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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 13.1878

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Heft 5
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Heft 5.
Klara, würdest Du nur auch dauu uoch angehören, auch
dauu uoch folgen wollen, wenn ich der Sohu eines Ver-
brechers wäre?"
„D u bist ja keiu Verbrecher und kannst es niemals
werden. Alles Andere ist Nebensache." Sie legte ihren
Kopf an seine Schulter und fuhr fort: „Was auch
geschehen ist, was auch kommen möge, welche Stürme
auch heraufbrauscn, welche Schwierigkeiten uns auch
in den Weg gelegt werden, ich halte fest zu Dir in
Noth und Tod!"
„Hab Dank, Geliebte, nun gehe ich der Entschei-
dung mit Muth und ohne Zagen entgegen."
Beide hielten sich einen Augenblick fest umschlungen
und vergaßen für eine kurze Minute, daß ihre Liebe
vielleicht noch harte Kämpfe zu bestehen, noch große
Schwierigkeiten zu überwinden habe, daß bis zu ihrer
Vereinigung für's Leben noch ein dorniger, stachlichter
Weg zurückgelegt werden mußte, auf dem es ohne
Wunden der Seele nicht abgeheu konnte. Willibald
dachte zuerst daran und sagte:
„O Klara, Dein Vater, was wird der dazu sagen?"
Das junge Mädchen richtete sich empor und erwie-
dcrte mit ernster, entschlossener Stimme:
„Herzensgeliebter, Du weißt, daß ich meinen Vater-
liebe, und trotzdem, daß er Konrad und mich fern von
feinem Herzen chält, so kann ich doch den Glauben nicht
fallen lasten, daß er auch uns liebt. Würde er mein
Leben fordern und ich könnte dadurch das feiuige retten,
Krankheit und Unglück von seinem Haupte abwenden,
ich würde es ohne Zögern für ihn opfern. Sollte er
aber von mir verlangen, daß ich meiner Liebe entsage,
nur damit durch eine Verbindung mit einem Hochge-
stellten fein Ehrgeiz eine Befriedigung erhalte, sein Haus
um nichtigen Glanz erhöht werde, dann wird er er-
fahren, daß es eine Grenze gibt, welche die Tochter un-
gefcheut überschreiten darf, und daß sie auch den vollen
Muth hat, sie zu überschreiten. Sie wird alsdanu
nicht gehorchen und dem Manne ihrer Liebe treu blei-
ben, möge sie auch den ganzen Zorn desjenigen zu tra-
gen haben, dessen Befehle sie in allen anderen Dingen
ohne Widerrede zu respektiren gewohnt ist."
Sie hatte fest und entschieden gesprochen, mit flam-
mender Energie in ihren Augen, wie Willibald sie früher
nie gesehen und gehört. Er sah sie mit verklärten Blicken
an und war im Begriff, sie nochmals entzückt in die
Arme zu schließen, als es sehr laut an die Thüre
klopfte.
Erschreckt fuhren die beiden Liebenden von ihrem
Sitz empor und erst nach einer Pause rief Klara
„Herein!"
Die Thüre öffnete sich und der dumme Heinrich
trat in's Zimmer, machte mehrere sehr tiefe Verbeu-
gungen und sagte dann im devotesten Ton:
„Ich sollte ja dem gnädigen Fräulein melden, wenn
der Herr Professor Dehnhardt den Herrn Baron ver-
lassen habe — er ist soeben fortgegangen."
„Es ist gut," sagte Klara und Heinrich zog sich
sofort zurück.
„Der Vater hat mich zu sprechen gewünscht, wahr-
scheinlich soll ich eine Visite mit ihm machen."
„So will ich gehen."
„Wann sehen wir uns wieder?"
„Morgen jedenfalls. Wo ist Konrad?"
„Er ist schon seit neun Uhr fort, ich weiß aber
nicht, wohin er gegangen."
„Welch ein Erfolg gestern, wie freue ich mich seinet-
wegen."
„Auch ich, Willibald. Leb' wohl, Herzensschatz.
Bis auf morgen!"
Noch eche letzte Umarmung und Klara's Elfengestalt
flog davon.
Willibald blieb noch einen Augenblick wie träumend
stehen, dann sagte er:
„Nun mag kommen, was will, uuu bin ich gefeit
gegen Alles!"
Er verließ jetzt auch den Salon und stieg in den
zweiten Stock hinauf, um zu sehen, ob Konrad nicht
doch vielleicht schon zurückgekehrt sei. Sein Herz war
so voll, so glückgeschwellt, daß er es so gern vor seinem
Busenfreund ausgeschüttet hätte.
