Heft 24
DasBuchsüvAlle
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nichts," sagte er erregt. „Wenn Donna Pilar mittellos ankam,
dann mutz sie unterwegs ihr Reisegeld und ihr Gepäck verloren
haben. Von Tallahassee ist sie mit allem, auch mit Reisegeld,
reichlich versehen abgereist. Nach dem Tode ihres Vaters fand
sich als ihr Erbe eine nennenswerte, wenn auch nicht sehr große
Summe vor — auf Heller und Pfennig genau fünfzehntausend
Dollar; dann ergab der Verkauf des Hauses und der Möbel
noch fast ebensoviel, und endlich besitzt Ihre Nichte die Juwelen
ihrer Mutter, die, wenn sie auch nicht gerade fürstlich sind,
immerhin doch eine hübsche Mitgift in totem Kapital für die
junge Dame bedeuten. Werner hatte mir die Juwelen bis zur
Volljährigkeit seiner Tochter in Verwahrung gegeben; ich habe
sie sowohl wie das Geld — mit Ausnahme der für die Reise
nötigen Summe — an die Reichsbank in Berlin gesandt, da
es mir nicht angezeigt schien, der jungen Dame derartige Werte
mit auf die Reise zu geben; die Juwelen und das Geld sind
der genannten Bank auf Ihren Namen, Herr Baron, über-
mittelt worden, weil Sie der Vormund sind, und damit bei der
Erhebung keine Schwierigkeiten entstehen konnten. Ich besitze
die Quittung über die Ihrer Nichte vorausgereiste Sendung,
über deren Bestimmungsort und Art der Empfangnahme ich sie
mündlich genau unterrichtet habe. Sie kann doch unmöglich ver-
gessen haben, Ihnen diese wichtige Mitteilung zu machen!"
„Ob sie es vergessen hat, was nicht anzunehmen ist, kann ich
nicht wissen, gesagt hat sie mir bis zur Stunde kein Wort davon,"
erwiderte Elbenborn. «Fortsetzung folgt.»
Zu unseren Bildern
1- Vie Ermordung Marats (S. 468). — Das Blutmeer, das sie schufen,
verschlang auch die drei Führer der französischen Revolution; keiner von
ihnen starb eines natürlichen Todes. Marat erlag als erster dem Dolche
der glühenden Patriotin Charlotte Corday, und Danton und Robes-
pierre endeten bald darauf unter dem Fallbeile, dem sie so viele Tausende
ausgeliefert hatten. Ihre aus wahnwitziger, entmenschter Leidenschaft,
aus grenzenloser Eitelkeit und ungezügelter Roheit geborenen Taten
haben nichts von der „strahlenden Morgenröte der Revolution", und
abgrundtief ist von einem solchen Bilde die Gestalt eines Marat geschieden.
Die unbefangene Geschichtschreibung zeigt ihn in der hüllenlosen Nacktheit
so großer menschlicher Verworfenheit und so offenkundigen Wahnsinns,
daß man über die Verblendung seiner Zeitgenossen, die seinen Irrsinn
nicht erkannten und ihn sich im Blutrausch austoben liehen, sich erschreckt,
betäubt an die Stirn fassen muh. „Das größte Ungeheuer ist Marat.
Sein Geisteszustand grenzt an Wahnsinn; sein Wesen zeigt die Haupt-
züge des Wahnsinns: die wütende Überspanntheit, die unablässige Über-
reiztheit, die fiebrische Tätigkeit, die unversiegbare Schreibseligkeit, die
Unwillkürlichkeit des Denkens und den Starrkrampf des Willens unter
dem Zwang und dem Druck einer firen Idee," lautet das Urteil des
berühmten französischen Geschichtschreibers Taine über Marat, der eine
so verhängnisvolle Rolle in der französischen Revolution spielte, der den
wahnsinnigen, dann immer weiterfressenden Blutrausch erst entfacht hatte
und der nicht einmal ein geborener Franzose war. Als Sohn des italieni-
schen Arztes Giovanni Mara aus Cagliari, der nach der Schweiz aus-
wanderte, wurde Jean Paul Marat am 24. Mai 1744 in Boudry im
Kanton NeuchLtel geboren. Von feiten der Mutter, die eine Megäre
bösester Art war, übel belastet, trat er als körperliche und geistige Spott-
geburt ins Leben; sein etwas verwachsener Körper mit dem unförmigen
großen Kopf und roten Triefaugen stand auf kurzen, schiefen Beinen.
