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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0411
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DasBuchsüvAlle

Heft 21


Nach e.ner Originalzeichnung von Z. Madlener.
Roserbauer rief überrascht: „Sie komrNen wie gerufen, Herr
Saritatsrat, ich wollte Sie eben in ärztlicher Eigenschaft bei
Freund Elbenborn eir schmuggeln."
Er berichtete dem A,zt kurz, was sich zugetragen und stieg
dann noch einmal mit hinauf, um den Sanitätsrat bei seinem
Freunde einzuführen.
„Aber lieber Eibenborn, was machen Sie für Geschichten?"
begrützre Koppel den Schlotzherrn, der sich von seinem Stuhle
erhob, aber sofort veranlasst wurde, sich wieder zu setzen. „Da
schinde ich mal ein paar freie Stunden heraus, die ich mich freue
mit Ihnen verplaudern zu können, und finde Sie als Kranken
vor — ein Zustand, der mir bei Ihnen ganz neu ist. Na,
schlimm kann es nicht sein, was?"
Er fand den Zustand nicht schlimm, fragte dies und jenes,
wobei er erfuhr, datz eine Aufregung in „Familienangelegen-
heiten" stattgefunden, und gab dann sein Urteil ab. wonach
Aufregung in Verbindung mit der Hitze, die sich inzwischen zu
grotzer Schwüle gesteigert, sowie eine kleine Magenverstimmung,
die sich in einem leichten GZühl des Ekels kundgab, die Ohn-
macht verursacht habe, der keine Bedeutung zuzumessen sei.
Ruhe, leichte Nahrung, Sodawasser, dem man ein paar Tropfen
Salzsäure aus der Hausapotheke hinzufügen könnte — war das
einzige, was er verordnete; als Rosenbauer nochmals an das
G.fühl der „erstarrten Glieder" erinnerte, erklärte der Sanitäts-
rat das als unwesentliche Begleiterscheinung.
Elbenborn wollte nichts davon wissen, daß der Sanitätsrat
sich wieder entferne, und beauftragte Rosenbauer mit der Unter-
haltung des Gastes, der zum Abendessen dableiben mutzte,
wozu er sich auch nicht lange bitten lietz, schon weil er sehr neu-
gierig war, die „Nichte aus Florida" kennenzulernen. Diese
Fremde hatte der Kreisstadt schon längst willkommenen Gespräch-
stoff geliefert, namentlich seit Frau Kampmann sie ihren Be-
kannten recht mitzgünstig geschildert hatte als „ein hätzliches
schwarzes Ding mit unangenehmen, teetassengrotzen Augen, das
weitze Trauerkleider trug und den Leuten, die zum Beileidsbesuch
kamen, spanische, wilde Lieder zur Gitarre vorsang — gerade

Abendfrieden.
wie c-ine Sängerin auf dem llberbrettel". Der Sanitätsrat
kannte Mutter Kampmann und wutzte, datz sie neben ihrer Lulu
keine fremden Götter duldete: deshalb wü schte er, Fräulein
v. Elbenborn zu sehen, die sehr hüblch sein mutzte, wenn die
gefürchtete Zunge des Kreises so abfällig über sie urteilte.
Nachdem Rosenbauer den ihm ar.vertrauten Gast in den
Salon geführt und gebeten hatte, dort auf ihn zu warten, suchte
er Fräulein Zingst auf, unterrichtete die erschrockene treue Seele
von dem Geschehenen, beauftragte sie mit der Fürsorge für ihren
Herrn und begab sich dann zu dem Sanitätsrat, dem der auf-
getragene „B.rnkastler Doktor" so köstlich mundete, datz es ein
Vergnügen zu sehen war. Natürlich — denn was bliebe in
einer kleinen Kreisstadt verborgen und unknsprochen — hatte
Doktor Köppel gehört, datz Mar Tütznitz mit seiner Mutter
an die See gegangen war, und zeigte sich etwas verdrietzlich,
datz er nicht zu Rat gezogen worden war. Rosenbauer stellte
ihm die Sache m.hr als Vergnügungsreise, denn als Kur vor,
und weil der Bernkastier so wunderbar schmeckte und sich Pilar
auf diesem Punkt gerade zur Abendtafel einfand, wurde die
Entschuldigung anerkannt und die kleine Empfindlichkeit über
dem Zauber der schwarzen Augen der Nichte aus Florida ver-
gessen, denn sie verschmähte es durchaus nicht, dem galanten
und feinen, wenn auch älteren Herrn gründlich damit zuzusetzen,
worüber sich Rosenbauer so ergrimmte, datz er am liebsten grob
geworden wäre.
„Gut, datz Elbenborn dieses dumme Getue nicht mitanzu-
sehen braucht," brummte er inwendig. „Vor ihrem Don Ramo
hat sie sich zusammengenommen, vor dem scheint sie Appell zu
haben, aber wenn der nicht dabei ist, wird sofort mit den Augen
geklappert, gleich, gegen wen. Nur ich bin verschont geblieben,
trotzdem sie ja auch von miv glaubt, datz ich verliebt in sie bin.
Hat sich was!"
Datz der von den Reizen der „Floridanerin" und dem Bern-
kastler Doktor bezauberte Sanitätsrat Pilar empfahl, ihren Onkel
ja recht gut zu pflegen, „was mit solch reizenden Patschhändchen
die beste Medizin für den Patienten sein würde," versetzte
 
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