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Das Buch für Alle.
Ein glücklicher Spekulant.
Erzählung
von
A. H. Kanscn. (Nachdruck verbalen.)
er Bankier Thomas Hopp zu Amster-
dam saß mit seiner Frau im Frühstücks-
zimmer beim Morgenkaffee. Es war an
einem schonen Augusttage des Jahres 1830.
Ruhe herrschte außen und innen und die
Börsen- und Finanzmänner hatten schon
die böse Krisis überwunden, welche die
Pariser Julirevolntion im ersten Augen-
blick der Ueberraschung veranlaßte.
Thomas Hopp war ein kluger uud umsichtiger Ban-
kier, dessen renommirtes Geschäft vom Großvater und
Vater auf ihn übergegangen war. Sein Vermögen wurde
auf zehn Millionen Gulden geschäht und er mochte Wohl
eher mehr als weniger haben. Natürlich liebte er seine
Millionen über alle Maßen, aber mehr noch liebte er
die dereinstige glückliche Erbin eines großen Theils dieser
Neichthümer, nämlich seine Tochter Anna, ein reizendes
neunzehnjähriges nnd blondlockiges blauäugiges Mädchen,
das viel sanfter, gutherziger und liebenswürdiger war,
als insgemein die Millionärstöchter zu sein pflegen.
Außerdem war ein Sohn da, als Erbe der Firma, schon
verheirathet mit einer schwerreichen jungen Dame und in:
väterlichen Bankgeschäft als Affocio thütig.
Um den Genuß seiner Tasse Mokkakaffee zu erhöhen,
hatte Herr Hopp die neuesten Pariser Nachrichten in Galig-
nani's Messenger gelesen, welche Zeitung damals als das
Zuverlässigste Blatt in Politischen, finanziellen uud kom-
merziellen Angelegenheiten galt. Die Nachrichten waren
recht befriedigend, denn die französischen Renten fingen
wieder an zu steigen, und auch alle anderen Spekula-
tionspapiere wackelten nicht mehr so bedenklich, wie noch
wenige Wochen zuvor.
Also zeigte das breite biedere Gesicht des Bankiers
einen ebenso heiteren und sorglosen Ausdruck, wie das
freundliche Antlitz seiner würdigen Frau, die einen lau-
nischen Wachtelhund auf dem Schoße hatte und mit
Zuckerbrod fütterte. Ihr Gemahl hatte zuletzt die Zei-
tung auf den Tisch sinken lassen und schaute eiu Weil-
chen ihrer Beschäftigung mit Wohlgefallen zu.
„Wo ist Anna?" fragte er endlich halb gähnend,
und anscheinend nur, um etwas zu sagen.
„Anna ist im Musiksalou," versetzte die Dame und
gab denr Wachtelhündchen einen sanften Klapps, als es
gar zu begierig zuschnappen wollte.
„Ich höre doch nicht, daß sie Piano spielt."
„Sie beschäftigt sich also wahrscheinlich mit ihren
Blumen. Gestern haben wir von Hartem wunderschöne
Centifolien erhalten."
„Ja, ich habe sie gesehen. Sie sind sehr schön und
auch sehr theuer, wie die Rechnung auswies."
„Mr. Perci Val, der sie gestern bewunderte, fand
im Gegentheil, daß der Preis billig sei. Er versicherte,
daß die englischen Kunstgärtner in London sich solche
Prachtblumen viel theurer bezahlen lassen, und er mag
wohl Recht haben."
„Ja, ja, es kann Wohl sein."
„Mr. Percival weiß immer sehr genau Bescheid."
„Jawohl, er ist ein sehr unterrichteter junger Mann, der
in allen Finanz- und Börsenangelegenheiten ausgezeichnet
bewandert ist. Mein langjähriger alter Freund John
Weston, Inhaber der großen Bankfirma Weston, Hut-
chison und Compagnie zu London, ist gewiß glücklich zu
schätzen, daß er einen solchen gewandten Agenten besitzt,
den er mit vollsten! Vertrauen für die schwierigsten und
verwickeltsten Spekulationen und Operationen verwenden
kann. Ich habe ihn bereits deswegen beglückwünscht
und hoffe dadurch dem jungen Manne bei seinem Ehef
genützt zu haben."
„Er sagte gestern, daß er niit seinen Geschäften in
Amsterdam fertig wäre und nach England zurückkehren
wolle."
