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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 53.1918

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.45266#0051
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H-'fi 2

AasVuchsüvAlie


„Die Kmder sollen gute Weihnachten haben; ich möchte Kuchen
backen."
„Wat Kauten? De Slüngels können noch nich swarzes Brot ver-
dienen. Wat brauten se Kauten?"
„Aber dort liegt das Geld meines Vaters, und wir müssen uns
so mühselig durchfretten."
„Naning, is es dich tauviel? Sich, es wär' mich sehr schanierlich,
dat Geld tau nehmen. Ick meen' man, de Madame Swiger muß
selbst kommen un es uns anbieten."
Nani dachte: da fällt eher der Himmel ein. Sie sagte kein Wort,
ober ein unterdrücktes Schluchzen ließ Muhrland aufhorchen.
„Naning, Herregodd, jetzt flennt se! Awer min Vögelten, gräm
dir nich wegen dat dumme Geld. Haw Geduld, de liebe Godd wird
mir un min braven Kam'raden nich verlaten!"
Näher rückte der Meister und wischte seinem Wribe die Tränen ab.

rau Nani stand vor dem Hause ihrer. Schwester; den schmiede-
eisernen Ring ließ sie gegen die stets versperrte Eichentüre schlagen
und sah unterdes hinüber zu ihrem Elternhause. Wie weh ward es
ihr. Es schien ihr eine Ewigkeit, seit sie dort die Treppe herab-
geschlichen; die Mutter hatte sie seitdem nicht mehr gesehen, den
Doktor nur von weitem, denn er machte stets einen großen Bogen
um das Färberhaus. Endlich öffnete die Jungfer; ein enges, ge-
blümtes Kleid umschloß die dürre Gestalt, lebhafte, schwarze Augen
funkelten über der Hakennase und gaben den: dunklen Gesicht etwas
Zigeunerartiges. Eine graue, leise miauende Katze stand auf ihrer
Schulter.
„Schnell, mach das Tor zu, Nanett. Die Mimerl verträgt den
Luftzug nit. Hörst, wie sie weint?"
Nani beeilte sich, in den ziegelbelegten Flur zu treten; die Jungfer
setzte die Mimerl in ein Zimmer, worin es stark nach Katzen roch.
Dann führte sie die Schwester in den oberen Stock. Blank und weiß
war der Fußboden, da herauf durften die Tiere nicht. Alte Möbel
standen an den Wänden, aus einer Zeit, von der niemand mehr etwas

erzählte; Bilder hingen darüber von Tanten und Vettern, deren
Namen nur noch die Abwäscherin Gertschka wußte. Ein weißer,
vergilbter Seidenstramin, mit wunderbar feinen Kreuzstichveilchen
verziert, bildete den Sesselbezug, in welchem Nani Platz nahm.
Die Jungfer setzte sich gegenüber auf die Fensterbank und sah
aufmerksam die Schwester an. „Hörst, Nanett, dicker bist du nit
worden in deiner sechswöchentlichen Eh'."
Nani lächelte. „Weißt, Pepi, ich hab' halt viel zu viel Arbeit,
um viel an mich denken zu können; liebe Schwester, ich muß dir
auch noch recht schön danken, daß du mir den Kasten eingeräumt
und die Katze gebracht hast. Die Kinder haben sie sehr gern."
„Werden s' gewiß recht quälen? 's ist ja Menschenart, die Tiere
zu martern und die Mitmenschen erst recht." Ein harter Zug er-
schien um den wohlgeformten Mund der Jungfer, der Nani fast den
Mut benahm, eine Bitte vorzubringen.
„Pepi," begann sie leise, „ich bin gekommen, dich um etwas zu
bitten, darfst mir deshalb nicht bös sein. Schau, in drei Tagen ist
Weihnachten. — Pepi — ich habe nicht einmal soviel Geld, um einen
Kuchen zu backen."
„Aha — weht der Wind daher? Jetzt soll die Schwester aus-
helfen? O nein! Du hast mich mit keinem Wort gefragt, ob du
den notigen Blaudrucker heiraten sollst. Jetzt trag dein Kreuz auch
allein. Ich hab' kein Geld — und wenn ich auch eines hätt', nit
einen Groschen gebet ich her."
„Aber Pepi, wenn ich dich recht schön bitten tät. Ich geb' dir's
ja wieder zurück, bis ich mein Erbteil ausbezahlt krieg'."
„Nanett, komm mir nicht mit so einer Bitt'. Ich weiß, du wirst
mir's nicht glauben, ich hab' wirklich kein Geld."
„Nun, wenn du es sagst, so muß ich's wohl glauben. Aber du
hast doch die Zinsen von dem Vermögen deiner Firmpatin?"
„Die brauch' ich für mich und meine Katzen. Andere Leut' füttern
fremde Kinder auf — jeder nach seinem Geschmack."
„Also dann b'hüt Gott, Pepi! Ich wünsch' dir angenehme Feier-
täg'!" (Fortsetzung folgt.!



Das russische Verbrechen. Von Franz Wolters.

ine Art weltpolitischer Morgendämmerung ist es, die um die Wende des
August des vierten Kriegsjahres über Rußland aufgeht. Einem be-
freienden Gewitter gleich haben die Enthüllungen des Suchomlinow-
prozesses in St. Petersburg über das verbrecherische Treiben der drei Kriegsschürer
Ssasanow, Suchomlinow und Januschkewitsch gewirkt, die zwar uns Deutschen
nichts besonders Neues brachten, wohl aber die zweifelvollen Neutralen und die
fanatisch verblendeten Feinde mit niederschmetternder Wahrhaftigkeit darüber
aufklären, wo die Schuld an diesem fürchterlichen Weltkriege liegt. Wie auch
immer das Urteil über die russische revolutionäre Regierung lauten mag,
zweifellos ist es, daß dieser Suchomlinowprozeß unter der Zarenherrschaft ein
anderes Ergebnis gezeitigt hätte; die damals so allmächtige Kriegspartei würde
es nicht zu der Aufdeckung dieses Völkerverbrechens haben kommen lassen.

Diese Kriegsschürer, seit Jahren an der Arbeit, hatten ihren Mittelpunkt
und gefestigten Rückhalt an dem englischen Botschafter Sir Arthur Nicolson
und an der allmächtigen Großfürstenpartei, als deren überragendes Oberhaupt
Nikolaus Nikolajewitsch, der Großvetter des Zaren Nikolaus, anzusehen ist.
Ein wie willenloses Werkzeug dieser, mit fast unbegrenzter Regierungsgewalt
ausgestattete Selbstherrscher in ihren Händen gewesen ist, hat so recht der
Prozeß gezeigt. Wohl haben ihn die Offenbarungen dieser weltgeschichtlichen
Tragödie zu einem gewisser: Grade von der Hauptschuld am Ausbruch des
Krieges entlastet, sein Charakterbild, von jeher als das eines wankelmütigen,
leicht zu beeinflussenden Fürsten bekannt, hat dadurch indessen alles weniger
als gewonnen.
Der Krieg gegen Deutschland an und für sich war ja auch sein Programm


Exminister Suchomlinow.

Diktator Kerenskij.

Sir Arthur Nicolson,
der frühere englische Botschafter in St. Petersburg.
 
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