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DasBuchfürAlle
Heft 25
„Christ ist geboren," scholl es jubelnd auf. „Freue dich, freue
dich, o Christenheit!"
Da hob Mechthild betend die Hände zur Gottesmutter
empor. Alle ihre eigenen Wünsche sollten schweigen.
Das feierliche Amt war zu Ende.
Das „Dominus vobisoum" des Priesters gab den Gläubigen
das Geleit. Heinz und Freda schritten Arm in Arm. Mechthild
ging zwischen den Pflegeeltern. Wie ein Kind hielten sie die
beiden Alten an der Hand, und Mechthild dachte voll Wehmut:
„Vielleicht ist es das letzte Mal, das; wir gemeinsam zur Christ-
mette gewandert sind. Das Leben da draußen an des geliebten
Vaters Seite wird mich fordern. Aber immerdar wird auf
dem Wörth meine Heimat
sein."
Und ihr Auge umfing
liebevoll den See, über dessen
flimmerndeWeitejeht wieder
die Dörfler mit Fackeln und
Lichtern zogen, das alte Ma-
rientloster mit seiner weißen
Pelzverbrämung unddie win¬
zigen, ganz in Schnee ge¬
betteten Häuser.
Mechthild drückte fest die
Hände der beiden Alten.
Sie nickten stumm; sprechen
konnten sie nicht.
Im Hause aber begann
die Burgei gleich wieder zu
regieren. Alle mußten sie
jetzt aus „der Stuben, denn
das Christkind hätte da zu
tun," meinte sie mit ver¬
schmitztem Gesicht.
„Komm mit auf mein
Stübchen, Vaterl,"batMech-
thild, „bis Freda sich drüben
in der Kammer für die Nacht
eingerichtet; es ist doch be¬
quemer für sie wie im Gast¬
haus."
Sie öffnete die Tür der
kleinen Giebelstube, in der
Freda schon -öfter als Gast
auf Frauenwörth genächtigt
hatte, sich innig an die junge
Frau schmiegend.
„Wenn esklingelt, müss en
wir alle unten im Stübel
sein."
Freda schlang die Arme
um Mechthilds und ihres
Vaters Hals.
„Ihr beiden Lieben!"
sagte sie mit aufleuchtenden
Augen, dann trat sie in die
Kammer und schloß hinter
sich die Tür.
Einen Augenblick stand sie
still in der Mitte des beschei¬
denen Gemaches. Beide
Hände preßte sie auf das
klopfende Herz. War nicht
die ganze Kammer von Weih-
nachtsdust erfüllt? Klang
nicht überall ein jauchzendes:
„Halleluja?"
Mit gefalteten Händen
trat Freda an das kleine
Fenster. Vor ihr breitete
sich der See in seiner geheimnisvollen Winterherrlichkeit.
Die Fackeln und Lichter waren nun erloschen, nur aus der
alten Marienabtei brach noch Helles Licht und spielte auf
dem weißen Schnee. Hier und da blinkte in einer Hütte ein
Licht auf.
Die Weihnachtsglocken waren verhallt, in Fredas Herzen
aber klangen sie noch immer in seliger Weihnachtsbotschaft:
„Welt war verloren,
Christ ist geboren,
Freue dich, freue dich,
O Christenheit!"
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DasVuchsürAlle
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wolltest mir noch etwas sagen, Mechthild?" fragte Heinz
^'zärtlich, Mechthild zu sich auf das kleine Sofa niederziehend,
das die breite Wand in ihrem bescheidenen Stübchen einnahm.
Mit Wohlgefallen sah Heinz, wie nett das unscheinbare kleine
Gemach eingerichtet war, ganz anders als sonst die Bauern-
und Fischerstübchen auf dem Wörth. Mechthilds Sinn hatte
hier gewaltet. Der kleine Betaltar mit dem Muttergottesbild,
auf das die rote Lampe ihr ewiges Licht warf, war über und
über mit einer Fülle von Christrosen geschmückt; Mechthild
hatte sie selbst gepflückt, das Marienbild zu ehren. Ein großer
Strauß von weißen Christrosen stand auf dem runden Tisch,
den eine altmodische Lampe matt erhellte.
Mechthild hatte des Vaters Frage nicht beantwortet. Jetzt
aber schmiegte sie sich eng an ihn, und ihren lockigen Kopf an
seiner Brust bergend, sagte sie: „Ehe wir unter den Christ-
baum treten, Vater, muß ich dir etwas anvertrauen, aber du
darfst nicht böse sein, daß es in einem Augenblick geschieht, wo
du im Begriff stehst, dein Leben für immer an das Fredas
zu binden."
