Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

DOI Heft:
Heft 3
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0052
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
42

DasBuchfüvAlle

Heft 3

rannte weiter, unbekümmert um die Leute, die verständnislos
hinter ihm herschauten.
Fast atemlos kam er im Amtszimmer des Bezirkskommissärs
an. In diesem Raume waren mehrere Schutzleute anwesend
und der in der Stadt gut bekannte und von allem lichtscheuen
Gesindel gefürchtete Inspektor Rebstein. Die Erscheinung
dieses Beamten glich der eines Schauspielers. Breitschultrig
und mittelgroß, hatte er einen rundlichen, kurzgeschorenen Kopf
mit einem glattrasierten Gesicht, die Augen waren klein und sehr
beweglich, die vollen Wangen rosig, die Lippen sehr fleischig, die
Zähne, die er lächelnd häufig sehen ließ, blendend weiß. Der Kopf
saß fast ohne Hals auf den Schultern. Die breiten, sehnigen Hände
dieses Kriminalbeamten sahen gut gepflegt aus. Rebstein war an
seinen, Schreibtisch in eine Arbeit vertieft, als die hagere Gestalt
des Dieners hereingestürmt kam, der vergessen hatte, hinter sich
die Türe zu schließen.
Ohne eine Frage abzuwarten, keuchte er mit überschlagender
Stimme: „Mord! Mord!"
Dann sank er in einen Stuhl, ließ die Arme schlaff herab-
fallen und schnappte nach Luft. Der kurze Ausruf war deutlich
genug, um den Ernst der Lage verständlich zu machen.
Inspektor Rebstein erhob sich sofort und trat neben den
Alten hin, der mit irrem Ausdruck um sich schaute.
„Beruhigen Sie sich und antworten Sie: Wer ist ermordet
worden?"
„Baron Siegmund v. Regensperg."
„Wo?"
„In seinem Zimmer."
„Wissen Sie, daß es ein Mord war?"
„Ich habe das Blut gesehen,- aus dem Halse ist es auf den
Boden niedergesickert."
„Haben Sie allein ihn gefunden?"
„Ja!"
"Wer sind Sie?"
„Der Diener des Barons."
„Wie heißen Sie?"
„Bonifaz Hellmenberger."
„Gut! Haben Sie sich soweit erholt, daß Sie mich hinführen
können? Fühlen Sie sich stark genug?"
„Ja!"
Inspektor Rebstein griff nach seinem Hut und gab mit einigen
Blicken ein paar Polizisten die Weisung, ihnen zu folgen. Dann
trat er mit dem alten Diener, der hastend voranging, auf die
Straße.
Auf dem Weg setzte der Inspektor das begonnene Verhör fort,
um seine spätere Aufgabe zu erleichtern. Auf jede Frage gab der
alte Diener Antwort, ohne sich besinnen zu müssen, ohne mit
irgend einem Bescheid zu zögern.
„Wissen Sie, ob der Baron auch tot war?"
„Er regte sich nicht."
„Sahen Sie die Waffe, mit der die Tat begangen worden
war?"
„Nein! Nur das Blut sah ich, das aus dem Halse geronnen ist."
„Wann haben Sie den Toten gesunden?"
„Ich wollte das Frühstück hineintragen. Dann bin ich gleich
hierhergelaufen."
„Schlafen Sie in der Wohnung?"
„Ja, ich habe eine kleine Kammer."
„Haben Sie während der Nacht nichts gehört? Sind Sie
durch kein Geräusch wach geworden?"
„Nein!"
„War der Tote, als sie ihn fanden, angekleidet?"
„Ja! Er trug seinen Hausrock."
„So war er gar nicht ins Bett gekommen?"
„Das kann ich nicht sagen."
„Fanden Sie Spuren von Gewalt? War die Flurtüre auf-
gebrochen? Oder erschien Ihnen sonst etwas auffällig?"
„Nein!"
Inspektor Rebstein fragte weiter: „Hatte der Tote einen
Besuch erwartet?"