„Ganz recht! Heute Vormittag wird er kommen, um
Abschied zu nehmen. Er muß das Packetboot benutzen,
welches um drei Uhr abfährt."
„Schade, daß wir diesen angenehmen Gesellschafter
so bald verlieren! Er ist nicht so steif, förmlich und un-
beholfen, wie die meisten anderen jungen Engländer, die
uns besucht haben, sondern ganz das Gegentheil, keck,
heiter, weltgewandt, liebenswürdig. Ich habe mich häufig
über ihn amüsirt und Anna auch. Sie meint, daß es
in Amsterdam keinen jungen Mann von so liebenswür-
digem Charakter gebe, wie Mr. Percival."
„Hm, das ist eben das Bedenkliche."
„Inwiefern denn?"
„Er ist zu liebenswürdig!"
„Ich verstehe Dich nicht."
„Ich kann es nicht begreifen, wie ein Mensch, der
keine tausend Gulden sein eigen nennt, so liebenswürdig
und so heiter sein kann. Mir scheint, er sollte sich mehr
Sorgen machen. Ich mit meinen zwölf Millionen mache
mir gar häufig Sorgen."
„Das hast Du ja gar nicht nöthig."
„Ich thue es aber doch."
„Also Mr. Percival hat kein Vermögen? Das wußte
ich nicht."
„Nein, er hat gar kein Vermögen. Er ist so arm
wie eine Kirchenmaus, wie man zu sagen Pflegt."
„Er muß doch bei Weston in London, der ihn so
hoch schätzt und so gut brauchen kann, ein sehr bedeu-
tendes Gehalt beziehen."
„Ohne Zweifel ist das der Fall. Aber zwischen einem
guten Gehalt und einem Vermögen, das nach Millionen
zählst ist ein gewaltiger Unterschied. Der junge Mann
hat sich aus häufigen Reisen für Weston seine Weltge-
wandtheit, Liebenswürdigkeit und Dreistigkeit angeeignet,
und dabei als flotter Lebemann sein beträchtliches Gehalt
sorglos aufgebraucht und vielleicht noch Schulden dazu
gemacht. Doch dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn
er sich einmal selbstständig machen will, so eröffnet ihm
Weston sicherlich mit Vergnügen einen Kredit von zehn-
tausend Pfund Sterling, und was mich anbetrifft, so
würde ich solchenfalls nicht abgeneigt sein, ihm einen
Kredit von zwanzigtausend Gulden zu eröffnen. Er ist
ja geschickt und klug und kann es zu etwas bringen."
„Bis zur Million."
„Möglich; aber er würde doch wahrscheinlich graue
Haare bekommen, bevor er so weit gelangt, denn heut-
zutage ist es für junge Anfänger schwer, den alten soli-
den Bankgeschäften Konkurrenz zu machen. — Nun, jeden-
falls ist es mir recht angenehm, daß er heute zum letzten
Male in unser Haus kommt."
„Wie meinst Du das?"
„Ich meine in Betreff unserer Tochter Anna."
„Du glaubst, daß er sich Jllusioneu machen könnte?"
„Zuzutrauen wäre es ihm schon."
„Er wird es gewiß nicht wagen, um Auna's Hand
bei Dir anzuhalten."
„Wenn er sich überhaupt Illusionen macht, so wird
er es zuverlässig wagen, denn er ist ein Mensch, der
stets ungenirt die Dreistigkeit seinen wohl überlegten
Plänen vorspannt."
„Hast Du bemerkt, daß er auf Annccks Herzchen
Eindruck gemacht hat? Ich habe es zu bemerken ge-
glaubt, halte es aber nicht für bedenklich. Denn Anna
kennt ihre Stellung in der Finanzaristokratie, wenn Mr.
Percival das auch wirklich vergessen sollte."
„Ach, meine Theure, die Liebe macht immer dumme
Streiche und vereitelt oft alle klugen Berechnungen."
„Anna weiß es, daß wir eine Verbindung planen
mit dem alten millionenreichen Hause Vanderbilt und
Compagnie."
„Allerdings, sofern es dem jungen Vanderbilt gelin-
gen wird, ihr Herz zu gewinnen, was mir noch recht
zweifelhaft scheint. Und zwingen will ich mein Gold-
töchterchen nicht!"
„Nun, Anna wird hoffentlich nicht vergessen, was
sie ihrer Familie und ihrer Stellung schuldig ist. Und
wenn Mr. Percival einen Antrag zu machen wagen sollte,
so wird er von Rechtswegen einen Korb bekommen.