Er studierte Medizin, zog dreißig Jahre lang nomadisierend durch Europa,
talentlos, urteilslos und von mittelmässigem Geiste, aber zerfressen von
dem ungeheuerlichsten Ehrgeiz und maßloser Selbstbewunderung. „Von
Kindheit auf verzehrte mich die Ruhmsucht; diese Leidenschaft wechselte
zu verschiedenen Zeiten meines Lebens ihren Gegenstand, aber ich war
nie einen Augenblick von ihr befreit," schrieb er selbst. Er war überzeugt,
die größten philosophischen, technischen, medizinischen Entdeckungen ge-
macht zu haben, die, auf unverstandenen, bunt zusammengewürfelten
Lehren und Gedanken anderer beruhend, die klarsten und anerkanntesten
Grundsätze der Wissenschaft auf den Kopf stellten. Alles versteht er; „die
Kriegskunst ist mir nicht fremd". Es ist der typische Größenwahn, aus dem
sich folgerichtig auch bei ihm der Verfolgungswahn einstellte, als seine
vermeintlichen Eeistesgroßtaten keine Anerkennung fanden. Wie es
typisch für gewisse Jrrsinnsfälle ist, schließt sich ihm die Mordsucht an.
Er ruft das Volk mit fanatischen Worten zur Ermordung aller politischen
Gegner auf. Im Dezember 1790 verlangt er 20 000 Köpfe, 1792 wünscht
er rund 270 000 Hinrichtungen. Seine Wahnsinnsraserei ist auf das
Höchste gestiegen; er leidet an Schlaflosigkeit, ständig trägt er ein mit Essig
getränktes Tuch um den Kopf; von einer juckenden Hautkrankheit ge-
peinigt, bringt er den größten Teil des Tages in der Badewanne sitzend
zu. Hier empfängt er seine politischen Freunde und Spitzel, ob Mann,
ob Weib, hier schreibt er seine blutrünstigsten Ausrufe für den ,,^mi
äu poupls", den „Volksfreund", hier entstand die fürchterliche summarische
Forderung nach 270 000 Hinrichtungen, die in einem fünfundzwanzig-
jährigen edelgesinnten, schwärmerisch veranlagten Mädchen aus guter
Familie in der fernen Normandie den Plan reifen ließ, Frankreich von
dieser „blutdürstigen Bestie" zu befreien. Charlotte Corday, aus adligem
Geschlecht, von dem großen Dichter Corneille abstammend, war eine
gute Republikanerin, wie sie sich selbst nannte, und sie wollte Ruhe für
das gemarterte Land. „Welch trauriges Volk, um eine Republik zu be-
gründen ! Man muß doch wenigstens den Frieden begründen, dann wird
sich schon eine Regierungsform finden, wie es die Umstände mit sich
bringen," so schreibt sie nach der Ermordung Marats aus dem Gefängnis.
Sie überschätzte die Tragweite ihrer aufopfernden Tat; die Geschehnisse
wurden dadurch nicht in ein ruhigeres Geleise gedrängt, wie sie es wollte.
