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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 6.1871

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.44265#0185
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186 Äs¬

worfene Halstuch und die mehr bürgerliche als
militärische Unterkleidung des Mannes keineswegs
ersetzt wurde.
Wallberg war kaum in's Zimmer getreten und
wollte eben seine Meldung beginnen, als der
General heftig auf ihn losfuhr.
„Wahrlich, die Hacienda ist gnt bewacht, Ritt-
meister Wallberg!" rief er aus. „Der Araucaner-
Häuptliug ist mitten im Lager gefangen worden!"
„Sie selbst befahlen mir, General, einen Streif-
zug nach dem Gebirge zu unternehmen."
„Hm, ja!" sprach der Chef verdrießlich. „Es
ist aber immer ein Beweis, daß der Dienst nach-
lässig versehen wird, wenn Spione sich in's Lager
schleichen; freilich blos in Garnisonen und auf
Exerzierplätzen lernt man den Felddienst nicht."
Wallberg schwieg und biß sich in die Lippen.
„Uebrigens," fuhr der General, im Zimmer
auf- und abgehend, fort, „bringt uns diese Nach-
lässigkeit den Vortheil, daß ein gefährlicher Feind
in unsere Hand gefallen ist. Lantaro hat sich
nicht umsonst bis in die Nähe der Hacienda ge-
wagt. Er muß etwas im Schilde geführt haben."
„Wenn er vielleicht wirklich wegen Unterhand-
lungen —"
Der General warf einen verächtlichen Blick
auf Wallberg.
„Lassen Sie den Spion mit Anbruch des Tages
erschießen," sagte er dann kurz.
Die junge Indianerin ließ in diesem Momente
erschrocken die Matte aus ihren Händen fallen
und stieß unwillkürlich ein schön geschliffenes Wasser-
glas vom Tische.
Francesca gab der armen stummen Indianerin
durch Geberden ihren Zorn zu erkennen; das Mäd-
chen aber blickte mit einem Ausdruck unendlicher
Seelenangst und so hilfeflehend auf Wallberg, daß
diesen wie ein Blitz der Gedanke durchzuckte, sie
müsse die Rede des Generals verstanden haben.
Waren es mehr die Gefühle der Menschlichkeit, die
bittenden Blicke der jungen Indianerin, oder die
höhnischen Francesca's, die Wallberg's Inneres
bewegten, er wandte sich mit Entschlossenheit zu
seinem Chef:
„Sie haben zu befehlen, General," sagte er,
„und ich muß gehorchen; aber ich halte mich für
verpflichtet, zu bemerken, daß sich Offiziere der
Republik in den Händen der Indianer befinden.
Wenn Sie den Häuptling tödten lassen, so werden
die Indianer nicht austehen, den Gefangenen das-
selbe Schicksal zu bereiten. Sollte es nicht bester
sein — und ich hoffe, die Araucaner würden gern
einwilligen — die Offiziere gegen den Häuptling
auszuwechseln?"
„Warum ließen sich die Herren gefangen neh-
men!" fuhr der General auf. „Bei Gott! ehe
ich einem Indianer den Säbel überreichte, eher
stieße ich mir die eigene Waffe durch den Leib. —
Aber freilich! jene Herren sind sämmtlich Europäer,
und so glaubten sie, der Krieg müsse auf euro-
päische Weise geführt werden, wo der Sieger von
dem Besiegten sich blos dadurch unterscheidet, daß
jener einen Säbel tragen darf und dieser nicht.
Zudem," fuhr der General, immer verdrießlicher
werdend, fort, „wer hat die Herren hergerufen?
— Die Ehre! — So sagen sie freilich Alle —
wir aber meinen, daß es auch in Europa noch
irgend ein Plätzchen geben müsse, wo solche mit
dem Degen in der Faust zu gewinnen wäre."
„Ich muß Ihnen bemerken," begann Wallberg
im Innersten empört — doch Jener ließ ihn nicht
ausreden.
„Nuckrs äs Vio8!" ries er mit grimmigem
Blicke. „Warum tragen die Herren ihre verkäuf-
liche Tapferkeit nicht in Europa zu Markte? Ohne-
hin finden sie ihre Erwartung nicht erfüllt, daß
mau am Rio Colorado das Gold wie Kiesel im
Sande findet."
„Nein," versetzte Wallberg mit der ganzen
Würde geistiger Ueberlegenheit, „aber noch eher

