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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 6
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Heft 6

DasBuchfürÄlie

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die tatsächlich unverdient waren, zeugte zwar durchaus für seine
verwandtschaftlichen Gefühle und für seine treue Ergebenheit
gegenüber seinem verewigten Bruder, wenn aber der Teufel
dem Menschen solch ein Wort einmal eingeblasen hat, dann be-
darf es schon größter
moralischer Anstren¬
gungen, um es wie¬
der zu vergessen.
Herbert Elben-
bornchatte das böse
Wort vom „Dorn
im Fleisch" vermöge
seiner brüderlichen
Liebe und Treue
zwar, wie gesagt,
reuevoll gestimmt,
und er hatte seine
eigene „Schlechtig¬
keit" sofort wieder
zu vergessen versucht,
wurde aber trotz sei¬
ner Freude über die
Beilegung des pein¬
lichen Auftrittes doch
stutzig, als dieser Aus¬
druck ihm im Laufe
des Vormittags noch
zweimal von anderer
Seite zu Ohren kam.
„Soweit müssen
wir's ja also gut sein
lassen," hatte seine
Schwester zu ihm
gesagt.
„Pilar hat sich
nicht gerade sehr
empfehlend bei uns
eingeführt, wenn sie
aber erklärt, daß sie
ihr Unrecht einsieht,
dann ist die Losung
für uns: Schwamm
drüber! Ihr Be¬
nehmen gegen uns
alle war ja beim"
Frühstück gewiß sehr
nett; man merkte ihr
Bemühen,die Scharte
auszuwetzen, aber
.Aufpassen!° ist wohl
doch für uns die Pa¬
role, denn ich fürchte,
der arme Werner hat
uns mit dem Ver¬
mächtnis seiner Toch¬
ter einen Dorn ins
Fleisch getrieben, des¬
sen Dasein wir noch
oft und schmerzlich
spüren werden."
„Na, na — das
dürfen wir nun doch
Wohl nicht mit so un¬
bezweifelbarer Sicherheit behaupten," widersprach Elbenborn,
der nicht um die Welt eingestanden hätte, daß auch ihm dieser
Gedanke schon gekommen war.
»Ich sagte auch nur, daß ich's fürchte," verteidigte sich Frau
v. Tüßnitz. „Wir werden ja sehen, wie sich alles entwickelt,
und mich würde es freuen, wenn mir die Zukunft unrecht gibt.
Übrigens fand ich es unnötig, daß Mar sofort nach dem ersten

leisen Bimmeln des Friedensglöckleins sofort angefangen hat,
Pilar derartig den Hof zu machen, daß . .
„Aber Ehrengard! Damit hat uns dein lieber Junge glänzend
über das immerhin Peinliche der Lage hinweggebracht," fiel
Elbenborn ein. „Er
legte sich doch auch
in einer Art und
Weise ins Zeug, die
ganz deutlich zeigte,
was er damit wollte."
„Na, schön! Ver-
steht Pilar aber das
richtig zu beurteilen? "
fragte Frau v. Tüß-
nitz. „Ich glaube das
nicht, nach der Art
und Weise zu schlie-
ßen, in der sie mit
ihm kokettiert hat, als
ob überhaupt nichts
vorgefallen wäre.
Paß mal aus — das
Ende vom Lied wird
sein, daß sich das
Mädel womöglich ein-
bildet, ich wünschte
sie zur Schwieger-
tochter!"
„I woher!" rief
Elbenborn mit echt
onkelhafter Seelen-
ruhe. „Mar hat mir
vorweg erklärt, daß
Cousinen dazu da
sind, um sich von
ihren Vettern den
Hofmachen zu lassen,
und hat's ihr auch
gestern gleich ange-
kündigt, kaum daß
sie aus dem Zug ge-
stiegen war. Daß
er's laut ausposaunte
und sie sofort lachend
daraus einging, darin
liegt doch die größte
Sicherheit gegen —
ja, wogegen denn?—
gegen die Gefahr,
daß Ernst daraus
werden könnte. Wäre
das schließlich eine so
große Gefahr? Ich
bin freilich einGe gner
von Ehen zwischen
nahen Verwandten,
und Mar sollte sich
doch auch erst ein
bissel in der Welt
umsehen, ehe er ans
Heiraten denkt, sollte
erst zeigen, daß er
allein schwimmen
kann; anderseits aber habe ich immer bedauert, daß er nicht
mein Erbe ist, und wenn er auf diese Weise mal Majoratsherr
von Elbenborn werden könnte, so wäre mir das eine große Be-
ruhigung für die Zukunft des Besitzes. Ob du und ich Pilar als
Frau für Mar geeignet und wünschenswert halten, steht natürlich
auf einem anderen Blatt; will er sie aber haben und sie ihn, dann
wird er uns beide nicht lange um unsere Meinung fragen oder
 
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