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DasBuchfüvAlle
Heft 6
wäre sie Arel ausgewichen. Sie fühlte, daß sie eine Weile mit
sich allein sein mußte, um über all das klar zu werden, was
sie empfunden hatte, und was geschehen war.
Arel v. Regensperg rief sie aber in das Zimmer, als er im
Flur ihre Schritte gehört hatte.
Schuldbewußt glitten ihre Blicke über den Boden. Are!
achtete nicht aus sie.
Er begann unvermittelt: „Ich habe dir etwas Besonderes
zu sagen."
Als Ena zu ihm aufblickte, war es ihr, als sähe sie in seinen
Augen ein gleiches Flimmern wie in denen des Fürsten Pasca-
dianu. Auch seine Stimme klang Heller als sonst, als er rief:
„Ja! Das Glück kommt zu uns! Ich sagte es dir schon einmal.
Nun aber weiß ich es gewiß."
„Was ist geschehen?"
„Ich habe mich verlobt."
„Du? Arel! Verlobt? Bist du glücklich?"
„Ja!"
„Wer ist es ...?"
„Ada v. Wallendorf!"
Ein paar Augenblicke schwieg sie; ein besonderer Gedanke
schoß ihr durch den Kopf. Sie erinnerte sich daran, daß Arel
ihr einmal davon erzählt hatte, daß er und Vetter Anton die
gleiche liebten. Daran mußte sie denken, als sie langsam fragte:
„Ist es Ada, die auch Vetter Anton liebte?"
„Ja! Und mit ihr habe ich mich verlobt. Siehst du, daß
nun alles Glück kommt?"
Da fühlte sich Ena v. Regensperg nicht mehr ganz unbefangen
und froh. Das Erbe war von Vetter Anton auf sie gekommen,
und nun war ihm auch noch Ada verloren, die er liebte. Ein
Schatten von Traurigkeit schlich in das Herz des jungen Mädchens.
Ena sah die Augen ihres Bruders im Glück leuchten; sie reichte
ihm die Hand und sagte leise: „Ich wünsche dir, daß dein Glück
dich nie verläßt."
„Es wird mich nicht verlassen. Aber du? Wirst du mir
jetzt nicht bald Nachfolgen?"
„Ich? — Ich bin ja noch so jung!"
So harmlos sie die Worte auch aussprechen wollte, es gelang
ihr nicht; und wenn Arel v. Regensperg nicht nur an sich gedacht
hätte, würde er gesehen haben, wie ihre Wangen brannten, und
wie hilflos ihre Blicke über den Boden irrten. Nun erst dachte
sie ernstlich daran, ob sie ihm nachfolgen werde.
Und während sie sich beide ihrem Glück Hingaben, wie sie dessen
Erfüllung kommen sahen, wurde Vetter Anton immer elender.
Für ihn sollte die Sonne ausgelöscht sein, und sie selbst bauten
aus seinem Unglück ihr Glück auf.
Ena v. Regensperg suchte ihre Bedenken zu beschwichtigen.
Sie ließ jetzt keinen Zweifel mehr über Antons Schuld laut
werden; sie wiederholte, was alle glaubten.
ie Beerdigung deines Vaters fand heute statt. Arel
v. Regensperg hatte veranlaßt, daß dieser Akt feierlich voll-
zogen wurde. Auch deine Base Ena war anwesend. Du weißt
ja, daß die beiden nun das Erbe erhalten."
Anton v. Regensperg machte zu dieser Erklärung Heinz
v. Wallendorfs nur eine abwehrende Handbewegung. „Den
beiden gönne ich den Besitz, der ihnen zugesallen ist. Sie konnten
den Gang der Ereignisse nicht beeinflussen. Nein, ich trage ihnen
nichts nach."
Beide schwiegen.
In den Tagen der Haft, in der Einsamkeit zwischen den
vier Lihlen Wänden, die nichts von all dem enthielten, woran
Anton v. Regensperg bisher gewöhnt gewesen, war sein Gesicht
schmal geworden; die frische, gesunde Farbe war einer fahlen,
gelblichen Tönung gewichen; Bartstoppeln ließen ihn älter er-
scheinen, als er war. Mancher seiner Klubgenossen würde ihn
nicht wiedererkannt haben. Aus trübem Sinnen auswachend,
fragte er leise: „Was spricht man über mich?"
Heinz v. Wallendorf hatte Antons Worte gehört, aber er
antwortete nicht und erzählte weiter: „Die Feier wurde sehr
rasch beendet, weil zu viele Neugierige an das Grab gekommen
waren."