würde ein Europäer im Sande des Colorado die
erwähnten Goldklumpen finden können, als jenes
humane Betragen, jene edle, auf gegenseitige Ach-
tung gegründete Behandlung, jene Waffenbrüder-
schaft, deren ritterliches Wesen selbst dem strengsten
Vorgesetzten Rücksichten abnöthigt. Sie verdächti-
gen die Brauchbarkeit der europäischen Offiziere.
Aber es ist keiner unter ihnen, der ganz unge-
bildet wäre — keiner trägt die Epauletts, der
nicht wenigstens lesen und schreiben — und noch
etwas mehr — gelernt hat!"
Während Wallberg sprach, ruhten die Augen
des Vorgesetzten starr und bewegungslos auf ihm,
eine fahle Blässe, die indeß bald von steigender
Nöthe, welche sich über die Stirne bis in das
dunkle Haar ergoß, verdrängt wurde, überzog auf
einige Sekunden sein Antlitz. Er schwieg längere
Zeit, den jungen Mann still betrachtend, und wie
in einem inneren heftigen Kampfe befangen, dann
sprach er mit mühsam errungener Fassung und
einem ganz eigenthümlichen Tone der Stimme:
„Rittmeister Wallberg! Gar mancher Offizier
der amerikanischen Heere ist berühmt geworden,
ohne eure europäische Bildung. Einer von ihnen
steht hier vor Ihren Augen. Ich kann weder
lesen noch schreiben. Die Faust, gewohnt die
Lanze durch die Brust des Indianers zu bohren,
der Arm, kräftig genug, den wilden Stier zu
Boden zu werfen, konnte sich mit der Feder nie
befreunden; aber ich habe in den Kämpfen der
Republik schon Heerhaufen von Tausenden mit
Glück und Ruhm gegen den Feind geführt, mein
Blut stoß aus zwölf Wunden, die sich alle auf
der Brust befinden. — Rittmeister Wallberg! ich
sah Sie kämpfen an den Ufern des Rio Negro.
Ich habe sie deshalb nicht jenem abenteuernden
Pöbel, den der Gelddurst nach Amerika treibt,
gleichgestellt; ich achtete Sie, und obgleich ich Sie
einen Trupp jener hergelaufenen Söldner hätte
kommandiren lasten können, habe ich Sie an die
Spitze einer Schaar meiner wackeren Pamperos
gestellt. Die Worte indeß, die Sie vor wenigen
Augenblicken gesprochen, ziehen von nun an eine
ewige Scheidewand zwischen uns. Sehen Sie
fortan in mir Ihren Todfeind!"
Arismendi schwieg jetzt einen Augenblick und
sagte dann in einem Tone der kalt scheinen sollte,
dessen Zittern jedoch genugsam verrieth, was in
der Seele des Sprechenden vorging: „Sie haben
mir noch über Ihren Streifzug Bericht zu erstatten."
„Ich machte Ihren Befehlen gemäß," meldete
Wallberg, „heute mit Tagesanbruch einen Re-
cognoszirungsritt durch die Ebene, die sich gegen
die zerstörte Hacienda de Temblada hinzieht. Schon
von Weitem konnte ich bemerken, daß der Stein-
haufen belebt war. Es war ein Streifcorps, das
dort rastete. Ein ausgetrocknetes Strombett gab
mir Gelegenheit, vom Feinde unbemerkt dem Trüm-
merhaufen mich zu nähern, und da ich mich den
Feinden gewachsen glaubte, so griff ich an. Doch
die Gegner bekamen Verstärkung, trieben uns zu-
rück und eine Strecke vor sich her, da ließ ich
plötzlich Kehrt machen und nahm den feindlichen
Offizier und einige Mann, welche uns zu hitzig
gefolgt waren, gefangen."
„Warum stachen die Jäger ihn nicht auf der
Stelle nieder? — Ich habe doch verboten, Ge-
fangene zu machen."
„Er lag wehrlos unter dem Pferde!" entgeg-
nete Wallberg.
„Gleichviel! er mußte getödtet werden."
„Ich gestehe offen, daß ich den Jägern verbot,
ihn niederzustoßen," sagte der Rittmeister.
„Wirklich," sprach Arismendi, indem ein schauer-
liches Lächeln, wie es Wallberg noch nie bemerkt
hatte, seine wilden Züge durchflog. „Sein Geschick
liegt Ihnen also wohl sehr am Herzen?"
„In der That," erwiederte der Rittmeister mit
Wärme. „Wenn ich hoffen dürfte, daß meine so
dringende als ehrfurchtsvolle Bitte —"