Am Abend des 18. Juli 1793 gelang es ihr, eine Unterredung mit Marat
in seiner Wohnung in Paris herbeizuführen. Er empfing sie, wie stets
in der Badewanne sitzend, und erhielt den tödlichen Stoß, als er ihr,
die sich als seine Anhängerin ausgab, beruhigend versicherte, er werde
die von ihr gebrandmarkten Personen guillotinieren lassen. Von der
erregten Menge mißhandelt, später ins Gefängnis geschleppt und zum
Tode verurteilt, ging das junge Mädchen seinen letzter: Gang mit solcher
Seelenstärke und Würde, daß das Volk in Murren ausbrach, als der
Henker das abgeschlagene schöne Haupt mit der Hand schlug. Ihre an die
Selbstaufopferungen antiker Frauen gemahnende Tat ist in allen Sprachen
der Welt gefeiert worden; Klopstock und Jean Paul verherrlichten sie, und
Goethe nannte sie eine „Heroine". Am Vorabend ihrer Hinrichtung schrieb
sie an ihren geliebten Vater die tröstenden Worte Thomas Corneilles
(des Bruders des großen Corneille): „Verbrechen nur, nicht das Schafott
macht Schande", und niemand wird ihr die Berechtigung aberkennen,
diese Wahrheit auch für ihre Tat zu beanspruchen.
s Joas schießt den Pfeil der Erlösung (S. 476). — Das Leben der
Menschen zur biblischen Zeit war durchaus vom Glauben an übernatür-
liche Einwirkungen, an Zeichen und Wunder erfüllt. Deshalb mußten
auch Zauberkünste aller Art eine höchst bedeutsame Rolle spielen. Auf
Jahwes Geheiß standen Sonne und Mond in ihrem Lauf still, um für
Israel die günstige Entscheidung einer Schlacht zu ermöglichen. Wo nun
einmal der Glaube herrscht, daß Naturgesetze durch den Willen Gottes
aufgehoben werden können, da muß notwendig die menschliche Auffassung
entstehen, daß man Ausnahmen von der Regel von ihm erbitten oder
auch selbst durch übernatürliche Beeinflussung, durch „Zauber", herbei-
führen könne. Moses verwandelte vor dem Pharao, der die Juden nicht
aus Ägypten ziehen lassen wollte, Stäbe in Schlangen, er zauberte Heu-
schrecken herbei, und auf sein Wort teilten sich die Wasser des Roten
Meeres, so daß die Kinder Israels trockenen Fußes entfliehen konnten;
der sie verfolgende Agypterkönig kam mit den Seinen in den Fluten um.
Im zweiten Buch der Könige wird erzählt, daß Jahwes Zorn wider
das sündige Israel entbrannte; er gab die Abtrünnigen in die Hände der
Syrer, die die Juden mißhandelten und umbrachten. Da ging König
Joas zu dem Propheten Elisa und klagte und weinte vor ihm über das
traurige Schicksal der Juden, und der Prophet riet dem König zu einen:
Zauber. Joas sollte einen „Pfeil des Heils und der Erlösung" nach Osten,
in der Richtung nach dem Lande der Syrer, abschießen, um symbolisch die
Feinde zu schlagen. Dann sollte Joas auf Geheiß Elisas die „Erde
schlagen", auf daß die Syrer aufgerieben würden im Kampfe. Und Joas
schlug dreimal die Erde. Da ward der Prophet zornig und sagte zum
Könige: „Hättest du fünf- oder sechsmal geschlagen, so würdest du die
Syrer geschlagen haben, bis sie aufgerieben wären; nun aber wirst du sie
dreimal schlagen." Erst nach dem Tode Elisas und Joas' wurden die
Kinder Israels völlig befreit vom Joche der Syrer. Was hier vorging,
war eine Zauberhandlung, wie sie öfters in biblischen Berichten gemeldet
werden. Solche übernatürliche Wirkungen herbeizurufen, lag völlig im
Sinne der Menschen einer Zeit, die eine andere Auffassung von Natur-
vorgängen besaßen, deren Gesetzmäßigkeit erst spätere Geschlechter auf
Grund tieferer Einsicht in die Natur bezweifelten und ablehnten.
