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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 21.1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.48816#0173
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Das Loggbuch des Kapitains Eisenfinger.
Roman
Von
Balduin Mollhausen.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Siebenzehntes Aaxitel.
Jas Heheimniß desAeuerschisies.

Herzigkeit offenbarte sich in ihrer Stimme, eine opfer-
willige Liebe, wie sie nur in der Brust des Weibes
leben kann. Und doch übten ihre Worte nicht den leise-
sten Eindruck auf den Unglücklichen aus. Stumpf sah
er zu dem über ihn hingeneigten Antlitz empor, und
offenbar gedankenlos wiederholte er lispelnd die kur-
zen Bemerkungen, welche seinen einzigen Gedanken zu
bilden schienen.
Marie seufzte schmerzlich. Sie wußte ja, daß alle
Mühe, den Aermsten zum Sprechen zu bewegen, ver-
geblich sein Würde. Leise trat sie zurück. Zunächst
verschloß sie die beiden runden Oefsnungen, welche
zur Lüftung des Raumes dienten und zur Tages-
zeit etwas Licht hercinließen; dann zündete sie die
Lampe an, worauf sie mehrere Bilderbücher aufge-

schlagen auf den Tisch legte. Noch einmal näherte sie
sich der Koje.
„Es ist Alles zu Deiner Bequemlichkeit hergerichtet,"
sprach sie, und Wehmuth erstickte fast ihre' Stimme,
„jetzt bewege Dich, wie es Dir am besten gefällt. Eine
Stunde, vielleicht auch zwei mag die Lampe brennen;
dann mußt Du schlafen."
„Schrecklich, schrecklich," flüsterte der junge Mann
ausdruckslos.
„Ja, Du armer Ferdinand, es ist schrecklich," be-
stätigte Marie mehr für sich, als für jenen. Sie küßte
ihn auf die Stirne; sanft strich sie das Scheitelhaar
von seinen Schläfen zurück, und die Laterne ergreifend,
bedeutete sie Demetrius, den Raum zu verlassen.
Einige Minuten später nahmen Beide auf dem Deck
ihre alten Plätze wieder ein. Bis dahin
hatten sie kein Wort gewechselt. Und auch
jetzt noch säumte Marie eine Weile, bevor
sie ein neues Gespräch eröffnete.
„Sie kennen jetzt mein Geheimniß,"
hob sie endlich völlig leidenschaftslos
an; „und was Sie sahen, mußte ich Ihnen
zeigen, sollten meine Worte verständlich,
sogar glaubhaft für Sie sein. Und un-
glaublich klingt es dennoch, wenn ich sage,
daß der arme Mann, der unten nur ein
Scheinleben fristet, das Opfer einer so ver-
worfenen Gesellschaft ist, wie nur je eine
verdiente, an Ketten zum Richtplatz geschleppt
zu werden. Und zu bedenken, daß derselbe
Unglückliche, der jetzt als elender Krüppel
nicht mehr so viel Verstand besitzt, wie>
ein neugeborenes Kind, vor zwei Jahren
noch ein Mann war, wie nie einer schöner,
rechtschaffener und muthiger von der Sonne
beschienen wurde, das übersteigt Alles. Er
war klug, überlegend und gefällig gegen Je-
dermann ; über Alles aber ging sein Herz;
denn da drinnen wohnte eine rechte Liebe
nnd eine Treue, die durch nichts zum Wan-
ken gebracht werden konnte. Armer, armer
Ferdinand." Flüsternd entwanden die letzten
Worte sich ihren Lippen, bevor sie ganz
verstummte. Still sah sic vor sich nieder.
Das Bild des Genannten, wie sie ihn eben
schilderte, schien ihrem Geiste vorzuschwebcn,
ihn in schwer zu lösende Bande geschlagen
zu haben. Demetrius, durch das Ver-
nommene auf's Tiefste ergriffen, betrachtete
die gebeugte Gestalt mit schmerzlicher Theil-
nahme. Wie geheiligt erschien sie ihm
in dem unheilbaren Gram, dessen Quelle
ihm nicht länger räthselhaft war. Nicht
um die Welt hätte er ihren Gedankengang
stören mögen, der sie vielleicht in die son-
nigen Tage eines holden Liebesfrühlings
zurückführte.
„Kennen Sic einen gewissen Wende-
hals d" fragte Marie nach einer längeren
Pause, ohne ihre Stellung zu verändern.
„Er war es, unter dessen Führung

Der Bcuierildiplomat. Nach einem Gemälde von P. Kraemer. (S. 175)

fühlte sich durch die Stimme,
lies. °^rch ^ne räthselhaften Worte unheim-
sL dieselben noch in
baü> ZM'M vibrirten und Marie sich
- e>T? bem Vorhang zukchrte,
lieh — er lebte Mebrrum: „Schreck-
ba wurde es sLwai?^^ shm helfen -
Marie st„nc bor meinen Augen/
auf den geöffnete Laterne so
Hang Pall ^ren Schein den Vor-
K-rückzoq .^°rauf sie diesen ganz
stehen arMi r Etrms war neben der Thüre
er nach dcr^p'' ^°.Ech athemlos spähte
Mädchen ^über, und da das
sich un- L Anwesenheit berücksichtigend,
blick eines^mnMte, gewann er den An-
Mark "Fuldes, welches ihn bis in's
"ar hmem erschütterte,
ein mQ Ear schmalen Bett lag ausgestreckt
Perbau ursprünglich kräftigem Kör-
sch..,,,«' l^lt aber hinfällig und in er-
niaa>n^<.n Mitleid erregender Weise abge-
Anil n ^"N dem noch jugendlich bärtigen
Ursm-" uur die eine Hälfte in ihren
Dinglichen Formen erkennbar, die andere
p,.sJ^u dagegen von der Stirne über das
fj.s i.Nsiie Auge hinweg bis zu dem Unter-
an!/ wnunter als eine einzige Narbe. Doch
blüQ gesunde Auge blickte stumpf und
i>« v„hwdurch die ganze Physiognomie einen
unn'dlich traurigen Ausdruck erhielt. An.
greifendsten wirkte es, als das schöne große
s Sitzen neben seinem Lager die Hand
cmf sein Haupt legte und zu ihm
d>> r?lah, als hätte ein Thränenstrom den
ii^n Augen entstürzen wollen,
c- Wie durch die Berührung der warmen
^and getröstet, sprach der Unglückliche
/.iiiiniehr beinahe im Flüsterton: „Schreck-
lich, schrecklich. Er lebte noch —"
-Ich weiß es, armer Ferdinand," fiel
marie milde beschwichtigend ein, „Du hast
wieder böse Träume gehabt. Doch jetzt be-
ruhige Dich. Gegessen hast Du, wie ich
uhe, und das bringt Dir neue Kräfte.
Zu die Nacht weiter vorgeschritten, so
i'Nnge ich Dich vielleicht an Deck. Sonst
!Ae ich uiich zu Dir; neue Geschichten habe
M ausgesonnen, die erzähle ich Dir."
Eine unbeschreibliche, eine heilige Barm-
 
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