Warum ist er uicht Millionär? Eine Millionärstochter
kann nur einen Millionär heirathen, das ist meine
mütterliche Meinung."
„Ich theile ganz Deine verständige Meinung, meine
Theure," erwiederte der Gatte.
In diesen! Augenblicke trat ein Comptoirist ein und
brachte dem 6hef die wichtigsten Briefe der zuletzt ein-
gegangeneu Post. Das Gespräch wurde dadurch unter-
brochen. Fran Hopp ließ ihren Wachtelhund laufen
und griff ein Buch auf. Es war der neueste Roman
von Balzac. Sie las ein halbes Kapitel und warf das
Buch dann gelangweilt fort. . .
Während der eben erzählte Dialog im Frühstücks-
zimmer geführt wurde, fand in dem mit verschwenderi-
scher Pracht ausgestatteten Musiksalon des Hopp'schen
Hauses ein anderes Gespräch statt zwischen der schönen
Tochter des Millionärs und eben jenem Mr. Percival.
Die reizende blondlockige und blauüuige Anna mit
dem ovalen Antlitz und einem Teint wie Milch nnd
Rosen saß auf einem rothsammtncn Tabouret. Sanft-
muth und Herzensgüte spiegelten sich in den holden Mie-
nen der jungen Dame wieder, der man gewiß nicht die
stolzen Millionen des Vaters ansehen konnte, wenn gleich
sie freilich so elegant und modisch gekleidet war, wie es
einer Finanzprinzessin geziemt.
Ihr Sitz befand sich in einer Fensternische neben einer
hohen Blnmenetagore, aus deren bunter Blüthenpracht
ein kleiner Liebesgott von Marmor listig hervorlugte.
Und vor ihr stand strahlend und siegesgewiß der un-
widerstehliche Mr. Percival.
Richard Percival war ein hübscher junger Mann
von fünfundzwanzig Jahren mit Lraunlockigem Haar und
koketten! Bärtchen, einem intelligenten Antlitz und fun-
kelnden, keck in die Welt schauenden Augen. Er hatte
noch niemals ernstlich geliebt, bis er Anna Hopp sah
und von ihrer Schönheit und ihren zukünftigen Millio-
nen zn träumen anfing. Wenigstens versicherte er erste-
res der lieblichen Anna, welche es ohne Weiteres glaubte;
junge Damen glauben ja so gern, was ein Anbeter ihnen
vorphantasirt, besonders wenn es recht sentimental ist.
Seit etwa neun Wochen befand sich Percival in Am-
_ Heft 24.
sterdam und hatte während dieser Zeit nicht nur die
wichtigen Aufträge seines Londoner Chefs in bester Weise
besorgt, sondern auch noch die nöthige Muße gefunden
sich über die Maßen zu verlieben.
Die beiden Bankhäuser Thomas Hopp in Amsterdam
und Weston, Hutchison und Compagnie zu London waren
nämlich seit vielen Jahren mit einander befreundet, und
hatten ^gemeinschaftlich oft große Geschäfte in Anleihen
oder Börsenoperationen gemacht, weil diese Leiden Ka-
Pitalmüchte imposanter wirken konnten, wenn sie ver-
einigt auf dem Geldmärkte erschienen, was bisweilen bei
belangreichen Unternehmungen ihnen verdoppelten Vor-
theil brachte. Um in Betreff dieser gemeinschaftlichen
Operationen, von denen manche noch in der Schwebe
waren und durch die unverhoffte Julirevolution einen
Stoß erlitten hatten, mit den: Amsterdamer Bankier zu
berathen und zu verhandeln, hatte Weston seinen ge-
schicktesten Beamten abgesandt, nämlich Richard Perci-
väl, der schon früher im Interesse des Londoner Bank-
hauses in Paris, Hamburg und anderwärts mit Erfolg
thätig gewesen war. Er besaß trotz seiner Jugend die
gründlichste Kenntniß der Finanzwissenschast und aller
Börsenangelegenheiten und hatte sich dadurch bald die
Hochachtung des Herrn Hopp erworben, mit dem er
wahrend seines Aufenthalts in Amsterdam täglich ge-
schäftlich verkehrte. Natürlich war der junge elegante
und feingebildete Engländer auch bei der Familie des
Bankiers eingeführt worden. Wie schon erwähnt, hatte
er sich durch seine Liebenswürdigkeit und hcitere Ge-
müthsart auch bald Aller Zuneigung erworben, ja zu-
letzt in so hohen! Grade, daß der Hausherr und dessen
Gemahlin für ihre geliebte Tochter Anna in einige Be-
sorgnis geriethen.
