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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 9
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Hefi 9 -sinch füi-Nüc? - 193

gant — der Neid muß ihr das lassen. „Hingegen/'
fuhr sie, mit der Dose spielend, fort, „hingegen ist
es doch in gewissen Fällen gut, über gewisse Dinge
unterrichtet zu sein, schon damit man nicht Namen
aufs Tapet bringt, mit denen man eine sehr pein-
liche Wirkung Hervorrufen kann." Sie schwieg, nahm
noch eine Prise, zuckte mit den Achseln und fuhr
dann fort: „Nun, in den Augen vieler machen solche
Romanzen interessant, aber schließlich — es ist wirk-
lich sonderbar, daß Sie nichts davon wissen! Selbst
die Zeitungen gewisser Richtung brachten Andeu-
tungen darüber, wie schwer Herr v. Burgfried sich
damals in London kompromittiert hat! Hätte er
nicht so vorzügliche und einflußreiche Verbindungen
gehabt, so wäre er damals sicher über die Klinge
gesprungen."
Ich fühlte, daß in mir die Nerven anfingen zu
vibrieren, aber nicht etwa vor Schrecken, sondern vor
Entrüstung. „Nun, .da war es ja gut für ihn, daß
er solch vortreffliche und einflußreiche Verbindungen
hatte," sagte ich mit einer Ruhe, von der ich fühlte,
daß sie herausfordernd war.
„Er konnte in der Tat von Glück sagen," meinte
Lady Desmond, „denn es handelte sich für Herrn
v. Burgfried um Ehre und Ansehen. Diplomatische
Indiskretionen, liebe Oliva, nennt man höflich solche
— Entgleisungen, die auch noch häßlichere Namen
führen. Und die Ursache? OberobsL la kemme!"
„Hat man die Frau gefunden, diese Wurzel alles
Übels?" erkundigte ich mich beherrscht, trotzdem es
in mir kochte.
„Liebes Kind — die Spatzen auf den Dächern
pfiffen sich ihren Namen zu!" versetzte Lady Des-
mond, auf ihrer Dose mit ihren schlanken weißen
Fingern trommelnd. „Oh, nicht allein wegen der
Sache mit Herrn v. Burgfried, der sich für sie fast
ruiniert hat — finanziell wie anderseits! Ihren
Namen als den einer gefeierten Schönheit kannte
jedes Kind in London; wo sie hinkam, konnten andere
Damen nur gleich darauf verzichten, angesehen zu
werden. Sie heißt-aber was tut ein Name zur
Sache? Einen kuriosen Übernamen hatte sie. Man
nannte sie: das wogende Licht!"
Ich hatte mich bei den grausamen Worten halb
abgewendet, aber nun fuhr ich herum. Das war
ja der Name, den ich vor wenigen Tagen im Borghese-
park gehört, der Name, auf den Fritz mit einem
überraschten Ausruf geantwortet hatte.
„Das wogende Licht," wiederholte ich erstaunt.
„Nannten Sie nicht so den Stein in dem Schmuck,
den Sie mir gegeben haben?"
Lady Desmond kicherte in sich hinein. „Sehr
richtig," sagte sie, anscheinend sehr belustigt. „Mistreß
Fairfax oder, wie ihre Intimen si auch nannten,
,üonnio üess' hatte eine Leidenschaft für diese
Steine, und Herr v. Burgfried soll ihr mehr von
dieser wltenen Chrysoberyllart gegeben haben, als
sich mit seinen Finanzen in Einklang bringen ließ
— woraus sich für Sie, liebe Oliva, die Warnung
ergibt, vor Herrn v. Burgfrieds Augen Ihren
Schmuck nicht anzulegen, der unangenehme,Erinne-
rungen in ihm wachrufen dürfte, bittersüße Stunden
ihm zurückzaubern würde. Aber Bessie Fairfax hatte
ihren Übernamen nicht allein von ihrer Vorliebe
für diese Steine, sondern auch äußerer Eigenschaften
wegen — zum Beispiel ihr rotes Haar, das metallisch
glänzte, wie auf dem Kopfe der /Pallas' von Botti-
celli, ihre Art und Weise, sich zu bewegen. Ich
möchte wissen, inwieweit Herr v. Burgfried seine
Leidenschaft überwunden hat, denn weil seine Natur
keine oberflächliche ist, so wird er ja natürlich so leicht
nicht vergessen. Ich fürchte, seine künftige Frau
wird sein Herz zum mindesten noch mit einer Er-
innerung an das ,wogende Licht' teilen müssen."