Bestürzt sah der Professor auf sein Kind. „Ist es dir nicht
recht, Mechthild?" fragte er besorgt. „Verargst du deinem Vater
ein so spätes Glück, dem Einsamen, der so lange darbte?"
„Das ist es nicht," wehrte Mechthild, und ihre Augen füllten
sich mit Tränen. „Doch ich habe eine Botschaft für dich, Vater,
die ich ausrichten muß, heute
noch."
Erstaunt forschte Heinz
in seines Kindes Zügen.
„Eine Botschaft?" fragte
er beklommen.
„Ja," gab das Mädchen
mit schwerer Stimme zurück.
„Eine Botschaft von einer
Toten, Vater."
Und sie stand auf und
schritt zu der alten buntbe-
malten Truhe, die alle ihre
kleinen Heiligtümer barg.
Feierlich nahm sie ein kleines
Gebetbuch aus der Lade.
Fest preßte sie es einen
Augenblick gegen ihre Brust,
dann sagte sie, auf das Buch
deutend: „An dem Tage,
Vater, da meine Mutter
starb, brachte sie mir, als
erstes und letztes Geschenk,
dies Buch; ich habe oft darin
mit tränenden Augen gelesen
und die Nähe meiner Mutter
gefühlt. Mit ihr bin ich im
Geiste durch den Garten der
frommen Lieder und heili-
gen Gebete gewandert und
habe den Flügelschlag ihrer
Seele gespürt, die oft so
streng zu mir war, und die
mich doch so geliebt hat.
Und in dieses Buch, dem
kostbarsten Schatz für mich,
hat die Mutter auch ein
letztes Wort für dich gelegt,
Vater. WenndieWeihnachts-
glockendurch die Lande hallen
und sie nicht mehr sei, sollte
ich es in deine Hände legen.
So nimm denn, Vater, mein
Geschenk, die letzten Worte
meiner armen Mutter."
Erschüttert hielt Heinz
den Brief Schwester Jrmin-
trauds in seiner Hand. Lang-
sam löste er das Siegel, und
er dachte dabei, wie er einst
vor langen Jahren täglich
in fieberhafter Spannung
einen Bries Ginas erwartet,
wie ereinsolchesBriefzeichen
heiß ersehnte, und nun, da
es endlich zu ihm kam, war
es der letzte Gruß einer
TotStt. iLchlusj s»I»I l
DasBuchfürAlle
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„Christ ist geboren," scholl es jubelnd auf. „Freue dich, freue
dich, o Christenheit!"
Da hob Mechthild betend die Hände zur Gottesmutter
empor. Alle ihre eigenen Wünsche sollten schweigen.
Das feierliche Amt war zu Ende.
Das „Dominus vobisoum" des Priesters gab den Gläubigen
das Geleit. Heinz und Freda schritten Arm in Arm. Mechthild
ging zwischen den Pflegeeltern. Wie ein Kind hielten sie die
beiden Alten an der Hand, und Mechthild dachte voll Wehmut:
„Vielleicht ist es das letzte Mal, das; wir gemeinsam zur Christ-
mette gewandert sind. Das Leben da draußen an des geliebten
Vaters Seite wird mich fordern. Aber immerdar wird auf
dem Wörth meine Heimat
sein."
Und ihr Auge umfing
liebevoll den See, über dessen
flimmerndeWeitejeht wieder
die Dörfler mit Fackeln und
Lichtern zogen, das alte Ma-
rientloster mit seiner weißen
Pelzverbrämung unddie win¬
zigen, ganz in Schnee ge¬
betteten Häuser.
Mechthild drückte fest die
Hände der beiden Alten.
Sie nickten stumm; sprechen
konnten sie nicht.
Im Hause aber begann
die Burgei gleich wieder zu
regieren. Alle mußten sie
jetzt aus „der Stuben, denn
das Christkind hätte da zu
tun," meinte sie mit ver¬
schmitztem Gesicht.
„Komm mit auf mein
Stübchen, Vaterl,"batMech-
thild, „bis Freda sich drüben
in der Kammer für die Nacht
eingerichtet; es ist doch be¬
quemer für sie wie im Gast¬
haus."
Sie öffnete die Tür der
kleinen Giebelstube, in der
Freda schon -öfter als Gast
auf Frauenwörth genächtigt
hatte, sich innig an die junge
Frau schmiegend.
„Wenn esklingelt, müss en
wir alle unten im Stübel
sein."
Freda schlang die Arme
um Mechthilds und ihres
Vaters Hals.
„Ihr beiden Lieben!"
sagte sie mit aufleuchtenden
Augen, dann trat sie in die
Kammer und schloß hinter
sich die Tür.