Erst als er Konrads Zimmer leer fand, ging er
langsam die Treppen wieder hinunter und verließ mit
glücklichen Gefühlen das Haus. —
Hermine Stolzer blieb dem Verbote des Geheim-
raths und Tante Beate's Mahnung zum Trotz noch
etwas länger in der schönen warmen Luft und gab sich,
als auch die Pastorin sie verlassen, die mit dem Be-
merken sich entfernt, sie dürfe keine Sekunde faullenzen,
da sie für den Umzug noch so viel zu ordnen und zu
packen habe, eine Zeit lang sehr ernsten und tiefen Ge-
danken hin. Dann sich plötzlich erinnernd, daß sie vor-
sichtig sein und sich schonen müsse, um so bald wie mög-
lich zu ihrer Reise die hinreichenden Kräfte gewonnen zu
haben, stand sie auf und ging langsam mit gesenkten Augen
dem Hause zu. Die Eiugangsthür stand offen, und
kaum hatte sie, halb mechanisch, noch immer in tiefes
Linnen verloren, die steinerne Schwelle überschritten,
als Plötzlich ihr in höchster Ueberraschung ausgerufener

Das Bu ch s ü r All e.
Name sie bis in's innerste Mark erbeben machte. Sie
wußte, von wem dieser Ruf ausging, nur zu gut kannte
sie die Stimme. Ein Zittern durchlief ihren Körper,
die Knice drohten ihr zusammen zu brechen, sie war
genöthigt, sich an den Lhürpfosten anzulehuen, und
wagte nicht die Augen zu erheben.
„Fräulein Stölzer," wiederholte Professor Dehnhardt
und fuhr gleich darauf fort: „Wie kommen Sie in
dieses Haus?"
Als Hermine schwieg, näherte er sich ihr noch um
einen Schritt und sagte mit vor Schmerz vibrirender
Stimme:
„Ein wunderbarer Zufall führt uns hier zusammen,
verzeihen Sie mir, wenn ich ihn benütze, eine einzige
Frage an Sic zu richten. Sie haben nur neulich ge-
sagt, daß Sie mich — nicht liebten. Meine Mutter,
welche die Ursache Ihres furchtbaren ,Neiill in anderen
Dingen glaubte suchen zu können, ging am andern Tage
zu Ihrem Vater, wo sie erfuhr, daß Sie uoch denselben
Abend mit einem Herrn Andreas fortgegangen seien.
Beantworten Sie mir gütigst diese eine Frage und ich
will Sie auch nie wieder belästigen: Lieben Sie einen
Anderen?"
„Ja, Herr Professor," sagte Hermine leise, einer-
raschen Eingebung folgend, „ich liebe einen Anderen."
„Dann muß — ich mich — ja bescheiden! O,"
fügte er in etwas bitterem Tone hinzu, „ich danke
Ihnen, mein Fräulein, daß Sie so brüsk unser altes
Freundschaftsverhaltniß aufgelöst, Sie haben es gewußt,
daß das für mich die beste Heilung meiner Liebe sei,
die zu gestehen ich mich auch uicht schäme."
Der Vorwurs traf sie hart, aber sie mußte ihn hin-
nehmen, sie konnte und durfte sich nicht vcrtheidigen.
Sie fagte aber doch:
„Ich hätte Ihrer Frau Mutter jedenfalls noch ge-
schrieben, bevor ich die Stadt verlasse, und ihr gedankt
für alle Wohlthaten, die sie mir in so reichem Maße
gespendet."
„So gehen Sie fort von hier?"
„In den nächsten Tagen."
„Reichen Sie mir dann noch einmal die Hand, be-
vor wir uns — für immer trennen," sagte Dehnhardt
mit weicher Stimme.
Jetzt endlich schlug Hermine die Augen auf. Ja,
sie wollte noch einmal das theure Bild ganz und voll
in sich aufnehmen und dann für ewig von ihm scheiden.
Sie streckte die Hand aus. „Leben Sie Wohl, leben
Sie ewig Wohl!" ertönte es von den bebenden Lippen.
Dehnhardt ergriff die dargereichte Hand und mit
tiefster Bewegung sagte auch er: „Lebcu Sie ewig
wohl!"
Aber Hermiuens Kraft war am Eude. Ein Thränen-
strom, den sie sich vergebens bemühte, zurück zu halten,
ergoß sich über ihre bleichen Wangen, sie entzog ihm
ihre Hand, raffte alle Kräfte Zusammen und eilte die
Treppe hinauf.
