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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 3.1868

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.44083#0101
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95 o-

Waldes störten, sprang mit einem kecken Satze!
über den Bach und war verschwunden. Das
Wild hatte die Aufmerksamkeit des Grafen er
regt; er sprach von Jagden, die er abhaltcu
wollte, nannte die einzuladendcn Gäste und lobte
den Wildstand in seinem Forste, demselben Forste,
den Gabriele ihm zugebracht hatte. Das Ge-
spräch über Jagd, Jäger, Pferde und Hunde
wollte nicht enden, obgleich die Dame sich nicht
daran betheiligen konnte. Bertram wollte ein
anderes Thema bewegen.
— Sie sind ermüdet, gnädige Frau?
— Ja, antwortete sie lächelnd.
— Ruhen mir! rief der Graf.
— Aber wo, wo?
Alle sahen sich nach einem passenden Plätz-
chen um.
— Dort! rief Gabriele.
Die starken, mit Moos bedeckten Wurzeln
einer Eiche bildeten wirklich ein annehmbares
Plätzchen, das fünf Schritte vom Wege lag.
Der Graf führte seine Gattin dorthin.. Alle
ließen sich nieder.
— Wie schön! rief die Gräfin. Hier hat
die Kunst nichts gethan, frei waltet die Natur,
und doch ist das 'Herz entzückt .. .
— Was ist das? rief auffahrend der Graf.
Er deutete nach einer schmalen Lichtung im
Unterholze, die tiefer in den Wald führte.
— Ein Kreuz! flüsterte Gabriele.
Arnold Bertram erhob sich und ging in die
Lichtung, die nach acht bis zehn Schritten auf
ein freies Plätzchen mündete. In der Mitte des
selben stand ein Kreuz, das aus rohen, knorri-
gen Holzstämmcn zusammengesetzt und durch bieg-
same Weidenruthen im Mittelpunkte gebunden
war. Der Fuß stand auf einer zusammcnge-
funkencn, grabähnlichen Erhöhung. Oben auf
der Spitze hing ein aus Eichenblättern gewun-
dener, längst verwelkter Kranz. Man war auf
den ersten Blick versucht, das Ganze für ein
Grabmal zu halten, das der Pflege pietätvoller
Menschen entbehrte. Arnold Bertram suchte ver-
gebens nach einer Inschrift oder nach einem
Zeichen, das auf die Bedeutung dieses romanti-
schen Denkmals hätte schließen lassen können.
Auf dem Hügel zeigte sich schon Gras und Un-
kraut; der Stamm des Kreuzes neigte sich zur
Seite und dürre Blätter, dem Eichenkranze ent-
fallen, lagen auf dem Boden. Das Plätzchen,
inmitten des Dickichts, hatte keine Einfriedigung,
und doch konnte man es nur durch die schmale
Lichtung betreten und verlassen. Kein Lufthauch
regte sich, kein Vogel sang; nur ein großer
Schwarm Mücken umkreiste leise summend die
Kreuzspitze und den Kranz. Das Sonnenlicht,
gedämpft durch die Blätter der hohen Bäume,
schuf eine dem Ange wohlthuende mattgelbe
Dämmerung.
Als der Offizier sich wandte, standen der
Gras und die Gräfin, die leise gefolgt waren,
hinter ihm.
Bertram bemerkte sofort den tiefen Ernst,
der sich in den Zügen des Freundes ausdrückte.
— Eine gut ersonnene Waldsccne! rief er
heiter.
— Das Kreuz muß eine Bedeutung haben!
murmelte sinnend der Graf.
Dann wandte er sich mit der Frage an seine
Gattin:
— Hast Tu je von diesem Kreuze gehört,
Gabriele?
— Nie! Ich sehe es heute zum erstenmal.
— Noch sind wir in unserem Forste, der
bis zu dem nächsten Dorfe sich hinzieht.

