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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0227
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Heft 12

und erklärte dann: „Sein Leiden ist überstanden. Fünfzehn
Jahre würde er doch kaum überlebt haben."
Daraus hatten beide geschwiegen.
Immer wieder belauerte Frau Ada ihren Gatten,' ihr Miß-
trauen war geweckt und noch durch andere Beobachtungen
gestärkt worden. Sie kam nicht mehr zur Ruhe. Oft' stand sie
der Versuchung nahe, alles ihrem Bruder anzuvertrauen; aber
auch die Geschwister standen sich kühl gegenüber. Und Frau
Ada fürchtete, daß er ihr keinen anderen Rat geben würde, als
Aufklärung durch die Gerichte zu suchen oder auf allen Reich-
tum, der aus dem Erbe des Ermordeten kam, zu verzichten.
Das aber war es, was Frau Ada nicht entbehren zu können
glaubte. Nicht um Arels Schuld würde sie einen Kampf geführt
haben, aber um das Erbe, denn Reichtum war für sie Lebens-
bedingung. Nicht Arel sah sie durch jene geheimnisvollen An-
deutungen Melburnes bedroht, sondern den Reichtum, der da-
durch auch ihren Händen entgleiten würde.
Weshalb war Melburne noch immer nicht gekommen?
Wollte er, daß die Angst sie gefügiger machen sollte? Oder suchte
er noch mehr Beweise zu schaffen, um damit stärkeren Zwang
auszuüben? Sooft sie sich auch die Frage gestellt hatte, was sie
dann tun würde — zu einer Antwort war sie nie gelangt. Mel-
burne wollte, daß sie sich seinem Willen beugte, und nannte
es Liebe, was er begehrte. Wenn sie ihm gefügig wäre, würde
er dann auch schweigen? Dann blieb der Reichtum für sie ge-
rettet. Daß sie Arel damit vor einer Anklage bewahrte, daran
dachte sie nicht. Und wenn sie Melburne wieder forttreiben
würde, dann nrußte Schmach über sie kommen, und auch der
Reichtum würde verloren sein. So verstand sie den Sinn der
Drohung. Zuletzt suchte Ada sich damit zu beruhigen, daß Mel-
burne doch nichts wußte. Vielleicht kam er auch deshalb nicht
mehr. Oder hatte er erkannt, daß sie nicht zu erschrecken war?
Und je mehr Zeit verstrich, daß Melburne ferne blieb, um so
mehr glaubte sie an ihre eigenen Gedanken. Schließlich blieb
sie überzeugt, daß er nicht mehr kommen werde.
Gerade in der Zeit, da sie sich am sichersten wähnte, tauchte
Melburne auf.
Er trat ungemeldet in ihr Zimmer, nachdem sie auf sein
oorhergegangenes Pochen geantwortet hatte.
Als Ada ihm so unerwartet gegenüberstand, verlor sie für
ein paar Augenblicke die Ruhe; er konnte dies erkennen, was
nicht geschehen wäre, wenn sie vorbereitet gewesen wäre. Uber
sein Gesicht huschte ein Lächeln, und seine Augen glitten prüfend
über ihre Gestalt.
Dann fragte er, mit dem verletzenden Spotte, den er sie
zuletzt hatte fühlen lassen: „Ich komme doch nicht ungelegen?
Ich ließ Ihnen doch lange Zeit zum Bedenken."
Frau Ada suchte ihre Ruhe wiederzugewinnen und sagte:
„Sie wagten sich nochmals hierher?"
„Warum sollte ich nicht kommen?"
„Sie wissen doch wohl, daß ich Sie der Polizei übergeben
kann!"
Mit raschem Entschlüsse hatte Ada selbst zur Anklage gegriffen,
um ihm zuvorzukommen, und um ihn einzuschüchtern. Aber
sie unterschätzte diesen Gegner.
Das fatale Lächeln wich nicht von seinem Gesicht, als cr
antwortete: „Sie haben sich zum Kamps entschlossen. Es ist
gut so."
Melburne setzte sich auf einen Stuhl und schlug das rechte
Bein über das linke Knie. Er schien zum Warten bereit.
„Was wollen Sie hier noch?" fragte Frau Ada.
„Warten, bis die Polizei kommt. Ich brauche mich dann
nicht erst danach zu bemühen und kann gleich hier meine An-
klage vorbringen."
„Was soll das heißen?"
„Das werde ich dem Polizeimann sagen. Wollen Sie jetzt
nicht ausführen, wozu Sie sich entschlossen haben, und die Polizei
rufen?"
Frau Ada fühlte, daß er stärker war. So wiederholte sie
nur: „Ich frage nochmals, was Sie wollen?"

