Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

DOI issue:
Heft 25
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44086#0489
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext


Technisches



Die Entstehung der Nähmaschine.
Zum hundertsten Geburtstag von Elias Howe.
Von Franz Voß.
ie es mit vielen großen Entdeckungen, die heute Ge-
meingut geworden sind, der Fall ist, so ist auch der eigent-
liche, der erste Erfinder der Nähmaschine nicht bekannt.
Im Jahre 1750 „soll" es bereits einmal eine solche gegeben haben.
Geschichtlich nachweisbar ist die Erfindung dieses nützlichen Geräts
erst im Jahre 1755, in dem der Engländer Thomas Saint in
London ein Patent auf eine solche Maschine erhielt. Sie nähte
mit einem einzigen Faden in Kettenstich, ein System, nach
dem auch alle seine Nachfolger arbeiteten, und zwar erfolglos
arbeiteten, wie es eben durch diese Nähart
bedingt ist, mit alleiniger Ausnahme des
Franzosen Thimonier, dessen Kettenstich-
maschine in den Jahren 1830 bis 1848 einige
Verbreitung fand, bis sie von den sich be-
droht fühlenden Pariser Schneidern zerstört
wurde. Erst mit der Erfindung der Schiffchen-
nähmaschine war der richtige Weg beschritten,
der der eisernen „Nähmamsell", wie man
diese Maschine Mitte des neunzehnten Jahr-
hunderts scherzhaft nannte, den Siegeslauf
durch die ganze Welt eröffnete. Auch hier
zeigt sich das bekannte Erfinderpech,' die
beiden ersten Männer, die in ihrer Näh-
maschine das Weberschiffchen als Träger des
zweiten Fadens anwandten, konnten sich mit
ihrer neuen Konstruktion nicht durchringen.
Sie geriet in Vergessenheit und mutzte erst
wieder von einem Glücklichen neu erfunden
werden, und das war der Amerikaner Elias
Howe, denn es ist nicht bewiesen, daß er
von den Schiffchenmaschinen seiner Vor¬
gänger, des Tirolers Madersberger und des Amerikaners Hunt,
wußte.
Am 9. Juli 1819 zu Spencer in Massachusetts in Nordamerika
als Sohn armer Leute geboren, arbeitete er 1839 als Mechaniker
in einer kleinen mechanischen Werkstätte in Boston, deren Eigen-
tümer, Ary Davis, als geschickter und erfinderischer Mann öfters
von Erfindern um Rat angegangen wurde. So wollten einst
zwei Leute, die eine Strickmaschine zu bauen beabsichtigten und
mit ihrer Erfindung nicht vorwärts kamen, seine Meinung über
ihre Idee hören. Kurz angebunden, riet ihnen Davis: „Wenn ihr
etwas Notwendiges und Nützliches tun wollt, so erfindet eine
Nähmaschine, für eure Strickmaschine bin ich nicht zu Hause."
Howe hörte das Gespräch mit an, und er, der sich bis dahin nie
mit dem Gedanken befaßt hatte, sann jetzt Tag und Nacht über
dieses Problem nach. Auch er experimentierte erst mit einer

Kettenstichnähmaschine, bis ihn seine Kenntnis von den Web-
stühlen auf den Gedanken brachte, es einmal mit einem Schiff-
chen in der Nähmaschine zu versuchen. Mit seiner ersten hölzer-
nen Maschine wurde er von seinen Freunden ausgelacht,' unver-
drossen verbesserte er sie aber weiter, und im April 1845 war
die erste eiserne Schiffchennähmaschine fertig. Er nähte für sich
und einen Freund einen Tuchanzug und trat mit seiner Maschine,
die dreihundert Stiche in der Minute leistete, an die Öffentlich-
keit, die — ihn verspottete, selbst als er bei einem Wettnähen
mehr schaffte als fünf geübte Näherinnen. Niemand bestellte
bei ihm eine Nähmaschine, die allerdings zwölfhundert Mark
kosten sollte. 1846 erhielt er indessen ein Patent auf seine Er-
findung, die er in der größten Not in England gar verpfänden
mußte. Gänzlich verarmt kehrte er nach Amerika zurück, indem
er sich als Matrose die Überfahrt verdiente.
Hier kam er gerade zur rechten Zeit an, denn
verschiedene „geschäftstüchtige" Amerikaner,
vor allem Isaac Moritz Singer, der Begrün-
der der Singer-Nähmaschinenfabrik, hatten
in seiner Abwesenheit seine Maschine nach-
geahmt und mit gewaltiger Reklame gut
eingeführt. Mit großer Mühe konnte Howe
mit seinen Ansprüchen durchdringen, und
die „schlauen" Nachahmer mußten ihn ent-
schädigen. Er starb im Jahre 1867 als
reicher Mann.
Überraschend schnell führte sich die Näh-
maschine in allen Ländern ein; als sie im
Krimkrieg (1853 bis 1856) bei der Herstel-
lung der Uniformen ihre praktische Probe
im großen abgelegt hatte, waren alle Be-
denken überwunden. Dank einer für Ame-
rika äußerst günstigen Zollpolitik konnte die
amerikanische Nähmaschinenindustrie auch in
Deutschland festen Fuß fassen, zum Schaden
der schnell und verdientermaßen aufblühen¬
den deutschen Industrie, die nur etwa ein Fünftel ihrer Er-
zeugung im Heimatgebiet absetzen konnte und volle vier Fünftel
an das Ausland abgibt. Für den in der Ausländerei befangenen
Deutschen muß es durchaus eine „amerikanische" Nähmaschine
sein, während der kluge Ausländer die deutsche kaust, die ihre
Ebenbürtigkeit, ja Überlegenheit bewiesen hat.
In der Jugendzeit der Nähmaschine, als es noch einer be-
sonderen Empfehlung bedurfte, sang man ihr sogar ein Loblied
als — Erziehungshilfsmittel. In einem Buch über die Näh-
maschine aus dem Jahr 1864 ist ihr „als außerordentlich schätz-
bares Hilfsmittel für die leibliche und geistige Erziehung der
Mädchen" ein ganzes Kapitel gewidmet. Man kann ihr aber
noch ein Verdienst anrechnen, das nämlich, zur Abschaffung der
Krinoline beigetragen zu haben, denn mit einem solchen Reif-
rock ließ es sich wirklich nicht auf dieser neuen Maschine näher.



Elias Howes Nähmaschine (1846).





MAiLUTtze-r,
1917: Sssucft 10410
1917: Glasest en vs rssrici
1615131
Lciiriftsn icosisriftsi.
fürstUeks V/ilrlungsr IVIinvrsiqusIIsn, ^Vilrlungsn.
 
Annotationen