Dem Mnthigen hilft das Glück! dachte Percival, als
nunmehr seine Abreise von Amsterdam nöthig geworden
war, und so beschloß er denn am letzten Tage seines dortigen
Aufenthaltes seine etwas abenteuerliche Idee in's Werk
zu setzen, nämlich der reizenden Anna eine regelrechte
Liebeserklärung zu machen und bei ihrem millionen-
reichen Papa um ihre Hand anzuhalten.
Er befürchtete nicht, von Anna einen Korb zu erhal-
ten, denn eine geheime selige Ahnung flüsterte ihm zu, daß
sie ihm zärtlich zugeneigt sei, obwohl sie aus jungfräulicher
Schüchternheit sich alle mögliche Mühe gegeben, nichts
davon bemerken zu lassen. Aber der Liebende sieht ebenso
scharf wie die Geliebte, wenn es die gegenseitige still-
schweigende Prüfung der Herzen gilt, und da hilft kein
Versteckspiel.
Anders war es nun mit Papa Hopp. Daß dieser
brave und freundliche Millionär trotz der Achtung, welche
er dem jungen Engländer zollte, durchaus uicht sonder-
lich erbaut von einem derartigen Antrag sein würde, fühlte
Richard Percival sehr wohl, denn er war ein scharfer
Menschenkenner. Jedoch dachte er bei sich: „Es muß
trotzdem gelingen! Eine geistreiche Idee habe ich, welche
mir die Million Gulden ersetzen muß, die mir leider
fehlt. Ha, Fortuna wird, soll und muß mir hold sein!"
Und erfüllt von seiner genialen Idee hatte er sich
zur Abschiedsvisite iu das Haus des Herrn Hopp be-
geben. Als er durch den Empfangssalon gegangen war,
hatte er durch die offene Thüre im anstoßenden Musik-
salon Fräulein Anna erblickt. Das traf sich gut. Denn
diese Visite mußte der anderen vorausgehen. So kam
es also, daß Percival vor ihr stand, als sie auf dem
Tabouret in der Fensternische bei der Blumenetagore saß.
Ja, da saß sie ganz allein. Dieser günstige Augen-
blick durfte nicht unbenutzt vorüberhuscheu. Eine kost-
bare Spanne Zeit! Jede Sekunde war nach einer mäßi-
gen Taxe wenigstens zehntausend Gulden Werth!
Ohne sich zu besinnen nahm Richard die gün-
stige Gelegenheit beim Schop'e und brachte mit liebens-
würdiger Anmuth und rührender Zärtlichkeit seine Liebes-
erklärung zn Stande.
Und was that Fräulein Anna dann?... Sie
erröthete lieblich, senkte schüchtern die seidenen Wimpern,
lächelte aber doch dabei ein klein wenig und verstand sich auf
Percival's nochmalige dringende Werbung zu einem leisen
Ja, das jedoch genügte, um den beglückten Liebhaber in
die seligste Stimmung zu versetzen.
Sie liebte ihn ja auch wirklich von ganzem Herzen,
den schönen, liebenswürdigen und heiteren Sohn Albions!
Was war, mit ihm verglichen, der junge Cornelius
Vanderbilt von dem reichen Kasfee-Jmporthause Vander-
bilt und Compagnie? Ein phlegmatischer, schläfriger
Mensch, der ungefähr so aussah, wie ein Kaffeesack, dem
man eine Nachtmütze ausgesetzt hat! Ach, den armen,
reichen Cornelius hatte sie immer unausstehlich ge-
funden !
Percival sprang mit einen! Jubelruf aus und wollte
der Geliebten den' ersten Kuß geben, was sie sich aber
doch noch nicht gefallen ließ. „Erst müssen Papa und
Mama ihre Einwilligung geben!" lispelte sie in reizen-
der Befangenheit und mit verständiger Miene, in der
richtigen kindlichen Erkenntniß, daß die Meinung der
beiden Genannten vor dem gänzlichen Abschlüsse der
Liebestraktaten doch auch ein wenig in Betracht komme.
Vielleicht hatte sie sich auch im Stillen die Schwie-
rigkeiten nicht verhehlt, welche dem glücklichen Gelingen
Das Buch für Alle.