„Ich will das nicht wissen. Was wurde von mir gesprochen?"
Heinz v. Wallendorf konnte der Frage nicht nochmals aus-
weichen, und so harmlos er die Antwort zu geben versuchte,
eine leichte Verlegenheit klang doch aus seinen Worten, als er
erwiderte: „Was leise gesprochen wurde, konnte ich nicht hören,
und danach fragen mochte ich nicht."
„Ich verstehe dich. Du willst mich schonen. Aber ich habe
die Anklagen gegen mich schon so oft gehört, daß ich die Wahr-
heit vertragen kann. Sie halten mich für den Mörder?"
„Du weißt ja, wie sehr alles gegen dich spricht."
„Ja! Für die Menschen bin ich der Mörder meines Vaters."
„Sie glauben es."
„Ich wundere mich nicht mehr darüber, wenn es auch schwer zu
ertragen ist. Wäre ein anderer in der gleichen Lage hier an meiner
Stelle, würde auch ich gewiß an seiner Schuld nicht zweifeln."
„Du vergißt, daß ich nicht daran glaube. Ich kenne dich
zu gut. Vor deinem Leichtsinn und deiner Spielsucht warnte
ich dich oft genug. Aber das weiß ich, daß du einer solchen
Tat nicht fähig bist. Und du darfst gewiß sein, daß ich nicht nur
so spreche, weil ich dein Verteidiger bin."
Anton v. Regensperg reichte ihm die Hand: „Ich danke
dir für deinen Glauben. An meiner Hand soll zwar Blut kleben,
aber ich darf sie dir ohne zu heucheln geben. Ich bin mir keiner
Schuld bewußt. Nur zum Zeichen meines Dankes möchte ich
sie dir reichen."
Heinz v. Wallendorf ergriff die Rechte Antons: „Ich glaube
dir!"
„Ich weiß es, und was noch mehr ist, ich fühle, daß du mir
glaubst. Aber ..."
Er sprach nicht weiter. Aufstöhnend senkte er den Kopf
tief auf die Brust.
„Kann ich dir irgend eine Erleichterung verschaffen?"
Anton v. Regensperg wehrte mit einer müden Handbewegung
ab: „Danke! Ich wünsche nichts." Seine Stimme klang
hastender, als er sagte: „Ich fragte bisher nie, weil ich nicht wollte.
Aber gewartet habe ich immer darauf, sooft du zu mir kamst.
Du hast immer geschwiegen; ich verstehe es gut. Du wolltest
mich schonen. Ich weiß es. Aber ich glaube, daß ich nun jede
Wahrheit ertragen kann. Was spricht Ada von mir?"
Ein paar Augenblicke war es still. Heinz v. Wallendorf
versuchte dem Blick Antons auszuweichen.
Anton v. Regensperg setzte sich auf die harte Pritsche, als
fürchtete er, die Füße könnten seinen Körper nicht mehr tragen;
er zwang sich zu einem verzerrten Lächeln. „Ich verstehe! Auch
sie hat den Glauben an mich verloren. Es mußte so kommen;
wäre es anders, hättest du mir davon längst erzählt. — Also
alles zu Ende! Auch das zu Ende! Und ich kann ihr nicht ein-
mal gram sein; es ist mir manchmal so, als hätte ich wirklich für
immer mit der Welt abgeschlossen. Sie wird einen anderen glück-
lich machen. Oder..." Er blickte rasch auf. „Verbirgst du mir
noch mehr? Heinz! Ich bitte dich, verschweige mir nichts!"
„Frage mich nicht! An dich sollst du denken! Du sollst mir einen
Fingerzeig geben, was ich noch tun könnte, um dich zu retten."
„Du weichst mir aus? Also ist es doch so, wie eine Ahnung
mir sagt. Ich beschwöre dich, mir zu sagen, was ist mit Ada
geschehen?"
Die'Gedanken des Verhafteten ließen sich nicht mehr beirren;
er beschäftigte sich in seinen einsamsten Stunden so viel damit,
daß er davon nicht mehr frei werden konnte.
Gequält gab Heinz v. Wallendorf ihm die Antwort: „Arel
hat sich mit Ada verlobt."
Anton schwieg. Das Lächeln in seinem Gesicht schien zu
erstarren. Er nickte, trüb und müde. Die Worte rangen sich
schwerfällig von seinen Lippen, so leise, als redete er mit sich
selbst: „Arel — das Erbe und auch sie! Nun ist alles sein."
„Du sollst daran nicht denken! Andere Fragen sind jetzt
dringender. Du mußt frei werden."
„Frei? — Wozu? . . ."