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nichts," sagte er erregt. „Wenn Donna Pilar mittellos ankam,
dann mutz sie unterwegs ihr Reisegeld und ihr Gepäck verloren
haben. Von Tallahassee ist sie mit allem, auch mit Reisegeld,
reichlich versehen abgereist. Nach dem Tode ihres Vaters fand
sich als ihr Erbe eine nennenswerte, wenn auch nicht sehr große
Summe vor — auf Heller und Pfennig genau fünfzehntausend
Dollar; dann ergab der Verkauf des Hauses und der Möbel
noch fast ebensoviel, und endlich besitzt Ihre Nichte die Juwelen
ihrer Mutter, die, wenn sie auch nicht gerade fürstlich sind,
immerhin doch eine hübsche Mitgift in totem Kapital für die
junge Dame bedeuten. Werner hatte mir die Juwelen bis zur
Volljährigkeit seiner Tochter in Verwahrung gegeben; ich habe
sie sowohl wie das Geld — mit Ausnahme der für die Reise
nötigen Summe — an die Reichsbank in Berlin gesandt, da
es mir nicht angezeigt schien, der jungen Dame derartige Werte
mit auf die Reise zu geben; die Juwelen und das Geld sind
der genannten Bank auf Ihren Namen, Herr Baron, über-
mittelt worden, weil Sie der Vormund sind, und damit bei der
Erhebung keine Schwierigkeiten entstehen konnten. Ich besitze
die Quittung über die Ihrer Nichte vorausgereiste Sendung,
über deren Bestimmungsort und Art der Empfangnahme ich sie
mündlich genau unterrichtet habe. Sie kann doch unmöglich ver-
gessen haben, Ihnen diese wichtige Mitteilung zu machen!"
„Ob sie es vergessen hat, was nicht anzunehmen ist, kann ich
nicht wissen, gesagt hat sie mir bis zur Stunde kein Wort davon,"
erwiderte Elbenborn. «Fortsetzung folgt.»
Zu unseren Bildern
1- Vie Ermordung Marats (S. 468). — Das Blutmeer, das sie schufen,
verschlang auch die drei Führer der französischen Revolution; keiner von
ihnen starb eines natürlichen Todes. Marat erlag als erster dem Dolche
der glühenden Patriotin Charlotte Corday, und Danton und Robes-
pierre endeten bald darauf unter dem Fallbeile, dem sie so viele Tausende
ausgeliefert hatten. Ihre aus wahnwitziger, entmenschter Leidenschaft,
aus grenzenloser Eitelkeit und ungezügelter Roheit geborenen Taten
haben nichts von der „strahlenden Morgenröte der Revolution", und
abgrundtief ist von einem solchen Bilde die Gestalt eines Marat geschieden.
Die unbefangene Geschichtschreibung zeigt ihn in der hüllenlosen Nacktheit
so großer menschlicher Verworfenheit und so offenkundigen Wahnsinns,
daß man über die Verblendung seiner Zeitgenossen, die seinen Irrsinn
nicht erkannten und ihn sich im Blutrausch austoben liehen, sich erschreckt,
betäubt an die Stirn fassen muh. „Das größte Ungeheuer ist Marat.
Sein Geisteszustand grenzt an Wahnsinn; sein Wesen zeigt die Haupt-
züge des Wahnsinns: die wütende Überspanntheit, die unablässige Über-
reiztheit, die fiebrische Tätigkeit, die unversiegbare Schreibseligkeit, die
Unwillkürlichkeit des Denkens und den Starrkrampf des Willens unter
dem Zwang und dem Druck einer firen Idee," lautet das Urteil des
berühmten französischen Geschichtschreibers Taine über Marat, der eine
so verhängnisvolle Rolle in der französischen Revolution spielte, der den
wahnsinnigen, dann immer weiterfressenden Blutrausch erst entfacht hatte
und der nicht einmal ein geborener Franzose war. Als Sohn des italieni-
schen Arztes Giovanni Mara aus Cagliari, der nach der Schweiz aus-
wanderte, wurde Jean Paul Marat am 24. Mai 1744 in Boudry im
Kanton NeuchLtel geboren. Von feiten der Mutter, die eine Megäre
bösester Art war, übel belastet, trat er als körperliche und geistige Spott-
geburt ins Leben; sein etwas verwachsener Körper mit dem unförmigen
großen Kopf und roten Triefaugen stand auf kurzen, schiefen Beinen.
