Es hat näm-
lich, wenn ich recht unterrichtet bin, eine Zigeu-
nerin Herrn Moritz v. Kirchner wahrgesagt, es
werde noch eines seiner Kinder, das er längst
als todt beklage, wieder zum Vorschein kommen
und seine Identität beweisen, und diesem Kinde
oder seinen Nachkommen soll das ganze bedeu-
tende Vermögen dann ausgehändigt werden."
Frau v. Kirchner hatte ihr Gesicht merkwür-
dig unter der Herrschaft ihres Willens, denn
obschon ihr Gesicht unwillkürlich erblaßte und ein
eiskalter Schauer alle ihre Glieder und Pulse
durchrieselte und ihr Herz wie mit eisigen Kral-
len zusammenpreßte, .so zuckte sie doch mit keiner
Wimper, sondern senkte nur den Blick, fuhr mit
der Spitze ihres Sonnenschirms dem Muster des
Fußteppichs nach, und fragte dann, nach einer
Weile ausblickend, mit leise bebender Stimme,
die etwas sarkastisch klingen sollte: „Und Sie
glauben, daß die Prophezeiung in Erfüllung
gehen wird, Herr Doktor?"
— „Jenun, ich weiß zu wenig non den Kin¬

dern Ihres Herrn Schwagers, meine Gnädige, um
mir hierüber auch nur annähernd eine Meinung
bilden zu können," versetzte der Advokat mit
großem Gleichmuth. „Wenn indeß der eigen-
thümliche Fall zutrefsen sollte, daß ein derartiges
todtgeglaubtes Kind wirklich noch am Leben ist,
dann hat meines Erachtens Herr Moritz v. Kirch-
ner den zweckmäßigsten Weg eingeschlagen, um
für die Herbeischaffung des Kindes zu sorgen,
indem er Demjenigen, der die Wiederauffindung
des Kindes durch seine Nachweisungen ermög-
licht, neben vollständiger Garantie für Straf-
losigkeit eine baare Belohnung von fünf-
zigtausend Kaisergulden aussetzt!"
„Nicht möglich!" rief Frau Ida, und ihre
Blicke verriethen diesmal ein Entsetzen, welches
sie gerne unterdrückt hätte. „Fünfzigtausend
Gulden, sagen Sie, Herr Doktor?"
— „Ja, meine Gnädige! Ich habe den Auf-
trag, dies öffentlich bekannt zu machen — ein
vollgültiger thatsächlicher Beweis, wie Sie sehen,
daß Ihr Herr Schwager der Prophezeiung jener
Zigeunerin um so volleren Glauben beimißt, als
schon manches Andere, was ihm dieselbe früher
voraussagte, eingetroffen ist. Sie werden mir
zugeben, gnädige Frau, daß die Belohnung,
welche auf jene Entdeckung gesetzt, auch sicher im
Stande ist, selbst die Helfershelfer bei dem Ver-
brechen eines etwaigen Kinderraubs zu Eröff-
nungen zu veranlassen — natürlich immer vor-
ausgesetzt, daß wirklich eines der Kinder Ihres
Schwagers unterschlagen worden wäre."
„Allerdings, allerdings, Herr Doktor," stam-
melte Frau Ida 'etwas betreten und zerstreut.
„Eine solche Summe muß locken. Aber warum
theilen Sie mir dies mit?" setzte sie lauernd
hinzu, während sich Perlen kalten Schweißes auf
ihrer Stirne sammelten.
— „Weßhalb, meine Gnädige?! Ei zunächst
in dem guten Glauben, daß es Sie als die
nächsten Verwandten des Herrn Moritz v. Kirch-
ner billig interessiren werde," erwiederte der Ad-
vokat. „Sodann aber auch als eine Art ent-
schuldigender oder motivirender Einleitung zu
einer Erkundigung, welche ich an Sie zu richten
beauftragt bin, nämlich unter was für Umstän-
den das jüngste .Kind des Herrn Moritz v. Kirch-
ner — wenn ich nicht irre, Cora mit Namen —
sein Leben verloren habe?"
„Und warum soll ich gerade darüber Aus-
kunft geben, Herr Doktor?"
— „Ich weiß es nicht, meine Gnädige,"
erwiederte dieser kühl, achselzuckend. „Jener Bries
aus London verweist mich an Sie, legt mir die
Pflicht auf, Sie um ausführliche Auskunft und
eventuell auch um einige leitende Winke, wie
ich meine weiteren Schritte einleiten soll, zu
bitten."
„Sonderbar!" murmelte Frau Ida und ihre
Stimme klang eigenthümlich tonlos; „sonderbar,
daß man Sie an mich verweist! Schwager Mo-
ritz war ja auch mit auf dem Schiff, als das
Kind unbemerkt aus der Koje kroch und . . .
und . . . wie man damals als ganz sicher an-
nahm . . . aus's Verdeck hinaufkletterte. .. und
. . . von einer Sturmwoge in's Meer gewaschen
wurde ..."
Man hörte, wie diese Worte nur zögernd,
mühsam und gepreßt über die Zunge der Frau
kamen, und wie gerne sie die Unterredung ab-
gebrochen hätte; allein Doktor Hauptner schien
hiervon gar keine Ahnung, sondern eher eine Art
wilden Vergnügens daran zu haben, ein höchst
umständliches Verhör über jenen Vorfall mit dec
Dame anzustellen, welche riesige Anstrengungen
 
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