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Heft 6
wäre sie Arel ausgewichen. Sie fühlte, daß sie eine Weile mit
sich allein sein mußte, um über all das klar zu werden, was
sie empfunden hatte, und was geschehen war.
Arel v. Regensperg rief sie aber in das Zimmer, als er im
Flur ihre Schritte gehört hatte.
Schuldbewußt glitten ihre Blicke über den Boden. Are!
achtete nicht aus sie.
Er begann unvermittelt: „Ich habe dir etwas Besonderes
zu sagen."
Als Ena zu ihm aufblickte, war es ihr, als sähe sie in seinen
Augen ein gleiches Flimmern wie in denen des Fürsten Pasca-
dianu. Auch seine Stimme klang Heller als sonst, als er rief:
„Ja! Das Glück kommt zu uns! Ich sagte es dir schon einmal.
Nun aber weiß ich es gewiß."
„Was ist geschehen?"
„Ich habe mich verlobt."
„Du? Arel! Verlobt? Bist du glücklich?"
„Ja!"
„Wer ist es ...?"
„Ada v. Wallendorf!"
Ein paar Augenblicke schwieg sie; ein besonderer Gedanke
schoß ihr durch den Kopf. Sie erinnerte sich daran, daß Arel
ihr einmal davon erzählt hatte, daß er und Vetter Anton die
gleiche liebten. Daran mußte sie denken, als sie langsam fragte:
„Ist es Ada, die auch Vetter Anton liebte?"
„Ja! Und mit ihr habe ich mich verlobt. Siehst du, daß
nun alles Glück kommt?"
Da fühlte sich Ena v. Regensperg nicht mehr ganz unbefangen
und froh. Das Erbe war von Vetter Anton auf sie gekommen,
und nun war ihm auch noch Ada verloren, die er liebte. Ein
Schatten von Traurigkeit schlich in das Herz des jungen Mädchens.
Ena sah die Augen ihres Bruders im Glück leuchten; sie reichte
ihm die Hand und sagte leise: „Ich wünsche dir, daß dein Glück
dich nie verläßt."
„Es wird mich nicht verlassen. Aber du? Wirst du mir
jetzt nicht bald Nachfolgen?"
„Ich? — Ich bin ja noch so jung!"
So harmlos sie die Worte auch aussprechen wollte, es gelang
ihr nicht; und wenn Arel v. Regensperg nicht nur an sich gedacht
hätte, würde er gesehen haben, wie ihre Wangen brannten, und
wie hilflos ihre Blicke über den Boden irrten. Nun erst dachte
sie ernstlich daran, ob sie ihm nachfolgen werde.
Und während sie sich beide ihrem Glück Hingaben, wie sie dessen
Erfüllung kommen sahen, wurde Vetter Anton immer elender.
Für ihn sollte die Sonne ausgelöscht sein, und sie selbst bauten
aus seinem Unglück ihr Glück auf.
Ena v. Regensperg suchte ihre Bedenken zu beschwichtigen.
Sie ließ jetzt keinen Zweifel mehr über Antons Schuld laut
werden; sie wiederholte, was alle glaubten.
ie Beerdigung deines Vaters fand heute statt. Arel
v. Regensperg hatte veranlaßt, daß dieser Akt feierlich voll-
zogen wurde. Auch deine Base Ena war anwesend. Du weißt
ja, daß die beiden nun das Erbe erhalten."
Anton v. Regensperg machte zu dieser Erklärung Heinz
v. Wallendorfs nur eine abwehrende Handbewegung. „Den
beiden gönne ich den Besitz, der ihnen zugesallen ist. Sie konnten
den Gang der Ereignisse nicht beeinflussen. Nein, ich trage ihnen
nichts nach."
Beide schwiegen.
In den Tagen der Haft, in der Einsamkeit zwischen den
vier Lihlen Wänden, die nichts von all dem enthielten, woran
Anton v. Regensperg bisher gewöhnt gewesen, war sein Gesicht
schmal geworden; die frische, gesunde Farbe war einer fahlen,
gelblichen Tönung gewichen; Bartstoppeln ließen ihn älter er-
scheinen, als er war. Mancher seiner Klubgenossen würde ihn
nicht wiedererkannt haben. Aus trübem Sinnen auswachend,
fragte er leise: „Was spricht man über mich?"
Heinz v. Wallendorf hatte Antons Worte gehört, aber er
antwortete nicht und erzählte weiter: „Die Feier wurde sehr
rasch beendet, weil zu viele Neugierige an das Grab gekommen
waren."