Ein glücklicher Spekulant.
Erzählung
von
A. H. Kanscn. (Nachdruck verbalen.)
er Bankier Thomas Hopp zu Amster-
dam saß mit seiner Frau im Frühstücks-
zimmer beim Morgenkaffee. Es war an
einem schonen Augusttage des Jahres 1830.
Ruhe herrschte außen und innen und die
Börsen- und Finanzmänner hatten schon
die böse Krisis überwunden, welche die
Pariser Julirevolntion im ersten Augen-
blick der Ueberraschung veranlaßte.
Thomas Hopp war ein kluger uud umsichtiger Ban-
kier, dessen renommirtes Geschäft vom Großvater und
Vater auf ihn übergegangen war. Sein Vermögen wurde
auf zehn Millionen Gulden geschäht und er mochte Wohl
eher mehr als weniger haben. Natürlich liebte er seine
Millionen über alle Maßen, aber mehr noch liebte er
die dereinstige glückliche Erbin eines großen Theils dieser
Neichthümer, nämlich seine Tochter Anna, ein reizendes
neunzehnjähriges nnd blondlockiges blauäugiges Mädchen,
das viel sanfter, gutherziger und liebenswürdiger war,
als insgemein die Millionärstöchter zu sein pflegen.
Außerdem war ein Sohn da, als Erbe der Firma, schon
verheirathet mit einer schwerreichen jungen Dame und in:
väterlichen Bankgeschäft als Affocio thütig.
Um den Genuß seiner Tasse Mokkakaffee zu erhöhen,
hatte Herr Hopp die neuesten Pariser Nachrichten in Galig-
nani's Messenger gelesen, welche Zeitung damals als das
Zuverlässigste Blatt in Politischen, finanziellen uud kom-
merziellen Angelegenheiten galt. Die Nachrichten waren
recht befriedigend, denn die französischen Renten fingen
wieder an zu steigen, und auch alle anderen Spekula-
tionspapiere wackelten nicht mehr so bedenklich, wie noch
wenige Wochen zuvor.
Also zeigte das breite biedere Gesicht des Bankiers
einen ebenso heiteren und sorglosen Ausdruck, wie das
freundliche Antlitz seiner würdigen Frau, die einen lau-
nischen Wachtelhund auf dem Schoße hatte und mit
Zuckerbrod fütterte. Ihr Gemahl hatte zuletzt die Zei-
tung auf den Tisch sinken lassen und schaute eiu Weil-
chen ihrer Beschäftigung mit Wohlgefallen zu.
„Wo ist Anna?" fragte er endlich halb gähnend,
und anscheinend nur, um etwas zu sagen.
„Anna ist im Musiksalou," versetzte die Dame und
gab denr Wachtelhündchen einen sanften Klapps, als es
gar zu begierig zuschnappen wollte.
„Ich höre doch nicht, daß sie Piano spielt."
„Sie beschäftigt sich also wahrscheinlich mit ihren
Blumen. Gestern haben wir von Hartem wunderschöne
Centifolien erhalten."
„Ja, ich habe sie gesehen. Sie sind sehr schön und
auch sehr theuer, wie die Rechnung auswies."
„Mr. Perci Val, der sie gestern bewunderte, fand
im Gegentheil, daß der Preis billig sei. Er versicherte,
daß die englischen Kunstgärtner in London sich solche
Prachtblumen viel theurer bezahlen lassen, und er mag
wohl Recht haben."
„Ja, ja, es kann Wohl sein."
„Mr. Percival weiß immer sehr genau Bescheid."
„Jawohl, er ist ein sehr unterrichteter junger Mann, der
in allen Finanz- und Börsenangelegenheiten ausgezeichnet
bewandert ist. Mein langjähriger alter Freund John
Weston, Inhaber der großen Bankfirma Weston, Hut-
chison und Compagnie zu London, ist gewiß glücklich zu
schätzen, daß er einen solchen gewandten Agenten besitzt,
den er mit vollsten! Vertrauen für die schwierigsten und
verwickeltsten Spekulationen und Operationen verwenden
kann. Ich habe ihn bereits deswegen beglückwünscht
und hoffe dadurch dem jungen Manne bei seinem Ehef
genützt zu haben."
„Er sagte gestern, daß er niit seinen Geschäften in
Amsterdam fertig wäre und nach England zurückkehren
wolle."
