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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 22
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0416
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Bergsegen.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)
isela versuchte zu gehen, als übte die gebietende Stimme
Georgs einen unwiderstehlichen Zwang aus. Zum Glück
waren sie nun in unmittelbarer Nähe von Engelberg,
und plötzlich tauchte aus dem Dunkel vor ihnen eine hohe Ge-
stalt auf.
„Georg, um Gottes willen, hast du Gisela nicht gesehen?"
fragte Gerhards angstvolle Stimme. „Sie ist verschwunden.
Wir suchen schon —"
Er verstummte plötzlich, denn er sah im Scheine der vom
Stern herüberschimmern¬
den Laterne, daß Georg
die Gesuchte in den Armen
hielt. Dort drüben fanden
sie das ganze Haus in Auf¬
regung. Der Wirt und
der Diener suchten die Ent¬
flohene in der Richtung
des Dorfes hin, Gerhard
hatte den Weg nach dem
See eingeschlagen; weit
konnte sie nach seiner Mei¬
nung nicht gelangt sein,
denn man hatte sie kaum
zehn Minuten lang allein
gelassen. In der Tür stan-
den in Todesangst der Kon¬
sul und neben ihm die
Wirtin und die Zimmer¬
frau, die inzwischen alle
Ecken und Winkel des Hau-
ses durchsucht hatten, in
der gleichen Angst, und
mitten in ihr Reden und
Fragen hinein klang die
ruhige, feste Stimme des
Arztes.
„Wozu all die Auf-
regung? Die Gräfin wollte
nur einen Abendspazier¬
gang machen und hat ihre
Kräfte dabei überschätzt.
Zum Glück begegnete ich
ihr und konnte sie zurück-
geleiten. Geben Sie Raum,
ich trage sie nach ihrem
Zimmer hinauf."
Damit schloß er seine
Arme noch fester um sie
und trug sie die Treppe
empor. Bornholm und
Gerhard folgten, sie sahen
wohl, daß es nur ein Vor¬
wand war, daß da draußen
irgend etwas geschehen sein
mußte; sie wagten aber
XXII. wig

noch keine Frage. Gisela hing ja wie leblos in den Armen des
Doktors. Erst als er sie in ihrem Schlafzimmer niedergleiten
ließ, schien ihr teilweise die Besinnung zurückzukehren. Sie
erkannte ihren Vater, und sich losmachend flüchtete sie sofort
zu ihm wie eine Verfolgte.
„Hilf mir, Papa!" flehte sie, sich an ihn klammernd. „Ich
habe Angst vor dem Manne, vor seinen Augen, seiner Stimme.
Hilf mir vor ihm!"
„Ruhig, ruhig, mein Kind." Der Konsul zog sie fest an sich.
„Du bist bei deinem Vater. Herr Doktor, Sie sehen es, meine
Tochter scheut Ihre Nähe; wäre es nicht besser, Sie ließen uns
jetzt allein —?"
„Nein!" unterbrach ihn Georg mit entschiedener Bestimmt-
heit. „Ich bin hier als Arzt unbedingt nötig, das kann ich
allein beurteilen. Gerhard,
du schickst sofort jemand
hinüber nach unserem Hause,
Ilse soll kommen, augen-
blicklich, ich brauche sie.
Herr Konsul, Sie werden
im Nebenzimmer warten,
bis ich Sie rufe. Gräfin,
Sie lassen sich jetzt von
Ihrer Kammerfrau ent-
kleiden und niederlegen.
Lassen Sie Ihren Vater
los!"
Es war derselbe befeh-
lende Ton, mit dem er sie
vorhin gezwungen hatte,
ihm zu folgen, und er tat
auch jetzt seine Wirkung.
Gisela ließ es geschehen,
daß er sie aus den Armen
des Vaters löste, den Ger-
hard jetzt ohne weiteres
beim Arm ergriff und in
das anstoßende Zimmer
zog, dessen Tür er schloß.
Jetzt aber brach Born-
holm los.
„Was soll das heißen!
Was ist das für ein Ton,
den dieser Mann sich er-
laubt, gegen mich, gegen
mein armes, krankes Kind,
das der höchsten Schonung
bedarf! Er wird sie töten
damit. Laß mich los, Ger-
hard, ich will zu ihr!"
Aber Gerhard hielt ihn
energisch fest.
„Ruhig, Onkel, du bleibst!
Georg weiß immer, was
er tut. Was in aller Welt
mag da draußen geschehen
sein? Vor allem begreife
ich nicht, was die Ilse hier
tun soll, aber wir müssen
uns fügen. — Florian!"



Pholographiereriag der Photographischen Union In München.
Aach einem Gemälde von Paul Wagner. Märchen.
 
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