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DasVuchsüvAtle
Heft 2
über die Enge ihres Lebens hinausgehoben. Und doch hatte
sie noch Wochen hindurch geschwiegen zu Witold Larsen von
dem, was ihr Leben so wunderbar durchsonnte und sie fortan
so ganz erfüllte. Unsagbar schwer war es ihr geworden, das
Geständnis, das er mit einem stillen Lächeln ausgenommen.
Aber wenn er weiterhin sich auch noch so selbstlos mit ihr zu
freuen schien, so erfüllte sie bei allem Glück, das sie durchflutete,
doch etwas wie eine dunkle Qual. Sie empfand ihr Glück zu-
weilen mit einem Gefühl der Scham, der Scham des Reichen vor
dem Elend des Armen. Unter der Seligkeit ihres jungen Glückes
schlief eine stille Traurigkeit, die sie selbst befremdend empfand,
ohne die wahre Ursache dieses Zustandes fassen zu können.
Manchmal dachte sie darüber nach, was nun künftig aus
ihrem Schützling werden müsse, aus ihrem Freund. Was sie
getan hatte, würde gewiß wieder jemand auf sich nehmen.
ein wenig befangen, als sie wiederholte, daß es gar nicht denk-
bar sei, eine Stellung aufzugeben, die so angenehm war und
so gut bezahlt wurde; nein, daran konnte man ernstlich gar nicht
denken, es war ja eine Lebensstellung. Witold Larsen lächelte,
als sie dies gesagt. Eine Lebensstellung? Sie hatte es ihm
ja selbst verraten, daß sie neunzehn Jahre alt sei. Eine Lebens-
stellung fand sich gewiß einmal für sie und sicher eine noch viel
angenehmere. Leises Rot war ihr in die Wangen gestiegen,
als er dies so eigen betont ausgesprochen. Oder wenn sie
vielleicht mal ihre Wohnung veränderte, um in einen anderen
Stadtteil zu ziehen? Auch davon wollte sie nichts hören. Sie
war ja auch, was das anbelangte, so gut untergebracht. So an-
genehm fand sie es nicht so bald wieder. Nein, sie wolle immer
hier draußen am Stadtpark bleiben, würde alle Tage dieselben
Straßen entlanggehen. Wahrscheinlich zeitlebens. Wenigstens
Dkot. Bild- u. Aürn-Äutt, Berlin.
Dle Enthüllung des Eisernen Landsturmmanns in Riga.
Er mußte eine andere Begleitung finden. Und Augenblicke
kamen, da sie zu ahnen begann, daß sie ihm viel gewesen war.
Oft hatte er, wenn auch scheinbar gleichmütig, darüber ge-
plaudert, wie er sich künftig einzurichten gedachte, wenn eines
Tages ihre Wege sich wieder trennen würden. Er nahm das
als selbstverständlich an; es konnte ja auch nicht anders sein,
denn sie war doch noch so jung, und das Leben würde sie viel-
leicht bald genug gebieterisch für sich fordern. Er verhehlte
sich nicht, daß dies anfänglich recht schlimm für ihn werden
müsse, denn er war ja so verwöhnt durch sie. Wenn es einmal
so käme, dann würde er darauf verzichten, sich durch jemand
führen zu lassen, den er dafür bezahlen müsse. Dann würde
er es machen wie so viele andere, die das gleiche Geschick mit
ihm teilten, denen nichts übrig blieb, als sich von einem jener
gutabgerichteten kleinen Hündchen geleiten zu lassen. Er ver-
suchte einen scherzhaften Ton in feine Worte zu legen, als er
davon sprach, und doch war ihr gewesen, als habe seine Stimme
gebebt. Sie erinnerte sich nach Tagen noch genau, wie eifrig
sie ihm widersprochen hatte. Wieso sollte sie denn dazu kommen,
je ihre Stellung aufzugeben? Sie hatte gelacht, wenn auch
noch lange, sehr lange, hatte sie nach einem Weilchen hinzugesetzt.
Und sie hatten gelacht, alle beide, herzlich und froh. Nun ja, es
sollte ein Wort sein; sie wollten so lange gemeinsam als treue Ka-
meraden miteinander gehen, bis sie alt und grau geworden seien.
Und nun war es doch so gekommen, daß sie in absehbarer
Zeit ihre Wohnung und ihre Stellung aufgeben würde, daß
sie auch ihren Liebesdienst nicht mehr erfüllen konnte, der ihr
im Laufe der Zeit ein lieber Dienst geworden war.
Beinahe anderthalb Jahre hatte sie Witold Larsen fast täglich
begleitet. Und doch — wie wenig war es gewesen, was sie
getan und damit abgetragen hatte von jener unermeßlichen,
nie zu tilgenden Dankesschuld gegen diese ergreifendsten und
schwerstgeprüften unter des Vaterlandes Helden.
Oft, wenn sie in seine erloschenen Augen sah, die unter der
dunklen Brille schliefen, und dieses seltsam Erschütternde, eigen
Ergebungsvolle, die Haltung seines Kopfes und dieses Nach-
innengekehrte, als lausche der Blinde auf Stimmen, die der
Sehende nicht hörte, dann brach es angesichts des Leidverklärten,
das seine Jugend adelte, in tiefstem Mitempfinden aus ihr
hervor: Könnt' ich doch mehr, viel mehr für dich und für euch
DasVuchsüvAtle
Heft 2
über die Enge ihres Lebens hinausgehoben. Und doch hatte
sie noch Wochen hindurch geschwiegen zu Witold Larsen von
dem, was ihr Leben so wunderbar durchsonnte und sie fortan
so ganz erfüllte. Unsagbar schwer war es ihr geworden, das
Geständnis, das er mit einem stillen Lächeln ausgenommen.