Er studierte Medizin, zog dreißig Jahre lang nomadisierend durch Europa,
talentlos, urteilslos und von mittelmässigem Geiste, aber zerfressen von
dem ungeheuerlichsten Ehrgeiz und maßloser Selbstbewunderung. „Von
Kindheit auf verzehrte mich die Ruhmsucht; diese Leidenschaft wechselte
zu verschiedenen Zeiten meines Lebens ihren Gegenstand, aber ich war
nie einen Augenblick von ihr befreit," schrieb er selbst. Er war überzeugt,
die größten philosophischen, technischen, medizinischen Entdeckungen ge-
macht zu haben, die, auf unverstandenen, bunt zusammengewürfelten
Lehren und Gedanken anderer beruhend, die klarsten und anerkanntesten
Grundsätze der Wissenschaft auf den Kopf stellten. Alles versteht er; „die
Kriegskunst ist mir nicht fremd". Es ist der typische Größenwahn, aus dem
sich folgerichtig auch bei ihm der Verfolgungswahn einstellte, als seine
vermeintlichen Eeistesgroßtaten keine Anerkennung fanden. Wie es
typisch für gewisse Jrrsinnsfälle ist, schließt sich ihm die Mordsucht an.
Er ruft das Volk mit fanatischen Worten zur Ermordung aller politischen
Gegner auf. Im Dezember 1790 verlangt er 20 000 Köpfe, 1792 wünscht
er rund 270 000 Hinrichtungen. Seine Wahnsinnsraserei ist auf das
Höchste gestiegen; er leidet an Schlaflosigkeit, ständig trägt er ein mit Essig
getränktes Tuch um den Kopf; von einer juckenden Hautkrankheit ge-
peinigt, bringt er den größten Teil des Tages in der Badewanne sitzend
zu. Hier empfängt er seine politischen Freunde und Spitzel, ob Mann,
ob Weib, hier schreibt er seine blutrünstigsten Ausrufe für den ,,^mi
äu poupls", den „Volksfreund", hier entstand die fürchterliche summarische
Forderung nach 270 000 Hinrichtungen, die in einem fünfundzwanzig-
jährigen edelgesinnten, schwärmerisch veranlagten Mädchen aus guter
Familie in der fernen Normandie den Plan reifen ließ, Frankreich von
dieser „blutdürstigen Bestie" zu befreien. Charlotte Corday, aus adligem
Geschlecht, von dem großen Dichter Corneille abstammend, war eine
gute Republikanerin, wie sie sich selbst nannte, und sie wollte Ruhe für
das gemarterte Land. „Welch trauriges Volk, um eine Republik zu be-
gründen ! Man muß doch wenigstens den Frieden begründen, dann wird
sich schon eine Regierungsform finden, wie es die Umstände mit sich
bringen," so schreibt sie nach der Ermordung Marats aus dem Gefängnis.
Sie überschätzte die Tragweite ihrer aufopfernden Tat; die Geschehnisse
wurden dadurch nicht in ein ruhigeres Geleise gedrängt, wie sie es wollte.