Dehnhardt sah ihr nach, so lange er die schöne Ge-
stalt noch sehen konnte, dann flüsterte er leise vor sich hin:
„Diese Thränen! Sollte sie nicht glücklich sein trotz
der neuen Liebe, und sollte doch noch — ? Mein Gott,
wer löst nur diese Räthsel?"
Mit ganz wunderbaren Gefühlen entfernte der junge
Professor sich aus dem Bollheim'schen Hause, Hermiue
aber giug auf ihr Zimmer, warf sich auf die Kniee
uud weinte lange heiße, brennend heiße Thränen einer-
unglücklichen Liebe.
8.
Der Bankier v. Bollheim war ein sehr reicher Mann,
ja einer der reichsten Einwohner der Residenz. Aber er
war nicht immer so reich gewesen, es hatte sogar vor-
vielen Jahren einmal die bitterste Noth in feinem Hause
geherrscht und die Sorge um das tägliche Brod ihm
Nachts die Ruhe geraubt. Noth uud Sorge waren ge-
kommen, mußten kommen, weil er als Commis geheirathet
hatte bei einer Einnahme, wovon er wohl selbst noth-
dürftig leben, aber keine Frau ernähren und einen
Hausstand unterhalten konnte. Aber die Angst, das
geliebte Mädchen zu verlieren, hatte ihn zu diesem
Schritte getrieben. Der Vater seiner Braut war ein
Beamter bei der Post, die Mutter eine Frau, die mit
ihrer Tochter hoch hinaus wollte und sie lieber einem
anderen, wohlhabenden Bewerber gegeben hätte. Die
Eifersucht gesellte sich hinzu, er glaubte zu bemerken,
daß mau ihn kühler behandelte, und als er eines Tages
von anderer Seite erfuhr, daß die Eltern seiner Ge-
liebten die Absicht hätten, die Verlobung wieder auf-
zuheben, da brachte ihn die Furcht vor dem Verlust
seiner Liebe zu dem Entschluß, den zukünftigen Schwieger-
eltern zu sagen, er habe von seinem Prinzipal eine Zu-
lage erhalten und könne jetzt eine Frau ernähren. Es
war eine Lüge, die er vorgcbracht, aber die Gefahr, sein
Liebstes einem Anderen abtreten zu müssen, hatte sie
ihm diktirt. Er hoffte bei der äußersten Sparsamkeit
uud durch Unterrichten in der englischen Sprache wäh-
rend seiner abendlichen Freistunden dennoch durchzukom-
men. Die Braut wollte nicht von ihm lassen und deren
Eltern gaben endlich mit saurer Miene ihre Ein-
willigung.

99

Aber er hatte sich verrechnet; unvorhergesehene Aus-
gaben, eine längere Krankheit seiner Frau und später die
Geburt eines Sohnes, der häufige Besuch der Schwieger-
eltern, während dessen, um die Täuschung aufrecht zu er-
halten, besser gelebt werden mußte, warfen sein Kalkül
über den Hausen. Er mußte Schulden machen und
machte sie so lange bei Freunden und Bekannten, bis
sie ihm jedes fernere Darlehen verweigerten. Um das
Maß voll zu machen, starb sein Schwiegervater uud die
Mutter seiner Frau zog mit in's Haus. Die scharfen
schwiegermütterlichen Augen gewahrten bald, wie die
Sachen standen, und zu allein klebrigen kamen jetzt
auch uoch bittere Vorwürfe, Verdruß uud Lärm. Bis
dahin hatte seine Frau alle Noth, alle Verlegenheiten
standhaft mit ihm ertragen, aber nun ließ auch sie,
aufgereizt durch die Mutter, den Kops hängen; ihr
Frohsinn war dahin, sie weinte fast den ganzere Tag
und machte nun auch ihrerseits ihm Vorwürse, daß er-
ste in dies elende Leben hineingeführt. Die Schwieger-
mutter sprach offen das Wort Scheidung aus und fügte
hinzu, daß der reiche Mann, der sich schon damals um
die Hand ihrer Tochter beworben, noch jetzt mit Ver-
gnügen ihr Kind zu seiner Frau machen würde. Der
frühere Bewerber machte in der letzten Zeit häufige Be-
suche bei seiner Schwiegermutter. Wiederum erfaßte
ihn die Eifersucht. Am liebsten hätte er mit eigener
Hand seinem Leben ein Ende gemacht, aber der Gedanke,
daß dann unfehlbar sein geliebtes Weib die Gattin des
Mannes werden würde, den er jetzt haßte und verachtete,
und die Liebe zu seinem kleinen Sohne, von deni er sich
nicht trennen konnte, bewahrte ihn vor Selbstmord.
