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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0441
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DasBuchsüvAlle


ihres Lebens anderen gebracht. Nicht die goldene Krone hatte
sie geschmückt, aber einen Kranz von weihen Rosen hatten ihr
die Schwestern über den dunklen Schleier ums Haupt gelech,
als man sie einsargte mit ihrem zertrümmerten Glück und ihrem
großen Leid. Und Heinz Wigbald hob die Hände zum Sternen-
himmel empor.
Die ganze Nacht stand er am Fenster, und als der Mond
verblaßte und das Frührot durch die grauen Wolken brach, da
hatte er die Empfindung, als offenbare sich ihm in den immer
tiefer erglühenden Wellen des Chiemsees in nie geahnter Pracht
der heilige Gral, von dem Wolfram von Eschenbach so wunder-
sam erzählt.
Millionen Strahlen der Liebe sandte er hinaus aus seinem
Wunderkräfte bergenden Kelch, hin in die schimmernde Welt.

er stundenlang mit Freda am Lager seines Kindes. Sie horchten
mit gleicher Angst auf jeden Atemzug, und beide zitterten um
das junge Leben.
Endlich war die Gewalt des Fiebers gebrochen. Mechthilds
kräftige Natur trug den Sieg davon, aber die Genesende schien
das Lachen verlernt zu haben. Besorgt sprach Heinz mit
Freda über diese Wandlung. Die Baronin tröstete mit ihrer
lieben Stimme, doch auch sie hatte das Lachen, das sie erst im
Chiemgau wiederge unden, vergessen.
Endlich konnte Mechthild ihr Lager verlassen, und Heinz mußte
schweren Herzens an die Abreise denken. Seine Vorlesungen
begannen in München. Schon zu lange hatte er hier verweilt.
Bisher war noch kein Wort über die künftige Lebensgestal-
tung Zwischen Vater und Tochter gefallen. Freda vermied es

Nach heißem Ritt.


oktor König hatte Frauenwörth verlassen, und Sieglinde
Ebermeyer war ihm mit den jungen Malern gefolgt. Es
war still geworden auf dem Wörth. Keine Fiedel klang mehr
unter den Linden, und niemand rührte sich zum Tanz. Es
herbstete schon.
Auch die Klosterfrauen waren nicht zu sehen; nur selten wehte
flüchtig ein dunkler Schleier auf, und die frommen Lieder der
jüngern Klosterschülerinnen hallten ab und zu wie Glockenklang
über den stillen Wörth.
Mechthilds Zustand hatte sich wieder verschlimmert, nachdem
Heinz die Abschiedsgrüße von Doktor König gebracht. Kein
Wort hatte sie erwidert, nur still das ganz schmal gewordene
Gesichtchen zur Wand gekehrt. Am Abend lag sie wieder in
hohem Fieber, und Freda und die Burgei hatten ihre Not mit
der Fiebernden, die so wild phantasierte und immer in den
tiefen See wollte, um zu schlafen.
Der Professor litt unsagbar während dieser Zeit. Oft saß
xxiu uns.

jetzt, seitdem Mechthild wieder auf war, mehr als nötig mit
Heinz zusammenzukommen. Er empfand es schmerzlich. In
höchstes Erstaunen indessen geriet er, als er eines Morgens am
Gestade die Baronin traf, die gerade dabei stand, wie ihr Gepäck
in ein Boot geladen wurde.
„Sie wollen fort, gnädigste Frau?" fragte er betroffen.
Sie lächelte matt. „Mechthild braucht mich nicht mehr, Herr
Professor, und es wird Zeit, daß ich wieder drüben nach Herren-
wörth in meine Einsamkeit komme."
„Sie halten also daran fest, den Winter über auf Herren-
chiemsee zu bleiben?" fragte er. „Zieht Sie denn nichts nach
München?"
„Nichts," gab sie zurück.
Flüchtige Röte stieg in das schmal gewordene Gesicht des
Professors. Fast feindselig sah er auf die blonde Frau. „Und
doch stehen Sie, wie ich zufällig erfuhr, in so eifrigem Brief-
wechsel mit Doktor König," sagte er.
 
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