„Er sagte mir nichts davon. Er bekam nie Besuche,- er hielt
sich immer in seinen, Zimmer eingeschlossen."
„War dies diesen Morgen nicht der Fall?"
„Nein!"
„Konnte jemand einen zweiten Schlüssel haben, um in die
Wohnung zu gelangen?"
„Ich weiß es nicht."
„Wenn jemand kommen wollte, öffneten Sie immer?"
„Ja!"
„Wie war es nun gestern abend? Wann sind Sie schlafen
gegangen?"
„Gegen neun Uhr. Vorher fragte ich noch, ob der Herr
Baron noch irgendwelche Wünsche habe. Er schickte mich zu
Bett."
„Fiel Ihnen dabei an seinem Benehmen etwas aus?"
„Nein!"
„Womit trafen Sie ihn beschäftigt, als Sie von ihm gingen?"
„Er saß im Lehnstuhl und las in einem Buch."
„Haben Sie die Flurtüre geschlossen?"
„Ja!"
„Und am Morgen fanden Sie ihn tot?"
„Ja!"
„Pflegte der Baron in der Nacht Besuche zu empfangen,
von denen Sie nichts wissen sollten?"
„Nein, das tat er ganz gewiß nicht, denn er wollte nie je-
mand sehen; er war gegen alle Menschen mißtrauisch."
„Wenn am Morgen ein Besucher gekommen wäre, hätten
Sie das hören müssen?"
„Gewiß hätte ich es gehört."
„Dann kann die Tat nur in der Nacht, nachdem Sie ihn
verlassen hatten, geschehen sein?"
„So muß es wohl gewesen sein."
„Sie erzählten davon, daß der Tote nie jemand sehen
wollte. Fürchtete er sich vielleicht?"
„Er sprach immer davon, daß doch alle nur auf sein Geld
warteten."
„Sprach er dabei von einer bestimmten Person?"
Zum ersten Male zögerte der Alte mit der Antwort; er-
würgte den Kopf hin und her, hüstelte, strich sich mit dem Handrücken
über das Kinn und erklärte: „Ich weiß nicht, ob ich das sagen soll."
„Sie dürfen nichts verheimlichen. Auch das scheinbar Harm-
loseste nicht. Erklären Sie nur ruhig, vor wem er sich fürchtete."
„Das ist ja alles überflüssig."
„Das zu beurteilen ist nicht Ihre Sache, das gehört zu meiner
Aufgabe, Sie haben nur meine Fragen zu beantworten."
„Von dem jungen gnädigen Herrn sprach er. immer mit
Besorgnis."
„Wer ist das? Der Sohn des Ermordeten?"
„Ja!"
„Bestand zwischen Vater und Sohn kein gutes Verhältnis?"
„Nein!"
„Können Sie sagen warum?"
„Der junge Herr brauchte immer Geld."
„Wohnt der Sohn auch im Hause?"
„Nein, er besitzt eine eigene Wohnung."
„Wie heißt er?"
„Anton v. Regensperg."
„Haben Sie selbst schon einmal Drohungen des jungen Herrn
gehört?"
Die Verlegenheit des alten Dieners steigerte sich; aber er
mußte antworten: „Wenn er erregt war, brauchte er wohl oft
heftige Worte, aber er meinte es doch nie ernst." Wie erlöst,
daß die Fragen beendet sein mußten, die so schwer zu beant-
worten waren, erklärte er hastig: „Nun sind wir da. Dort
oben im ersten Stock."
Aber als sie die Treppe emporstiegen, fragte Inspektor Reb-
stein: „Besaß der Sohn einen Schlüssel zu der Wohnung?"
„Nein! Ich durfte ihm nicht einmal öffnen."
„Gut vorerst! Sie bleiben hier in der Nähe, damit ich Sie
rufen kann."
 
Annotationen