Aber was beginnen? Er war bis an den äußersten
Rand der Noth geführt uud hatte am Mittage die letzten
Pfennige für die Milch verausgabt, womit sein kleiner
Sohn getränkt werden sollte.
Da trat mit einem Schlage ein Umschlag seiner
Verhältnisse ein.
Denselben Abend kam er vergnügt nach Hause, er-
zählte seiner Frau, daß er seine Stelle als Commis
quittirt habe und jetzt selbst ein Geschäft anfangen wolle.
Er habe seinen Prinzipal gebeten, ihm Zu diesem Zwecke
eine kleine Summe vorzustreckeu, was dieser auch nach
einigem Bedenken gethan habe.
Das war in der Thal der Wahrheit gemäß, aber
es waren nur zweihundert Thaler, die er bekommen,
eine Summe, womit er noch nicht einmal alle seine
kleine Schulden tilgen, viel weniger eine Ladeneinrichtung
uud die ersten Einkäufe bestreiten konnte. Er mußte
doch Wohl uoch von einer anderen Seite eine größere
Summe erhalten haben, die ihn befähigte, in einem nen
gemietheten Hause ein großes Schaufenster sich machen
zu lassen und sich eine große Auswahl der schönsten
seidenen Bänder, Blumen, Federn, Spitzen und der-
gleichen anzuschafsen, wovon doch jedenfalls ein nicht
unerheblicher Theil gleich baar bezahlt werden mußte.
Von dem ersten Tage an, Uw er seinen Laden er-
öffnete, kamen auch sofort die Käufer in Schaaren her-
bei , es war, als wenn eine unsichtbare Macht sie
herantrieb. Bollheim war ein gewandter Verkäufer und
stattlicher Mann, er hatte viel Geschmack und es währte
nicht lange, so war sein Geschäft in der Mode. Nach
einem Jahre schon konnte er es vergrößern und sich auch
noch andere Artikel zulegen. Immer mehr dehnte es
sich aus, immer reichhaltiger wurde sein Lager. Ein
unerklärlicher Segen ruhte auf Allem, was er begann,
ein Segen, der ihm oft selbst ein Grauen bereitete.
Sein Kredit wuchs. Mit dem Wachsen desselben kamen
erst Einzelne, dann immer Mehrere, die ihm ihre
überflüssigen Gelder anvertrauten. Nun machte er anch
Geldgeschäfte und alle Spekulationen waren von dem-
selben Segen begleitet. Der häusliche Friede kehrte
zurück und seine Schwiegermutter ward die liebens-
würdigste Frau.
Seine Gattin hatte ihm noch eine Tochter geschenkt
und nach einigen Jahren traf ihn das Unglück, sie durch
den Tod zu verlieren. Es war das einzige Ungemach,
das er seit der Wendung seiner Verhältnisse zu ver-
zeichnen hatte. Bald darauf starb seine Schwiegermutter,
an eine zweite Heirath dachte er nicht.
So vermehrte sich von Jahr zu Jahr sein Ver-
mögen, der Segen blieb bei allen Unternehmungen der-
selbe, die erste Million war erworben. Nun gab er-
den Handel auf und widmete sich mir den Bankier-
geschäften.
Aber dieser Segen stimmte ihn nicht freudig, er sehnte
sich förmlich nach einem größeren Verlust, vielleicht daß
ihm daun später der Gewinn mehr Vergnügen gemacht
hätte. Das unausgesetzte Gelingen aller Pläne, aller-
ost sehr gewagter Spekulationen, das Andere mit Glück
erfüllt hätte, machte ihn zaghaft und ängstlich, er Mar-
der festen Ansicht, daß der hinkende Bote noch hinter-
drein kommen müsse. Um das Schicksal zn versöhnen,
stürzte er sich absichtlich in eine unsinnige Spekulation,
worüber die ganze Welt den Kops schüttelte. Aber ur-
plötzlich veränderte Konjunkturen vereitelten auch diesen
Plan, statt die ganze darauf verwendete Summe zu
verlieren, trug sie ihm den zehnfachen Gewinn ein. Es
war nicht möglich, das Schicksal wollte 'kein Opfer,
 
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