Aber wenn er weiterhin sich auch noch so selbstlos mit ihr zu
freuen schien, so erfüllte sie bei allem Glück, das sie durchflutete,
doch etwas wie eine dunkle Qual. Sie empfand ihr Glück zu-
weilen mit einem Gefühl der Scham, der Scham des Reichen vor
dem Elend des Armen. Unter der Seligkeit ihres jungen Glückes
schlief eine stille Traurigkeit, die sie selbst befremdend empfand,
ohne die wahre Ursache dieses Zustandes fassen zu können.
Manchmal dachte sie darüber nach, was nun künftig aus
ihrem Schützling werden müsse, aus ihrem Freund. Was sie
getan hatte, würde gewiß wieder jemand auf sich nehmen.
ein wenig befangen, als sie wiederholte, daß es gar nicht denk-
bar sei, eine Stellung aufzugeben, die so angenehm war und
so gut bezahlt wurde; nein, daran konnte man ernstlich gar nicht
denken, es war ja eine Lebensstellung. Witold Larsen lächelte,
als sie dies gesagt. Eine Lebensstellung? Sie hatte es ihm
ja selbst verraten, daß sie neunzehn Jahre alt sei. Eine Lebens-
stellung fand sich gewiß einmal für sie und sicher eine noch viel
angenehmere. Leises Rot war ihr in die Wangen gestiegen,
als er dies so eigen betont ausgesprochen. Oder wenn sie
vielleicht mal ihre Wohnung veränderte, um in einen anderen
Stadtteil zu ziehen? Auch davon wollte sie nichts hören. Sie
war ja auch, was das anbelangte, so gut untergebracht. So an-
genehm fand sie es nicht so bald wieder. Nein, sie wolle immer
hier draußen am Stadtpark bleiben, würde alle Tage dieselben
Straßen entlanggehen. Wahrscheinlich zeitlebens. Wenigstens
Dkot. Bild- u. Aürn-Äutt, Berlin.
Dle Enthüllung des Eisernen Landsturmmanns in Riga.
Er mußte eine andere Begleitung finden. Und Augenblicke
kamen, da sie zu ahnen begann, daß sie ihm viel gewesen war.
Oft hatte er, wenn auch scheinbar gleichmütig, darüber ge-
plaudert, wie er sich künftig einzurichten gedachte, wenn eines
Tages ihre Wege sich wieder trennen würden. Er nahm das
als selbstverständlich an; es konnte ja auch nicht anders sein,
denn sie war doch noch so jung, und das Leben würde sie viel-
leicht bald genug gebieterisch für sich fordern. Er verhehlte
sich nicht, daß dies anfänglich recht schlimm für ihn werden
müsse, denn er war ja so verwöhnt durch sie. Wenn es einmal
so käme, dann würde er darauf verzichten, sich durch jemand
führen zu lassen, den er dafür bezahlen müsse. Dann würde
er es machen wie so viele andere, die das gleiche Geschick mit
ihm teilten, denen nichts übrig blieb, als sich von einem jener
gutabgerichteten kleinen Hündchen geleiten zu lassen. Er ver-
suchte einen scherzhaften Ton in feine Worte zu legen, als er
davon sprach, und doch war ihr gewesen, als habe seine Stimme
gebebt. Sie erinnerte sich nach Tagen noch genau, wie eifrig
sie ihm widersprochen hatte. Wieso sollte sie denn dazu kommen,
je ihre Stellung aufzugeben? Sie hatte gelacht, wenn auch
noch lange, sehr lange, hatte sie nach einem Weilchen hinzugesetzt.
Und sie hatten gelacht, alle beide, herzlich und froh. Nun ja, es
sollte ein Wort sein; sie wollten so lange gemeinsam als treue Ka-
meraden miteinander gehen, bis sie alt und grau geworden seien.
Und nun war es doch so gekommen, daß sie in absehbarer
Zeit ihre Wohnung und ihre Stellung aufgeben würde, daß
sie auch ihren Liebesdienst nicht mehr erfüllen konnte, der ihr
im Laufe der Zeit ein lieber Dienst geworden war.
Beinahe anderthalb Jahre hatte sie Witold Larsen fast täglich
begleitet. Und doch — wie wenig war es gewesen, was sie
getan und damit abgetragen hatte von jener unermeßlichen,
nie zu tilgenden Dankesschuld gegen diese ergreifendsten und
schwerstgeprüften unter des Vaterlandes Helden.
Oft, wenn sie in seine erloschenen Augen sah, die unter der
dunklen Brille schliefen, und dieses seltsam Erschütternde, eigen
Ergebungsvolle, die Haltung seines Kopfes und dieses Nach-
innengekehrte, als lausche der Blinde auf Stimmen, die der
Sehende nicht hörte, dann brach es angesichts des Leidverklärten,
das seine Jugend adelte, in tiefstem Mitempfinden aus ihr
hervor: Könnt' ich doch mehr, viel mehr für dich und für euch