Am Abend des 18. Juli 1793 gelang es ihr, eine Unterredung mit Marat
in seiner Wohnung in Paris herbeizuführen. Er empfing sie, wie stets
in der Badewanne sitzend, und erhielt den tödlichen Stoß, als er ihr,
die sich als seine Anhängerin ausgab, beruhigend versicherte, er werde
die von ihr gebrandmarkten Personen guillotinieren lassen. Von der
erregten Menge mißhandelt, später ins Gefängnis geschleppt und zum
Tode verurteilt, ging das junge Mädchen seinen letzter: Gang mit solcher
Seelenstärke und Würde, daß das Volk in Murren ausbrach, als der
Henker das abgeschlagene schöne Haupt mit der Hand schlug. Ihre an die
Selbstaufopferungen antiker Frauen gemahnende Tat ist in allen Sprachen
der Welt gefeiert worden; Klopstock und Jean Paul verherrlichten sie, und
Goethe nannte sie eine „Heroine". Am Vorabend ihrer Hinrichtung schrieb
sie an ihren geliebten Vater die tröstenden Worte Thomas Corneilles
(des Bruders des großen Corneille): „Verbrechen nur, nicht das Schafott
macht Schande", und niemand wird ihr die Berechtigung aberkennen,
diese Wahrheit auch für ihre Tat zu beanspruchen.
s Joas schießt den Pfeil der Erlösung (S. 476). — Das Leben der
Menschen zur biblischen Zeit war durchaus vom Glauben an übernatür-
liche Einwirkungen, an Zeichen und Wunder erfüllt. Deshalb mußten
auch Zauberkünste aller Art eine höchst bedeutsame Rolle spielen. Auf
Jahwes Geheiß standen Sonne und Mond in ihrem Lauf still, um für
Israel die günstige Entscheidung einer Schlacht zu ermöglichen. Wo nun
einmal der Glaube herrscht, daß Naturgesetze durch den Willen Gottes
aufgehoben werden können, da muß notwendig die menschliche Auffassung
entstehen, daß man Ausnahmen von der Regel von ihm erbitten oder
auch selbst durch übernatürliche Beeinflussung, durch „Zauber", herbei-
führen könne. Moses verwandelte vor dem Pharao, der die Juden nicht
aus Ägypten ziehen lassen wollte, Stäbe in Schlangen, er zauberte Heu-
schrecken herbei, und auf sein Wort teilten sich die Wasser des Roten
Meeres, so daß die Kinder Israels trockenen Fußes entfliehen konnten;
der sie verfolgende Agypterkönig kam mit den Seinen in den Fluten um.
Im zweiten Buch der Könige wird erzählt, daß Jahwes Zorn wider
das sündige Israel entbrannte; er gab die Abtrünnigen in die Hände der
Syrer, die die Juden mißhandelten und umbrachten. Da ging König
Joas zu dem Propheten Elisa und klagte und weinte vor ihm über das
traurige Schicksal der Juden, und der Prophet riet dem König zu einen:
Zauber. Joas sollte einen „Pfeil des Heils und der Erlösung" nach Osten,
in der Richtung nach dem Lande der Syrer, abschießen, um symbolisch die
Feinde zu schlagen. Dann sollte Joas auf Geheiß Elisas die „Erde
schlagen", auf daß die Syrer aufgerieben würden im Kampfe. Und Joas
schlug dreimal die Erde. Da ward der Prophet zornig und sagte zum
Könige: „Hättest du fünf- oder sechsmal geschlagen, so würdest du die
Syrer geschlagen haben, bis sie aufgerieben wären; nun aber wirst du sie
dreimal schlagen." Erst nach dem Tode Elisas und Joas' wurden die
Kinder Israels völlig befreit vom Joche der Syrer. Was hier vorging,
war eine Zauberhandlung, wie sie öfters in biblischen Berichten gemeldet
werden. Solche übernatürliche Wirkungen herbeizurufen, lag völlig im
Sinne der Menschen einer Zeit, die eine andere Auffassung von Natur-
vorgängen besaßen, deren Gesetzmäßigkeit erst spätere Geschlechter auf
Grund tieferer Einsicht in die Natur bezweifelten und ablehnten.