„Ganz recht! Heute Vormittag wird er kommen, um
Abschied zu nehmen. Er muß das Packetboot benutzen,
welches um drei Uhr abfährt."
„Schade, daß wir diesen angenehmen Gesellschafter
so bald verlieren! Er ist nicht so steif, förmlich und un-
beholfen, wie die meisten anderen jungen Engländer, die
uns besucht haben, sondern ganz das Gegentheil, keck,
heiter, weltgewandt, liebenswürdig. Ich habe mich häufig
über ihn amüsirt und Anna auch. Sie meint, daß es
in Amsterdam keinen jungen Mann von so liebenswür-
digem Charakter gebe, wie Mr. Percival."
„Hm, das ist eben das Bedenkliche."
„Inwiefern denn?"
„Er ist zu liebenswürdig!"
„Ich verstehe Dich nicht."
„Ich kann es nicht begreifen, wie ein Mensch, der
keine tausend Gulden sein eigen nennt, so liebenswürdig
und so heiter sein kann. Mir scheint, er sollte sich mehr
Sorgen machen. Ich mit meinen zwölf Millionen mache
mir gar häufig Sorgen."
„Das hast Du ja gar nicht nöthig."
„Ich thue es aber doch."
„Also Mr. Percival hat kein Vermögen? Das wußte
ich nicht."
„Nein, er hat gar kein Vermögen. Er ist so arm
wie eine Kirchenmaus, wie man zu sagen Pflegt."
„Er muß doch bei Weston in London, der ihn so
hoch schätzt und so gut brauchen kann, ein sehr bedeu-
tendes Gehalt beziehen."
„Ohne Zweifel ist das der Fall. Aber zwischen einem
guten Gehalt und einem Vermögen, das nach Millionen
zählst ist ein gewaltiger Unterschied. Der junge Mann
hat sich aus häufigen Reisen für Weston seine Weltge-
wandtheit, Liebenswürdigkeit und Dreistigkeit angeeignet,
und dabei als flotter Lebemann sein beträchtliches Gehalt
sorglos aufgebraucht und vielleicht noch Schulden dazu
gemacht. Doch dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn
er sich einmal selbstständig machen will, so eröffnet ihm
Weston sicherlich mit Vergnügen einen Kredit von zehn-
tausend Pfund Sterling, und was mich anbetrifft, so
würde ich solchenfalls nicht abgeneigt sein, ihm einen
Kredit von zwanzigtausend Gulden zu eröffnen. Er ist
ja geschickt und klug und kann es zu etwas bringen."
„Bis zur Million."
„Möglich; aber er würde doch wahrscheinlich graue
Haare bekommen, bevor er so weit gelangt, denn heut-
zutage ist es für junge Anfänger schwer, den alten soli-
den Bankgeschäften Konkurrenz zu machen. — Nun, jeden-
falls ist es mir recht angenehm, daß er heute zum letzten
Male in unser Haus kommt."
„Wie meinst Du das?"
„Ich meine in Betreff unserer Tochter Anna."
„Du glaubst, daß er sich Jllusioneu machen könnte?"
„Zuzutrauen wäre es ihm schon."
„Er wird es gewiß nicht wagen, um Auna's Hand
bei Dir anzuhalten."
„Wenn er sich überhaupt Illusionen macht, so wird
er es zuverlässig wagen, denn er ist ein Mensch, der
stets ungenirt die Dreistigkeit seinen wohl überlegten
Plänen vorspannt."
„Hast Du bemerkt, daß er auf Annccks Herzchen
Eindruck gemacht hat? Ich habe es zu bemerken ge-
glaubt, halte es aber nicht für bedenklich. Denn Anna
kennt ihre Stellung in der Finanzaristokratie, wenn Mr.
Percival das auch wirklich vergessen sollte."
„Ach, meine Theure, die Liebe macht immer dumme
Streiche und vereitelt oft alle klugen Berechnungen."
„Anna weiß es, daß wir eine Verbindung planen
mit dem alten millionenreichen Hause Vanderbilt und
Compagnie."
„Allerdings, sofern es dem jungen Vanderbilt gelin-
gen wird, ihr Herz zu gewinnen, was mir noch recht
zweifelhaft scheint. Und zwingen will ich mein Gold-
töchterchen nicht!"
„Nun, Anna wird hoffentlich nicht vergessen, was
sie ihrer Familie und ihrer Stellung schuldig ist. Und
wenn Mr. Percival einen Antrag zu machen wagen sollte,
so wird er von Rechtswegen einen Korb bekommen.