„Ich hoffe, sie wird ihm diese Erinnerung tragen
helfen," fiel ich klar und fest ein — ich hätte fast
lachen können, so leicht war mir geworden.
„Glauben Sie, daß eine Frau das könnte?"
fragte Lady Desmond zweifelnd.
„Ich bin überzeugt davon," gab ich zurück. „Nach
allem, was Sie mir von dieser Dame erzählen,
scheint sie doch auf einem sehr niedrigen moralischen
Niveau zu stehen. Ich schließe das daraus, weil sie
ihren Verehrern erlaubt, sich für sie in Edelsteinen
und anderen Dingen zu ruinieren. Ich denke mir,
wenn jemand erst zu der Erkenntnis erwacht, daß
man sich mit einer Leidenschaft nicht aufgeschwungen
hat, sondern in die Tiefen gestiegen ist, dann kann
es nicht schwer fallen, die Höhe wieder zu erreichen."
„An der Hand einer braven, deutschen Hausfrau,"
fiel Lady Desmond höhnisch ein. „Vielleicht gelingt
das bei gewissen Naturen. Nach allem, was ich hörte,
soll Herr v. Burgfried sich sehr wohl in der ,Tiefe',
wie Sie es von Ihrer Höhe aus nennen, gefühlt
haben."
„Ich kann nur nach dem urteilen, was Sie selbst
mir über diese Dame gesagt haben, Lady Desmond,"
versetzte ich verletzt. „Ich kenne sie nicht, habe nie

zuvor von ihr gehört und maße mir nicht an, auf
einer ,Höhe' zu stehen. Sie selbst scheinen nicht sehr
hoch von — wie heißt sie? — zu denken."
Lady Desmond antwortete nicht gleich. Viel-
leicht sah sie es doch ein, daß sie mich gereizt hatte.
Und ich sah ein, daß ich der Herausforderung nicht hätte
nachgeben dürfen nach dem schönen Grundsatz, daß
Reden zwar Silber, Schweigen aber Gold ist. Ich
glaube, das Münzen in Gold lernt man erst später
im Leben — es ist jedenfalls sehr schwer. — Warum
hat mir Lady Desmond diese Geschichte erzählt?
Um mich vor Fritz zu warnen? Um mich — eifer-
süchtig zu machen? Das erstere kam zu spät, was
sie aber nicht wissen konnte, das letztere war ein
Schlag ins Wasser. Denn es liegt in meiner Natur,
daß ich das Mißtrauen nicht kenne, aus dem allein
doch nur die Eifersucht entspringt; entweder ich glaube
an die Integrität eines Menschen, und dann wird
mich kein Schatten der Vergangenheit an ihm zwei-
feln lassen, nachdem ich einmal — gleichviel ob
instinktiv oder durch die Erkenntnis — zur Über-
zeugung seines inneren Wertes gelangt bin. Oder
ich habe diesen Glauben nicht, und dann scheint mir
die Eifersucht nicht nur überflüssig, sondern auch
erniedrigend.
„Sie werden sich gewiß wundern, weshalb ich
Ihnen diese Episode aus dem Leben Ihres Jugend-
freundes erzählt habe," nahm Lady Desmond nach
einer Pause das Wort, als hätte sie meine Gedanken
erraten. „Ich tat es, weil es ganz gut ist, zu wissen,
welches seine Achillesferse ist, die besser unberührt
bleibt. Und infolge dieser Wissenschaft wird es Ihnen
möglich sein, Herrn v. Burgfried vielleicht einen
Freundschaftsdienst crweifen zu können, den wir
meinetwegen auch Liebesdienst nennen wollen; er
wird Ihnen unter diesem Titel wahrscheinlich leichter
fallen —"
„Ich verstehe Sie nicht, Lady Desmond," sagte
ich törichterweise wieder mit flammendem Gesicht
wegen ihrer letzten Worte, sonst aber wirklich außer-
stande, zu begreifen, was sie eigentlich sagen wollte.
„Wir lommen schon noch darauf zurück," erwiderte
sie. „Für heute will ich Ihnen nur noch so viel sagen:
alle Glieder der Kette, die Herrn v. Burgfried an
das ,wogende Licht' fesseln, sind noch nicht zer-
rissen —"
„Lady Desmond!" unterbrach ich sie warnend.
