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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0060
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so

DasBuchfüvAlte

Heft S


...
U. -

Nach einem Gemälde von Professor F. Roubaud.

Vorwurf inachen.
Wenn du unklug
gehandelt hast, sv
geschah es aus gu¬
tem Herzen. Nicht
mik dir habe ich
zu rechten, son¬
dern allein mit
dem Menschen,
der gewissenlos
genug war, meine
Kinder zu be¬
tören." Er wandte
sich zum Gehen.
Bittend erhob
Gertrud dieHünde.
„Wohin gehst du,
Vater? Was willst
du tun? Ich flehe
dich an: mach'
die beiden nicht
unglücklich. Sie
haben sich ja so
lieb."
Er stand schon
unter der Tür:
„Sie muß sich ihn
aus dem Sinn
schlagen, und er
darf nie mehr ver¬
suchen, sich ihr zu.
nähern."
Im Fortgehen
sah Hardung noch,
wie Gertrud die
mageren Arme
über den Tisch
warf und schluch¬
zend den Kopf
darauf sinken ließ.
Aber ohne sich auf¬
halten zu lassen,
eilte er davon, um
die Philharmonie
zu erreichen, wie
wenn sein Schick¬
sal an jeder ver¬
lorenen Minute
hinge.
Als er den über¬
füllten Konzert¬
saal betrat, zum
erstenmal seit einer
langen Reihe von
Jahren, war eben
der erste Teil des
Konzerts zu Ende.
Das Publikum rief
den Sänger wie¬
der und wieder auf das Podium zurück, um sich damit eine Zu-
gabe zu erschmeicheln, und nun, da er seinen Begleiter durch
einige rasche Worte veranlaßte, wieder am Flügel Platz zu
nehmen, wurde es plötzlich still. Hutter trat bis an den Rand
des Podiums und sagte: „Meine Damen und Herren! Nicht
besser glaube ich Ihnen für Ihre freundliche Anerkennung danken
zu können, als durch den Vortrag einiger Lieder, die mit Un-
recht vergessen worden sind, während sie ihrem hohen Wrrt nach
in jedem Konzertsaal gesungen werden sollten. Ihr Komponist
ist der noch lebende Tondichter Robert Hardung, den verständnis-
lose Gleichgültigkeit leider viel zu früh verstummen machte."

Eine Bewegung ging durch die Reihen der Hörer; dann
trat Schweigen ein, und Johannes Hutter sang. Nie war
seine Stimme strahlender, nie sein Vortrag tiefer und inniger
beseelt gewesen. Jeder mußte es fühlen, daß er mit hingebender
Begeisterung sein reifstes Können einsetzte, um einen Ver-
gessenen zu Ehren zu bringen. Atemlos lauschte man.
Unter dem halbdunklen Säulengang im Hintergründe des
Raumes aber stand ein grauhaariger Mann, dem unaufhaltsam
Tränen über die Wangen liefen, während es doch wie ein Ab-
glanz höchsten Glückes auf seinem faltigen Antlitz lag. Ein
seltsames, fast kindlich scheues Lächeln spielte um seine Lippen,


Heft3

DaeVuchfüvAlle

51

tom des Ruhmes
an sich vorbciglei-
ten. Es peitschte
seine Nerven nicht
mehr auf und
brachte sein Blut
nicht in unge stüme
Wallung. Was ihn
einst mit sehnsüch-
tigem Verlangen
erfüllte, berührte
seine Stirne jetzt
nur noch wie ein
schmeichelndes
Lüftchen, das süße
Blumendüfte aus
weiten, ewig uner-
reichbaren Fernen
mit sich führt. Er
grollte den Men-
schen nicht mehr,
und seine Seele
war voll Dankbar-
keit und Güte.
In seiner Woh-
nung kam ihm
Gertrud entgegen,
betroffen, ihn al-
lein zurückkehren
zu sehen. „Und
Hedwig—"fragte
sie angstvoll, „hast
du sie nicht ge-
funden?"
„Nein — ich
mochte das Ende
des Konzerts nicht
abwarten. Und ich
mag heute nicht
weiter davon spre-
chen. Wenn sie
heimkehrt, kannst
du ihr sagen, daß
ich euch den Be-
trug in Gottes
Namen verzeihen
will. Wenn er es
ernst meint, mag
Johannes Hutter
kommen, wie ein
ehrlicher Mann um
sie zu werben."
Da leuchtete es
in hellster Freude
über das blasse,
tränenkalteGesicht
der kleinen Ver-

als jetzt ein immer erneuter Sturm des Beifalls den Saal
durchbrauste. Mit gesenktem Kopse stahl er sich hinaus, als
hätte er sich einer Missetat zu schämen und fürchte, von jemand
erkannt zu werden. Lange wanderte er draußen durch die
abendstillen Straßen, berauscht von einem wehmütig süßen
Glücksempfinden, für das er sein Herz längst abgestorben ge-
glaubt. Die Tage seiner Jugend waren wieder lebendig ge-
worden. Als wären es die Schatten teurer Verstorbener,
fluteten noch einmal alle die Erinnerungen-durch seine Seele,
die sich für ihn mit jenen von der Welt vergessenen Liedern ver-
knüpften. Er spürte den Zauber des Erfolges und sah das Phan-

Orientalischer pferdemarkt.
die Hände: „Du wirst ihn nicht zurückweisen? Oh, du bist gut,
Vater! Ich danke dir von Herzen."
„Nicht zu früh, Kind! Noch bedrückt mich ein schweres Be-
denken. Wirst du stark genug sein, den Anblick ihres Glückes
zu ertragen?"
Sie barg ihren Kopf an der Brust des Vaters und flüsterte
leise: „Ich wünsche mir nichts Besseres. Aber ich würde tod-
elend werden, wenn du mich verraten würdest."
Robert Hardung beugte sich hinab und küßte ihre zuckenden
Lippen: „Fürchte nichts, mein geliebtes Kind! Es soll unser
Geheimnis bleiben."
 
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