Warum ist er uicht Millionär? Eine Millionärstochter
kann nur einen Millionär heirathen, das ist meine
mütterliche Meinung."
„Ich theile ganz Deine verständige Meinung, meine
Theure," erwiederte der Gatte.
In diesen! Augenblicke trat ein Comptoirist ein und
brachte dem 6hef die wichtigsten Briefe der zuletzt ein-
gegangeneu Post. Das Gespräch wurde dadurch unter-
brochen. Fran Hopp ließ ihren Wachtelhund laufen
und griff ein Buch auf. Es war der neueste Roman
von Balzac. Sie las ein halbes Kapitel und warf das
Buch dann gelangweilt fort. . .
Während der eben erzählte Dialog im Frühstücks-
zimmer geführt wurde, fand in dem mit verschwenderi-
scher Pracht ausgestatteten Musiksalon des Hopp'schen
Hauses ein anderes Gespräch statt zwischen der schönen
Tochter des Millionärs und eben jenem Mr. Percival.
Die reizende blondlockige und blauüuige Anna mit
dem ovalen Antlitz und einem Teint wie Milch nnd
Rosen saß auf einem rothsammtncn Tabouret. Sanft-
muth und Herzensgüte spiegelten sich in den holden Mie-
nen der jungen Dame wieder, der man gewiß nicht die
stolzen Millionen des Vaters ansehen konnte, wenn gleich
sie freilich so elegant und modisch gekleidet war, wie es
einer Finanzprinzessin geziemt.
Ihr Sitz befand sich in einer Fensternische neben einer
hohen Blnmenetagore, aus deren bunter Blüthenpracht
ein kleiner Liebesgott von Marmor listig hervorlugte.
Und vor ihr stand strahlend und siegesgewiß der un-
widerstehliche Mr. Percival.
Richard Percival war ein hübscher junger Mann
von fünfundzwanzig Jahren mit Lraunlockigem Haar und
koketten! Bärtchen, einem intelligenten Antlitz und fun-
kelnden, keck in die Welt schauenden Augen. Er hatte
noch niemals ernstlich geliebt, bis er Anna Hopp sah
und von ihrer Schönheit und ihren zukünftigen Millio-
nen zn träumen anfing. Wenigstens versicherte er erste-
res der lieblichen Anna, welche es ohne Weiteres glaubte;
junge Damen glauben ja so gern, was ein Anbeter ihnen
vorphantasirt, besonders wenn es recht sentimental ist.
Seit etwa neun Wochen befand sich Percival in Am-
_ Heft 24.
sterdam und hatte während dieser Zeit nicht nur die
wichtigen Aufträge seines Londoner Chefs in bester Weise
besorgt, sondern auch noch die nöthige Muße gefunden
sich über die Maßen zu verlieben.
Die beiden Bankhäuser Thomas Hopp in Amsterdam
und Weston, Hutchison und Compagnie zu London waren
nämlich seit vielen Jahren mit einander befreundet, und
hatten ^gemeinschaftlich oft große Geschäfte in Anleihen
oder Börsenoperationen gemacht, weil diese Leiden Ka-
Pitalmüchte imposanter wirken konnten, wenn sie ver-
einigt auf dem Geldmärkte erschienen, was bisweilen bei
belangreichen Unternehmungen ihnen verdoppelten Vor-
theil brachte. Um in Betreff dieser gemeinschaftlichen
Operationen, von denen manche noch in der Schwebe
waren und durch die unverhoffte Julirevolution einen
Stoß erlitten hatten, mit den: Amsterdamer Bankier zu
berathen und zu verhandeln, hatte Weston seinen ge-
schicktesten Beamten abgesandt, nämlich Richard Perci-
väl, der schon früher im Interesse des Londoner Bank-
hauses in Paris, Hamburg und anderwärts mit Erfolg
thätig gewesen war. Er besaß trotz seiner Jugend die
gründlichste Kenntniß der Finanzwissenschast und aller
Börsenangelegenheiten und hatte sich dadurch bald die
Hochachtung des Herrn Hopp erworben, mit dem er
wahrend seines Aufenthalts in Amsterdam täglich ge-
schäftlich verkehrte. Natürlich war der junge elegante
und feingebildete Engländer auch bei der Familie des
Bankiers eingeführt worden. Wie schon erwähnt, hatte
er sich durch seine Liebenswürdigkeit und hcitere Ge-
müthsart auch bald Aller Zuneigung erworben, ja zu-
letzt in so hohen! Grade, daß der Hausherr und dessen
Gemahlin für ihre geliebte Tochter Anna in einige Be-
sorgnis geriethen.