Einen Augenblick stand sie
still in der Mitte des beschei¬
denen Gemaches. Beide
Hände preßte sie auf das
klopfende Herz. War nicht
die ganze Kammer von Weih-
nachtsdust erfüllt? Klang
nicht überall ein jauchzendes:
„Halleluja?"
Mit gefalteten Händen
trat Freda an das kleine
Fenster. Vor ihr breitete
sich der See in seiner geheimnisvollen Winterherrlichkeit.
Die Fackeln und Lichter waren nun erloschen, nur aus der
alten Marienabtei brach noch Helles Licht und spielte auf
dem weißen Schnee. Hier und da blinkte in einer Hütte ein
Licht auf.
Die Weihnachtsglocken waren verhallt, in Fredas Herzen
aber klangen sie noch immer in seliger Weihnachtsbotschaft:
„Welt war verloren,
Christ ist geboren,
Freue dich, freue dich,
O Christenheit!"
Heft 25
DasVuchsürAlle
491
wolltest mir noch etwas sagen, Mechthild?" fragte Heinz
^'zärtlich, Mechthild zu sich auf das kleine Sofa niederziehend,
das die breite Wand in ihrem bescheidenen Stübchen einnahm.
Mit Wohlgefallen sah Heinz, wie nett das unscheinbare kleine
Gemach eingerichtet war, ganz anders als sonst die Bauern-
und Fischerstübchen auf dem Wörth. Mechthilds Sinn hatte
hier gewaltet. Der kleine Betaltar mit dem Muttergottesbild,
auf das die rote Lampe ihr ewiges Licht warf, war über und
über mit einer Fülle von Christrosen geschmückt; Mechthild
hatte sie selbst gepflückt, das Marienbild zu ehren. Ein großer
Strauß von weißen Christrosen stand auf dem runden Tisch,
den eine altmodische Lampe matt erhellte.
Mechthild hatte des Vaters Frage nicht beantwortet. Jetzt
aber schmiegte sie sich eng an ihn, und ihren lockigen Kopf an
seiner Brust bergend, sagte sie: „Ehe wir unter den Christ-
baum treten, Vater, muß ich dir etwas anvertrauen, aber du
darfst nicht böse sein, daß es in einem Augenblick geschieht, wo
du im Begriff stehst, dein Leben für immer an das Fredas
zu binden."
Bestürzt sah der Professor auf sein Kind. „Ist es dir nicht
recht, Mechthild?" fragte er besorgt. „Verargst du deinem Vater
ein so spätes Glück, dem Einsamen, der so lange darbte?"
„Das ist es nicht," wehrte Mechthild, und ihre Augen füllten
sich mit Tränen. „Doch ich habe eine Botschaft für dich, Vater,
die ich ausrichten muß, heute
noch."
Erstaunt forschte Heinz
in seines Kindes Zügen.
„Eine Botschaft?" fragte
er beklommen.
„Ja," gab das Mädchen
mit schwerer Stimme zurück.
„Eine Botschaft von einer
Toten, Vater."
Und sie stand auf und
schritt zu der alten buntbe-
malten Truhe, die alle ihre
kleinen Heiligtümer barg.
Feierlich nahm sie ein kleines
Gebetbuch aus der Lade.
Fest preßte sie es einen
Augenblick gegen ihre Brust,
dann sagte sie, auf das Buch
deutend: „An dem Tage,
Vater, da meine Mutter
starb, brachte sie mir, als
erstes und letztes Geschenk,
dies Buch; ich habe oft darin
mit tränenden Augen gelesen
und die Nähe meiner Mutter
gefühlt. Mit ihr bin ich im
Geiste durch den Garten der
frommen Lieder und heili-
gen Gebete gewandert und
habe den Flügelschlag ihrer
Seele gespürt, die oft so
streng zu mir war, und die
mich doch so geliebt hat.
Und in dieses Buch, dem
kostbarsten Schatz für mich,
hat die Mutter auch ein
letztes Wort für dich gelegt,
Vater. WenndieWeihnachts-
glockendurch die Lande hallen
und sie nicht mehr sei, sollte
ich es in deine Hände legen.
So nimm denn, Vater, mein
Geschenk, die letzten Worte
meiner armen Mutter."
Erschüttert hielt Heinz
den Brief Schwester Jrmin-
trauds in seiner Hand. Lang-
sam löste er das Siegel, und
er dachte dabei, wie er einst
vor langen Jahren täglich
in fieberhafter Spannung
einen Bries Ginas erwartet,
wie ereinsolchesBriefzeichen
heiß ersehnte, und nun, da
es endlich zu ihm kam, war
es der letzte Gruß einer
TotStt. iLchlusj s»I»I l