Aber sie winkte mir, ruhig zu sein. „Nämlich
das letzte, das schwerwiegendste, das des Hasses ist
noch ungebrochen," fuhr sie fort. „Natürlich meine
ich damit, daß dieses Gefühl bei der Dame ausgelöst
worden ist, als sie die zwar nicht ungewöhnliche, aber
darum doch nicht minder demütigende Erfahrung
machen mußte, daß es ihren Feinden gelungen war,
Herrn v. Burgfried zur Flucht aus ih er Nähe
zu bewegen, wobei er so kurzsichtig war, Papiere,
die ihm anvertraut worden waren, zu behalten in
der Meinung-was weiß ich, warum! Der
klügste Mensch ist in gewissen Punkten von einer
Kurzsichtigkeit, die ihn direkt und mit tödlicher Sicher-
heit an den Abgrund führt. Ich fürchte, ich fürchte,
Herrn v. Burgfrieds bisher so glänzende Laufbahn
geht einem jähen Ende entgegen, wenn er sich nicht
entschließt, diese Papiere der Eigentümerin zurück-
zugeben. Hier aber kann Ihre Hand, liebe Oliva,
rettend eingreifen —"
„Meine Hand? Nachdem Sie mir eben den Rat
gegeben haben, Herrn v. Burgfried nicht einmal
durch den Anblick des Juwels — Ihres Juwels —
an diese Episode seines Lebens zu erinnern?" fragte
ich erstaunt. „Ich fürchte, Lady Desmond, Sie
überschätzen mich, denn meine Fähigkeiten im Rätsel-
raten find sehr gering," setzte ich mit kühler Abwehr
hinzu, weil ein sonderbares Gefühl, als ob etwas
mich zurückzöge, mich unwillig machte, dieses Ge-
spräch weiter zu verfolgen.
„Nun, so lassen Sie mich deutlicher sein," er-
widerte die alte Dame wohlwollend, aber zu meiner
Erleichterung hörten wir hinter uns Schritte und
Stimmen, die sich unserem Platze näherten.
„Mein Himmel, kann man denn auch nicht ein-
mal hier allein sein?" sagte Lady Desmond ärger-
lich. „Es ist doch heute meines Wissens kein Be-
suchstag !"
Es war eine ältere Dame des diplomatischen
Korps, die in Begleitung von Mister Mowbray auf
unseren Platz zukam. Ich war ihr gestern vorge-
stellt worden, dieser liebenswürdigen nordischen Ge-
fandtin, die Lady Desmond mit Verbindlichkeit, mich
mit einer Herzlichkeit begrüßte, die ich ihrer Bekannt-
schaft mit meinem Vater verdankte. Sie ist ent-
fetzlich beleibt und war darum ganz froh, neben Lady
Desmond Platz nehmen zu können, nachdem schon
der Weg vom Eingang bis hierher sie außer Atem
versetzt hatte. Ein kurzes Hin und Her von Be-
merkungen über die Schönheiten der Villa Mattei
brachte cs zutage, daß ich die meisten noch nicht
kannte und auch heute nur diesen einen Punkt kennen

gelernt hatte. Lady Desmond bedauerte, mich nicht
weiter herumführen zu können, wozu sich nun wohl
oder übel Mister Mowbray erbot, während die Ge-
sandtin bei Lady Desmond sitzen blieb.
Ich glaube, ich sagte gestern schon, daß Mister
Mowbray mir sympathisch ist; es liegt etwas Ver-
trauenerweckendes in seinem Blick, und wir waren
keine hundert Schritt zusammen gegangen, als ich
auch schon entfchlossen war, mir von ihm reinen
Wein einschenken zu lassen. Ob es weise war oder
nicht, das focht mich zur Stunde nicht an; ich war
desperat und entschlossen, mich nicht zu widerstreiten-
den Gefühlen, am Ende gar zu Zweifeln treiben
zu lassen.
Während Mister Mowbray mir erzählte, wie
Asdrubal Mattei diese Villa gebaut und wen er
darin empfangen hatte, kämpfte ich diesen Kampf
mit meiner natürlichen Zurückhaltung, meinem
Stolz und meiner Loyalität für Fritz. Und diese
siegte.
„Nicht wahr, Mister Mowbray, Sie sind Herrn
v. Burgfrieds Freund?" unterbrach ich eine gewiß
sehr hübsche Schilderung, wie der berühmte Obelisk
Ramfes' II. im Jahre 1585 hier aufgestellt wurde.