Dem Mnthigen hilft das Glück! dachte Percival, als
nunmehr seine Abreise von Amsterdam nöthig geworden
war, und so beschloß er denn am letzten Tage seines dortigen
Aufenthaltes seine etwas abenteuerliche Idee in's Werk
zu setzen, nämlich der reizenden Anna eine regelrechte
Liebeserklärung zu machen und bei ihrem millionen-
reichen Papa um ihre Hand anzuhalten.
Er befürchtete nicht, von Anna einen Korb zu erhal-
ten, denn eine geheime selige Ahnung flüsterte ihm zu, daß
sie ihm zärtlich zugeneigt sei, obwohl sie aus jungfräulicher
Schüchternheit sich alle mögliche Mühe gegeben, nichts
davon bemerken zu lassen. Aber der Liebende sieht ebenso
scharf wie die Geliebte, wenn es die gegenseitige still-
schweigende Prüfung der Herzen gilt, und da hilft kein
Versteckspiel.
Anders war es nun mit Papa Hopp. Daß dieser
brave und freundliche Millionär trotz der Achtung, welche
er dem jungen Engländer zollte, durchaus uicht sonder-
lich erbaut von einem derartigen Antrag sein würde, fühlte
Richard Percival sehr wohl, denn er war ein scharfer
Menschenkenner. Jedoch dachte er bei sich: „Es muß
trotzdem gelingen! Eine geistreiche Idee habe ich, welche
mir die Million Gulden ersetzen muß, die mir leider
fehlt. Ha, Fortuna wird, soll und muß mir hold sein!"
Und erfüllt von seiner genialen Idee hatte er sich
zur Abschiedsvisite iu das Haus des Herrn Hopp be-
geben. Als er durch den Empfangssalon gegangen war,
hatte er durch die offene Thüre im anstoßenden Musik-
salon Fräulein Anna erblickt. Das traf sich gut. Denn
diese Visite mußte der anderen vorausgehen. So kam
es also, daß Percival vor ihr stand, als sie auf dem
Tabouret in der Fensternische bei der Blumenetagore saß.
Ja, da saß sie ganz allein. Dieser günstige Augen-
blick durfte nicht unbenutzt vorüberhuscheu. Eine kost-
bare Spanne Zeit! Jede Sekunde war nach einer mäßi-
gen Taxe wenigstens zehntausend Gulden Werth!
Ohne sich zu besinnen nahm Richard die gün-
stige Gelegenheit beim Schop'e und brachte mit liebens-
würdiger Anmuth und rührender Zärtlichkeit seine Liebes-
erklärung zn Stande.
Und was that Fräulein Anna dann?... Sie
erröthete lieblich, senkte schüchtern die seidenen Wimpern,
lächelte aber doch dabei ein klein wenig und verstand sich auf
Percival's nochmalige dringende Werbung zu einem leisen
Ja, das jedoch genügte, um den beglückten Liebhaber in
die seligste Stimmung zu versetzen.
Sie liebte ihn ja auch wirklich von ganzem Herzen,
den schönen, liebenswürdigen und heiteren Sohn Albions!
Was war, mit ihm verglichen, der junge Cornelius
Vanderbilt von dem reichen Kasfee-Jmporthause Vander-
bilt und Compagnie? Ein phlegmatischer, schläfriger
Mensch, der ungefähr so aussah, wie ein Kaffeesack, dem
man eine Nachtmütze ausgesetzt hat! Ach, den armen,
reichen Cornelius hatte sie immer unausstehlich ge-
funden !
Percival sprang mit einen! Jubelruf aus und wollte
der Geliebten den' ersten Kuß geben, was sie sich aber
doch noch nicht gefallen ließ. „Erst müssen Papa und
Mama ihre Einwilligung geben!" lispelte sie in reizen-
der Befangenheit und mit verständiger Miene, in der
richtigen kindlichen Erkenntniß, daß die Meinung der
beiden Genannten vor dem gänzlichen Abschlüsse der
Liebestraktaten doch auch ein wenig in Betracht komme.
Vielleicht hatte sie sich auch im Stillen die Schwie-
rigkeiten nicht verhehlt, welche dem glücklichen Gelingen