„Wie heißt der Mann?" fiel ihm der General
in die Rede.
„Major Marquis de Gailhac, ein Franzose
von Geburt."
„O, o!" ries Jener mit wildem Lachen. „Welch'
vornehmer Mann ist da in unsere Hand gefallen! —
Marquis de Gailhac! — Wie wird der arme,
der unwissende Pampero Arismendi sich mit dem
zurecht zu finden wissen!" Und sich wieder vor
Wallberg hinstellend, fuhr er fort: „Rittmeister
Wallberg, lassen Sie die Reiter mit Tagesanbruch
vor der Umzäunung aufmarschiren. Ihre Schwadron
formirt sechs Rotten, welche abgesessen, mit ge-
ladenen Karabinern, unter dem Kommando eines
Unteroffiziers innerhalb des Vierecks meine wer- -
teren Befehle erwarten werden. Sie, Rittmeister,
hasten sowohl für den gefangenen Spanier wie
für den Araucaner bis dahin mit Ihrem Leben,
verstehen Sie? — Und nun, Sennora," schloß
der General, indem er sich an die Dame vom
Hause waudte, „sage ich Ihnen gute Nacht! Ge-
schäfte, die zwar nicht Gelehrsamkeit, wohl aber
strenge Thätigkeit erfordern, versagen mir das
Vergnügen, den Abend in Ihrer Nähe zuzubringen."
Wallberg, von den verschiedenartigsten Gefühlen
bestürmt, hätte sich gerne nach seiner Hütte be-
geben, um dem Gefangen! Gesellschaft zu leisten,
aber die Gewohnheit, bei Francesca die Abende,
die ihm der Dienst übrig ließ, zuzubringen, und
dis geheime Besorgniß, noch mehr ihr Mißfallen
zu erregen, hieß ihn bleiben. Er hatte nicht wohl
gethan. Die Dame war noch zu sehr verstimmt,
als daß sie seine freundlichen Reden anders als
nur sehr einsilbig beantwortet hätte. Brauchte
sie einen größeren Wortaufwand, so war es nur,
um den einfachsten Behauptungen des jungen Man-
nes, so einleuchtend und klar sie immer sein moch-
ten, zu widersprechen. Nur zu bald verdroß den
Rittmeister diese Stimmung, und das Gespräch
gewann nach und nach eine solche Schärfe, daß
es wohl zu einem offenen Bruch zwischen den
Beiden gekommen wäre, wenn sie nicht gewaltsam
ihre Erregung unterdrückt hätten. Aber gerade
dadurch wurde eine um so tiefere Erbitterung in
ihren Gemüthern erzeugt, welche schlimmer als
ein offener Kamps war und sich der Erinnerung
unvergeßlich eiugrub.
Manches in dem Benehmen, in den Gewohn-
heiten Francesca's, was dem jungen Mann sonst
nur fremdartig, aber dem Lande, in dem sie lebte,
angemessen, und eben darum interessant erschienen
war, fand er heute hart, seltsam, unweiblich. Hatte
er sonst, — was überhaupt nur selten der Fall
war — in dem schönen Munde Francesca's die
Paganilla (Cigarre von Reißstroh) erblickt, so er-
schien ihm dies mehr ein Spiel, die schönen Lippen,
dis Perlenreiben der Zähne um so vortheilhaster
zu zeigen; heute aber sah er darin nur eine wid-
rige, das Weib karrikirende Gewohnheit. Unglück-
licher Weise fiel es heute Francesca auch ein, sich
in die nach Landcssitte im Hintergründe des Zim-
mers angebrachte Hängematte zu werfen und so
halb sitzend, halb liegend, sich hin und her zu
schwenken, eine in ganz Südamerika einheimische,
auch in den gebildetsten Familien herrschende Ge-
wohnheit, von der Wallberg hundertmal Zeuge
gewesen, die ihm aber heute ganz unausstehlich
vorkam. Mit Lebhaftigkeit erinnerte er sich des
häuslichen Lebens, der sorglichen Thätigkeit, der
freundlichen, gemächlichen Beschäftigungen der
Frauen seines Vaterlandes, und mit Centnerlast
siel ihm Gailhac's Behauptung anf's Herz: daß
der Deutsche niemals sich mit den amerikawschen
Eigenheiten befreunden könne.
Während der Rittmeister mit dieser und ähn-
lichen Bemerkungen in eine immer üblere Stim-
mung verfiel, traf dann und wann sein Blick die
junge Indianerin, dis, obgleich mit ihrer Arbeit
beschäftigt, zuweilen die großen, Hellen, unschulds-
vollen Augen mit unverkennbarem Wohlwollen
 
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