Der englische Diplomat war durch diesen Be-
weis meiner Aufmerksamkeit für einen Moment der-
maßen aus dem Tex gebracht, daß er stehen blieb
und mich so erstaunt ansah, daß ich zu einer anderen
Zeit sicher herzlich darüber gelacht hätte.
Aber wie es sich für einen Diplomaten schickt,
faßte er sich sofort. „Ich hoffe, daß ich Burgf ieds
Freund bin," sagte er mit so viel Wärme im Ton,
daß es den Mangel an Bet.uerun vollständig ersetzte.
„Nun, das hoffe ich auch von mir, und darum
möchte ich Sie bitten, mir eine Frage über ihn
aufrichtig und wahrheitsgetreu zu beantworten.
Wollen Sie?" rief ich mit einem Seufzer de Er-
leichterung, weil ich Licht sah in meiner Finsternis.
„Soweit es mir möglich ist, stehe ich zu Ihrer
Verfügung, Fräulein v. Uhlenhus."
„Nun dann, so sagen Sie mir —" ich stockte,
denn mir wich doch ein wenig der Mut vor dieser
Frage. Aber es mußte sein, und mich bezw ngend
wiederholte ich: „Sagen Sie mir, ob es wahr ist,
daß Herr v. Burgfried sich in London durch oder mit
einer Dame, die man das ,wogende Licht! nennt,
derart kompromittiert hat, daß seine Laufbahn heute
noch dadurch bedroht ist, und ob es wahr ist, daß
er sich für diese Dame ruiniert hat."
Mister Mowbray antwortete so lange nicht, daß
ich sein Schweigen für eine Bejahung hielt, und
mein Herz sank in mir u Boden. Endlich sagte er
mit leisem Kopfschütteln: „Wer hat Ihnen denn
das gesagt?"
Jetzt schossen mir die heißen Tränen in die Augen
— ich hätte nicht um die Welt antworten iönnen.
— Also doch!
„Nein, nein!" rief er, weil er mir ja natürlich
ansah, was ich fühlte. „Ich habe nicht darum ge-
fragt. Es ist ja auch gleich, wie die Klatschbase heißt
— das wesentliche ist, daß der Elefant, den man
Ihnen angebunden hat, höchstens eine Mücke ist, die
des guten Burgfried Laufbahn nie einen Augenblick
gestört und seinem Geldbeutel höchstens einen jener
Blutstropfen erpreßt hat, von denen man zu sagen
pflegt: Weh tut's nicht sehr, aber um sein Lehrgeld
darf man nicht jammern. Ich kann aber ehrlich nicht
einmal sagen, ob die Mücke ihn wirklich gestochen
hat. Wissen Sie, wer diese Dame ist, die man das
,wogende Licht' nennt?"
Ich schüttelte mit dem Kopf, denn zu reden traute
ich mich noch nicht.
„Sie wissen es nicht? Nun, es tut auch gar nichts
zur Sache," fuhr Mister Mowbray ruhig fort. „Sie
ist eines der notwendigen Übel im Räderwerk des
Mechanismus, mit dem ,Geschichte' gemacht wird. —
Sie sehen mich verwundert an? Lassen Sie sich
das gelegentlich von Burgfried erklären, der, ohne
zu wissen, woran er war, das seltene Meisterwerk
der Natur in ihr bewundert hat, wie viele andere
auch. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß nicht die
Rede davon ist, daß er sich damit kompromittiert
hätte. Burgfried hat im Gegenteil eine glänzende
Karriere gemacht und allem Anscheine nach noch eine
weitere vor sich. Seine Stellung bei der Botschaft
hier ist ein glänzendes Zeugnis für seine Befähigung
und seine tadellose Führung. Genügt Ihnen das?"
„Es hat mir einen Stein vom Herzen genom-
men," versicherte ich wahrheitsgetreu. „Wie soll ich
Ihnen danken?"
„Sprechen Sie nicht davon!" wehrte Mister
Mowbray hastig ab und fuhr in seiner Beschreibung,
wie der Obelisk Ramses' II. in der Billa Mattei
anfgerichtet wurde, fort, als ob ich ihn nicht unter-
brochen hätte, als ob er nicht wüßte, daß ich ihm
jetzt ebenso unaufmerksam wie vorher zuhörte! Aber
das war ein Zug von Takt, den ich ihm nicht ver-
gessen werde.
 
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