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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 53.1918

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Heft 26
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https://doi.org/10.11588/diglit.45266#0587
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Das Eröe der Kalewingen.
Roman aus dem estnischen Volksleben
von Richard Schott.
(Fortsetzung.)
er einmal entzündete Brand schwelte unheimlich drohend
weiter, und der rote Spatz in seiner aufgestachelten Rach-
sucht und vom Ehrgeiz getrieben, der zu sein, der es ein-
mal im stillen abmachen würde, suchte nach einer Gelegenheit, um
seinen hinterlistigen Gedanken zur Tat zu machen.
Als am nächsten Sonntag die Leute von: Kirchgang heimgekehrt
waren, sahen sie, wie Juho, ein stattlicher Knecht des benachbarten
Gutes Kusal, festlich herausgeputzt auf einem Hengst in den Hof ge-
ritten kam und mit ihm ein älterer Mann, der eine Stute ritt und
einen Straus; von roten Hagebutten am Wams trug.
Mit aufgeregten Gesichtern steckten die Weiber ihre Köpfe zu
Tür und Fenster hinaus, und bald war die ganze-Bewohnerschaft
zusammengelaufen.
„Der Juho von Kusal mit einem Vatermann? Wißt ihr, wo
das Feldhuhn gelockt hat?" gingen die Fragen von Mund zu Mund.
„Ich wüßUs schon zu sagen," meinte Liiso. „Denkt doch an das
Orakel vom Sichelwerfen; Zeit wär>s, daß es sich erfüllte."
„Mit Maila an einem
Tage," tuschelte das Käuzchen
blinzelnd dazwischen. „Das
wird eine lustige Hochzeit
geben."
„Was schwatzt ihr da?"
schalt die alte Pekka, die an
ihrem Stecken herbeigehinkt
kam. „Mit Maila an einem
Tag. Ich weiß, was ich weiß!
Ihre Sterne standen im Kreuz
über dem Mutterberg, als die
Wehmutter sie löste. Sie wird
nicht sterben, bis der Spruch
sich erfüllt hat."
Inzwischen waren die bei¬
den Fremden einige Male zur
Schau im Hofe auf und nie¬
der geritten, in jedes Häus¬
chen hineinblickend, als suchten
sie etwas. Zuweilen machten
sie halt und stärkten sich aus
der dickbäuchigen Branntwein¬
flasche, die Juho in der Hand
hielt. Endlich blieben sie vor
einem Hause stehen, in dem
Leena bei ihrem Vater, dem
alten Heikki, wohnte, der ge¬
rade, Holzgeschirr schnitzend,
auf der Schwelle säst.
„Zum Gruß, Vater Heikki!"
rief Juho ihn an, seine Mütze
zweimal um den Kopf seines
Hengstes schwenkend.
„Zum Grust!" antwortete
der Alte, ohne seine Arbeit
aus der Hand zu legen und
dadurch etwa zu verrate?:, da st
der Besuch ihn überrasche,
oder dast er ahne, was er zu

bedeuten habe; denn die Frauen und Mädchen waren jetzt alle
herangekommen, auch viele Männer und Burschen hätten sich ein-
gefunden, und es wurde mit groster Strenge darauf geachtet, dast
bei der Brautwerbung auch alles so gehalten wurde, wie Sitte und
Brauch es verlangten. Der kleinste Verstost konnte verhängnisvoll
werden, weil er sofort als Vorbedeutung angesehen wurde und
Vorurteile erzeugte, die schon mancher Ehe schweren Schaden ge-
bracht hatten.
„Ich möchte dich etwas fragen, Vater Heikki," sagte Juho. „Du
arbeitest freilich vor dem Hause. Aber da du ein guter Hausvater bist,
wirst du auch wissen, was drinnen in deinem Hause geschieht."
„Das werde ich schon wissen," gab der Alte zurück, noch immer
ruhig weiterschnitzend.
„Dann wirst du mir gewist sagen können, ob in deinem Hause das
weiße Lamm ist, das mein Vatermann sucht?"
Schweigend nickte der Alte, erhob sich, legte ohne Übereilung
sein Handwerkszeug neben sich auf die Schwelle und ging mit schlür-
fenden Schritten in das Haus.
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren die Blicke der Zuschauer
auf die Tür gerichtet. Jedermann wußte, dast Leena jetzt drinnen
von ihrem Vater gefragt wurde, ob sie das gesuchte weiße Lamm sei.
Nach einer Weile kam Vater Heikki zurück, blieb auf der Schwelle
stehen, nickte wieder und sagte in gleichgültigem Ton: „Das weiße
Lamm, das dein Vaterniann sucht, ist freilich in meinem Hause."
„Dann werden wir am
nächsten Sonntag Wiederkom-
men und es nut uns nehmen,
Vater Heikki," ließ sich jetzt
der Vatermann vernehmen.
„Sorge dafür, daß es ein
sauber Bändchen am Halse
trägt und gute Beine hat zum
Springen."
„Dafür werde ich schon
sorgen," gab der Alte zurück.
Hierauf reichte ihm Juho,
nachdem er selbst getrunken
hatte, seine Branntweinflasche
vom Pferde herunter. Der
Alte tat einen tüchtigen Schluck
und ließ sie an den Vater-
mann weitergehen. Nachdem
auch dieser getrunken hatte,
wandten die beiden Reiter
ihre Pferde und sprengten
durch die auseinander stiebende
Menge in vollem Galopp vom
Hofe.
Nun waren Leena und
Juho Braut und Bräutigam,
und schon am nächsten Sonn-
tag sollte die Hochzeit sein,
denn die Burschen, die sich die
Mädchen von anderen Höfen
holten, wo sie die Treue der
Auserwühlten nicht mit eige-
nen Augen überwachen konn-
ten, zögerten nicht gern lange.
In Eile wurde das „saubere
Bändchen" hergerichtet: der
Brautstaat und das Hochzeits-
gut, das gewöhnlich aus Lin-
nen und einer von den landes-
üblichen Wiegen bestand, die


Graf v. Kirchbach, der neue deutsche Militärgouverneur in der Ukraine.

XXVI. 1918.
 
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