Gabriele konnte sich nicht enthalten zu be-
merken :
— Seltsam, ein Grab mitten im Walde.
— Es ist kein Grab! rief der Offizier.
— Und doch!
— Man duldet Begräbnisse außer dem Be-
reiche kirchlicher Friedhöfe nicht.
— So muß hier etwas vorgegangen sein...
— Dein Förster wird Auskunft geben kön-
nen; sinnen wir nicht weiter darüber nach.
Man trat den Rückweg an. Otto von Ra-
vensteins Verstimmung hatte den höchsten Grad
erreicht; er vergaß seiner Gattin den Arm zu
bieten und ging so räsch voran', daß die beiden
andern Personen ihm kaum zu folgen vermochten.
Gabriele, der es nicht entging, daß der Gemahl
tief ergriffen war, flüsterte dem Offizier zu:
— Herr Lieutenant, Sie sind der Freund
Otto's...
— Gewiß, gnädige Frau; ich schmeichle mir,
sein ganzes Vertrauen zu besitzen.
— Woher kommt Otto's Mißstimmung? Er
ist nicht mehr derselbe, der er vor unserer Vcr-
heirathung war.
— Ich glaube den Grund in den gespann-
ten Beziehungen zu seinem Vater suchen zu
müssen.
— Dann trage ich die Schuld! seufzte die
junge Frau.
— Gewiß nicht, gnädige Gräfin.
Man zürnt ihm der Mesalliance wegen, die
er gegen den Willen seiner stolzen Familie ge-
schlossen.
— Es gibt keine Mesalliancen, versicherte
der Offizier; die Aufklärung ist zu weit vorge-
schritten, man belächelt jetzt die Norurtheile, die
uns so lange beherrscht haben. Ich kenne Otto
zu genau, als daß ich ihn nicht mit Ueberzcu-
gung gegen diesen Verdacht in Schutz nehmen
sollte.- Der kranke Vater beschäftigt ihn . . . .
Es ist dies ein Beweis von dem guten Herzen
des Sohnes, das die Aussöhnung wünscht. Es
wäre sehr zu beklagen, wenn der alte Graf
beimginge, ohne Otto Verzeihung zu gewähren.
— Herr Bertram, sagen Sie mir offen, ich
beschwöre Sie, was soll meinem Manne verziehen
werden? Wessen hat er sich schuldig gemacht,
wenn Sie unsere Verbindung ausnehnicn? Auf
das väterliche Vermögen verzichtet Otto, er be-
! darf dessen nicht . . .
— Beruhigen Sic sich, der alte Graf wird
zur Einsicht gelangen und den Sohu an sein
Bett rufen; dann schwindet die Verstimmung
Otto's, die ich eine gerechtfertigte Trauer nennen
möchte. Haben Sie für jetzt Nachsicht mit ihm
und ertragen Sie, so schwer es Ihnen auch fällt,
die Launen, die ihn dcherrschen. Die Entschei-
dung kann nicht lange auf sich warten lassen...
Sie werden den treuesten, den hingehendsten Ge-
mahl in Otto besitzen, denn er betet Sie an und
zittert, daß Sie ihm entrissen werden könnten.
Da haben Sie die Lösung des Räthsels, suchen
Sie keine andere.
Gabriele wagte es nicht, sich darüber zu be-
klagen, daß der Graf sie ihrer Familie entfrem-
den wolle; sie schwieg und auch der Lieutenant
setzte das Gespräch nicht fort, da der Wagen er-
reicht war. Während der Rückfahrt nach der
Villa verharrte Otto im tiefen Schweigen. Fragte
ihn der Freund, so antwortete er durch eine
Kopsbewegnng oder durch eine abwehrende Geste
mit der Hand. Seine Gattin, die still neben
ihm saß, schien er kaum zu bemerken. Nach
einer halben Stunde hielt der Wagen im Hofe
j der Villa. Gabriele suchte betrübt ihr Boudoir

aus; der Graf aber führte den Freund in sein
Zimmer.
— Endlich, endlich! ries er. Hast Du Julian
gesprochen?
- Ja!
— Wann?
— Gestern Abend.
Und was hast Du erreicht?
— Nichts, nichts!
Ter Graf lächelte mit jener Bitterkeit, die
Gabriele in letzter Zeit an ihm wahrgenommen.
— O, ich habe cs wohl gedacht!
— Julian, fuhr der Offizier fort, ist der
alte Phantast noch; er bleibt dabei, daß das
Duell in vorgeschricbeuer Weise ausgesuchten
werde. Deine Trauung mit Gabrielen hat ihn
furchtbar erbittert; zwar tobt er nicht mehr, wie
früher seine Gewohnheit war, aber gerade in
dieser seiner kalten Ruhe erblicke ich Gefahr für
Dich . . .
— Gefahr?
— In Bezug auf Deinen Vater, dessen Ab-
neigung gegen Dich Julian nähren wird.
— Ist das ein Bruder!
Diesen Morgen hat er die Residenz ver-
lassen, um einer möglichen Zusammenkunft mit
Dir vorzubeugen. Ich wiederhole es: mit dem
halbverrückteu Menschen ist nichts anzufangen.
Otto, der einen Gang durch das Zimmer
gcmacht, blieb plötzlich stehen.
— Was räthst Du mir nun? fragte er.
— Du hast Deine Schuldigkeit gethan, in-
dem Du einen brüderlichen Vergleich vorgeschla-
gen; jetzt bleibt Dir nichts, als Julian aufzu-
geben und Dich der Familie Deiner Gattin enger
anzuschließcu. Freund, beherrsche Dich; Gabriele
leidet, wenn sie Dich leiden sieht .. .
— Aber wie steht es mit meiner Ehre ? un-
terbrach ihn heftig der Gras.
Bertram zog den Freund zu sich aus das
Sopha.
— Ich wollte diesen Punkt nicht bewegen,
begann er, da ich ihn für abgethan hielt. Du
kommst also immer wieder darauf zurück . . .
Bist Du denn noch nicht befreit von diesen er-
bärmlichen Vorurthcilcn, die ncuerdwgL.,unter
der Aristokratie epidemisch geworben sind? Gott
im Himmel, was ist denn ein amerikanisches
Duell? Ich neune cs nicht nur Wahnsinn, ich
nenne es die größte Nichtswürdigkeit, die in-
famste Schurkerei, die der Mensch an sich und
an Anderen begehen kann.
,— Wie denkt Julian jetzt darüber?
— Die Ansicht dieses Narren kann nns nicht
kümmern. Otto, Freund, bist Tu ein Mann?
Betrachte die Duellgcschichtc als eine Albernheit,
freue Dich des Glückes, das Du im Besitze Dei-
ner liebenswürdigen Gemahlin findest, und sorge-
ruhig für die Zukunft ... die Vergangenheit
ist abgeschlossen.
In den bleichen Zügen des Grafen zeigle
sich ein zufriedenes Lächeln.
— Das will ich! rief er.
— Recht so!
— Ach, Freund, miruuter erfassen mich bauge
Zweifel, mir ist, als ob ich Julian gegenüber
eine ernste Verpflichtung eingegangen hätte, die
ich um meiner Ehre willen lösen muß . . . dann
möchte mir der Kopf zerspringen, die Gedanken
drehen sich im Kreise . . . mich treibt das Ver
langen, Gabrielen Alles zu gestehen . . .
— Um des Himmels willen nicht!
- Nur Du kannst mich beruhige-, sagte
Olto, die Hand des Freundes erfassend: Du bist
mein Tröster! Du besuchst mich zu wenig, Arnold;
 
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