„Sie wissen es."
„Ich weiß nur, daß Sie mich mit Drohungen zu quälen
versuchen."
„Das war nur die Folge, die ich selbst scheute."
„Ich will Klarheit."
„Gut! Sie haben in mir eine Leidenschaft geweckt, die sich
nicht mehr beschwichtigen läßt. Ich liebe Sie, Frau Ada! Ich
will Ihre Schönheit besitzen ..
„Sie beschimpfen mich!"
„Nein! Sie erweckten diesen Wunsch in mir. Und nun
müssen Sie diese Glut, die keine Besinnung mehr kennen will,
hinnehmen."
Melburne erhob sich. „Sie ließen mich empfinden, wie sehr
Ihre Schönheit zu begehren ist." Seine Augen brannten, und
seine Hände bewegten sich, als wollte er sie umfassen. „Sie
werden nicht wagen, mich zurückzuweisen."
„Ich werde es tun."
Frau Ada, in der mit einem Male heftigster Trotz erwachte,
der stärker war als alle Überlegung, straffte sich. „Sie werden
keinen Schritt weiter wagen!"
Ihre Augen begegneten den seinen.
„Dann wird der Name Regensperg in den Staub gezogen;
der Reichtum derer v. Regensperg gehört nicht mehr Ihnen."
„Diese törichten Drohungen sind wirkungslos. Ich verstehe
nichts von diesem Geschwätz."
„Sie bemühen sich vergebens, die Ruhe zu bewahren. Haben
Sie Arel v. Regensperg gefragt, wo er in jener Nacht ge-
wesen ist?"
„Wozu sollte ich ihn fragen? Kann er nicht hingehen, wo
er will?"
„Gewiß! Aber daß er in der Nacht, in der Baron Siegmund
v. Regensperg ermordet wurde, in der Wohnung des alten Herrn
gewesen ist — daß er dort in jener verhängnisvollen Mitternacht-
stunde gewesen ist und darüber geschwiegen hat und seinen
Vetter Anton v. Regensperg verurteilen ließ, das zu erfahren,
wird für den Staatsanwalt wertvoll sein. Zumal ja durch diese
Mordtat Arel v. Regensperg das ganze Vermögen des Er-
mordeten gewann."
Immer hastender hatte Melburne gesprochen; zuletzt über-
stürzten sich seine Worte. Nun, als die Anklage so bestimmt aus-
gesprochen wurde, war Frau Ada doch zurückgewichen.
Melburne folgte ihr nach; ganz nahe spürte sie seinen Atem,
als er erregt hervorstieß: „Daß er an Bonifaz jene Summe
bezahlte, weil dieser davon gewußt und ihn nicht verraten hatte,
das ist doch nicht weniger wissenswert. Wenn ich das alles sagen
werde, verliert Arel v. Regensperg, und Sie mit ihm, das Erbe.
Er wird als Mörder angeklagt, und auf Ihnen liegt dann auch
noch diese Schmach. — Antworten Sie l Soll ich vernichten oder
schweigen?"
Frau Ma ließ die Rechte über ihre Stirne gleiten, die von
kalten Schweißtropfen feucht war. Sie hatte Arel v. Regensperg
nicht geliebt, wie sie auch Anton nicht geliebt hatte. Sie konnte
nicht lieben; sie hatte nur berechnet, sie hatte nur klug sein
wollen. Und nun sollte sie doch verloren haben? Was sollte
sie beginnen? Nicht Sorge für den Gatten kämpfte in ihr,
nur die Eier nach dem Reichtum, den sie würde opfern müssen.
Und nun fand ihre Klugheit doch keinen Weg mehr.
Melburne begann: „Ich schweige! Aber nur um den
Preis, den Sie kennen, Frau Ada! Sie spielten nicht umsonst
mit mir."
Seine Hände griffen nach ihr; er faßte nach der schlanken
Gestalt und zog sie an sich. Seine Augen beugten sich über
die ihren. Da wuchs der Widerwille. Wie die Liebe ihr fremd
war, so lebte um so stärker der Stolz in ihr, der sich gegen diesen
Mißbrauch roher Gewalt auflehnte. Das Bewußtsein ihrer
Schönheit ließ sie diese furchtbare Demütigung noch stärker
empfinden als die Furcht vor drohender Gefahr. Da seine
begehrlichen Lippen eben die ihren berühren wollten, riß sie
sich los; sie fühlte nur die ihr angetane Schmach. Mit geballter
Faust schlug sie ihn ins Gesicht.
 
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