„Ich will das nicht wissen. Was wurde von mir gesprochen?"
Heinz v. Wallendorf konnte der Frage nicht nochmals aus-
weichen, und so harmlos er die Antwort zu geben versuchte,
eine leichte Verlegenheit klang doch aus seinen Worten, als er
erwiderte: „Was leise gesprochen wurde, konnte ich nicht hören,
und danach fragen mochte ich nicht."
„Ich verstehe dich. Du willst mich schonen. Aber ich habe
die Anklagen gegen mich schon so oft gehört, daß ich die Wahr-
heit vertragen kann. Sie halten mich für den Mörder?"
„Du weißt ja, wie sehr alles gegen dich spricht."
„Ja! Für die Menschen bin ich der Mörder meines Vaters."
„Sie glauben es."
„Ich wundere mich nicht mehr darüber, wenn es auch schwer zu
ertragen ist. Wäre ein anderer in der gleichen Lage hier an meiner
Stelle, würde auch ich gewiß an seiner Schuld nicht zweifeln."
„Du vergißt, daß ich nicht daran glaube. Ich kenne dich
zu gut. Vor deinem Leichtsinn und deiner Spielsucht warnte
ich dich oft genug. Aber das weiß ich, daß du einer solchen
Tat nicht fähig bist. Und du darfst gewiß sein, daß ich nicht nur
so spreche, weil ich dein Verteidiger bin."
Anton v. Regensperg reichte ihm die Hand: „Ich danke
dir für deinen Glauben. An meiner Hand soll zwar Blut kleben,
aber ich darf sie dir ohne zu heucheln geben. Ich bin mir keiner
Schuld bewußt. Nur zum Zeichen meines Dankes möchte ich
sie dir reichen."
Heinz v. Wallendorf ergriff die Rechte Antons: „Ich glaube
dir!"
„Ich weiß es, und was noch mehr ist, ich fühle, daß du mir
glaubst. Aber ..."
Er sprach nicht weiter. Aufstöhnend senkte er den Kopf
tief auf die Brust.
„Kann ich dir irgend eine Erleichterung verschaffen?"
Anton v. Regensperg wehrte mit einer müden Handbewegung
ab: „Danke! Ich wünsche nichts." Seine Stimme klang
hastender, als er sagte: „Ich fragte bisher nie, weil ich nicht wollte.
Aber gewartet habe ich immer darauf, sooft du zu mir kamst.
Du hast immer geschwiegen; ich verstehe es gut. Du wolltest
mich schonen. Ich weiß es. Aber ich glaube, daß ich nun jede
Wahrheit ertragen kann. Was spricht Ada von mir?"
Ein paar Augenblicke war es still. Heinz v. Wallendorf
versuchte dem Blick Antons auszuweichen.
Anton v. Regensperg setzte sich auf die harte Pritsche, als
fürchtete er, die Füße könnten seinen Körper nicht mehr tragen;
er zwang sich zu einem verzerrten Lächeln. „Ich verstehe! Auch
sie hat den Glauben an mich verloren. Es mußte so kommen;
wäre es anders, hättest du mir davon längst erzählt. — Also
alles zu Ende! Auch das zu Ende! Und ich kann ihr nicht ein-
mal gram sein; es ist mir manchmal so, als hätte ich wirklich für
immer mit der Welt abgeschlossen. Sie wird einen anderen glück-
lich machen. Oder..." Er blickte rasch auf. „Verbirgst du mir
noch mehr? Heinz! Ich bitte dich, verschweige mir nichts!"
„Frage mich nicht! An dich sollst du denken! Du sollst mir einen
Fingerzeig geben, was ich noch tun könnte, um dich zu retten."
„Du weichst mir aus? Also ist es doch so, wie eine Ahnung
mir sagt. Ich beschwöre dich, mir zu sagen, was ist mit Ada
geschehen?"
Die'Gedanken des Verhafteten ließen sich nicht mehr beirren;
er beschäftigte sich in seinen einsamsten Stunden so viel damit,
daß er davon nicht mehr frei werden konnte.
Gequält gab Heinz v. Wallendorf ihm die Antwort: „Arel
hat sich mit Ada verlobt."
Anton schwieg. Das Lächeln in seinem Gesicht schien zu
erstarren. Er nickte, trüb und müde. Die Worte rangen sich
schwerfällig von seinen Lippen, so leise, als redete er mit sich
selbst: „Arel — das Erbe und auch sie! Nun ist alles sein."
„Du sollst daran nicht denken! Andere Fragen sind jetzt
dringender. Du mußt frei werden."
„Frei? — Wozu? . . ."