Hest 26
DasBuchfüvAlle
505
unserer Ankunft. Die Anordnung überlasse ich natürlich dir,
das ist deine Sache."
„Wir? Uns?" wiederholte Ilse; in ihren Zügen dämmerte
etwas vom alten Trotz auf. „Habe ich denn schon ja gesagt?"
„Nein, aber du wirst es tun. Du passest ja doch nicht in
Phot. Atlantic Photo Lo., Berlin.
Militärische Überwachung der norddeutschen Wasserwege gegen den Schleichhandel.
und ihrer Langweile. Aber unser schönes, freies Land da
drüben, da gehört mein schönes, feines Bergkind hin, und da
will ich es auf Händen tragen und glücklich machen, so glücklich,
wie nur irgend ein Menschenkind werden kann; du weißt es ja
doch am besten, weshalb ich wieder nach Europa gekommen bin."
Gerhards sonst etwas rauhe und befehlshaberische Stimme
milderte sich zur vollsten Weichheit, als er jetzt fortfuhr: „Mein
liebes, kleines Nirlein, jetzt ist es genug mit dem Schmollen
und Trotzen. Wir
haben uns ja schon
liebgehabt, als du
noch ein kleines,
dummes Mädel ge-
wesen bist und ich
ein junger Bursche,
der da meinte, die
ganze Welt gehöre
ihm. Beinahe Tag
für Tag haben wir
uns gezankt und ge-
stritten und haben
es doch beide ge-
wußt, daß wir nicht
voneinander lassen
können, daß wir zu-
sammengehören für
das ganze Leben.
Was verlangst du
denn? Soll ich auf
die Knie nieder-
fallen vor dir? Im
Notfall bringe ich
auch das zustande,
wenn es nicht an-
ders geht."
Jetzt war es vor-
bei mit dem Trotzen
und Schmollen bei
Ilse. Sie beugte
sich zu ihm nieder,
und von ihren Lip-
pen kam nur ein
einziges Wörtchen:
„Gerhard!" Aber
es hatte den vollen Ton der Liebe, und sie widerstrebte auch
nicht mehr, als er sie jetzt in die Arme schloß und ihr Köpfchen
an seiner Brust barg. Er hatte es sich endlich doch erobert,
sein schönes Bergkind, das er nun mit sich hinausnehmen wollte
in die weite Ferne.
Mer die Alpenmatte hin flutete der Sonnenschein, und mit
ihm kam der Duft von all den tausend Blumen herüber, die
vielleicht erst heute morgen ihre Kelche dem Lichte erschlossen
hatten, als wollten sie auch ihren Glückwunsch abstatten, und
mitten hinein in dies junge Glück klang noch eine andere Stimme,
die sie freilich nicht hören konnten, der „Bergsegen" lag ja tief
unten im Walde, stundenweit entfernt, aber in ihrem Inneren
da sang und klang es wie das ferne, leise Rieseln einer Quelle,
da klang der alte Volks- und Verheißungsspruch auf, der ihnen
und ganz Engelberg nun doch zur Wahrheit geworden war:
Berg'egen allerwegen.
In der Kluft hör, was dich ruft.
Was so tief im Dunkeln schlief,
Zum Lichts hinauf
Steig auf! Steig auf!
nunmehr fünfzehnjährige Negerknabe war hoch aufgeschossen, er
trug noch die heimische Landestracht, denn der Konsul fand ein
harmloses Vergnügen darin, einen waschechten Neger unter
seiner Dienerschaft zu haben. Übrigens sprach er das Deutsche
fetzt fließend, verlief sich auch nicht mehr in Berlin und befand
sich sehr wohl in dem reichen Hause, dessen oberen Stock jetzt die Berliner Salons mit ihren Verbeugungen, ihrem Getratsch
Doktor Freydank und seine Frau bewohnten, während Bornholm
nach wie vor seine alten Räume innehatte. Seit der Geburt des
kleinen Jörg war Omar dessen bevorzugter und liebster Spiel¬
kamerad geworden. Er wurde auch stets bei dem heidnischen
Namen genannt, der fromme Paulus war beseitigt worden.
Gerhard behauptete, heute keine Eßlust zu haben, er müsse
sich irgendwie den Magen verdorben haben, und ließ ohne
weiteres das Mittagessen im Stich. Er hatte andere Dinge
im Kopfe, die ihm
wichtiger waren.
Aber er nahm sei¬
nen Weg nicht nach
dem See, wo die
Boote lagen, son¬
dern folgte seiner
„Spur", die ihn in
die Wälder nach
dem Bannwald hin¬
auf und über den
„Bergsegen" führte.
Auf dem Gipfel,
wo die Wälder en¬
deten, und von der
freien Matte,« die
sich dort ausbrei¬
tete, war der Blick
in das Hochgebirge
vollkommen frei,
und man hatte mit
Rücksicht auf die
Fremden, die jetzt
erst vom Engadin
herüberkamen und
Engelberg besuch¬
ten, hier eine Bank
errichtet. Gerhards
Spürsinn hatte ihn
richtig geleitet; dort
saß Ilse und blickte
hinaus auf die mit
Blumen übersäte
Matte. Schön war
das Mädchen ge¬
worden in den letz¬
ten Jahren, bildschön; er stand einige Minuten wie verloren
in ihren Anblick, ehe er sich bemerklich machte. Sie band
heute nicht Sträuße und Kränze; die Hände ruhten lässig im
Schoß, aber sie guckte auf, als er so plötzlich auftauchte und
ohne weiteres an ihrer Seite Platz nahm.
„Also hier bist du und nicht im Fischerhause. Hast du denn
wirklich geglaubt, ich würde dich nicht finden? Heute morgen
bist du mir wieder davongelaufen, aber hier geht es nicht höher
hinauf, und auf der Matte hole ich dich schon ein, hier heißt es
standhalten."
„Warum hast du mich denn eigentlich gesucht?" fragte
Ilse kühl.
„Zunächst wollte ich fragen, wie gefällt dir die neue Villa,
die ich im letzten Jahre für uns gebaut habe? Ich brachte euch
ja die Photographie davon mit."
„Sie ist sehr hübsch," war die ebenso kühle Antwort. Das
„für uns" überhörte sie.
„Ja, sie ist das Staatsgebäude unserer Kolonie, und die
Einrichtung wird dir auch gefallen. Ich habe sie in Berlin
ausgesucht, sie ist schon unterwegs, und wir finden sie dort bei
XXVI. 1919.
DasBuchfüvAlle
505
unserer Ankunft. Die Anordnung überlasse ich natürlich dir,
das ist deine Sache."
„Wir? Uns?" wiederholte Ilse; in ihren Zügen dämmerte
etwas vom alten Trotz auf. „Habe ich denn schon ja gesagt?"
„Nein, aber du wirst es tun. Du passest ja doch nicht in
Phot. Atlantic Photo Lo., Berlin.
Militärische Überwachung der norddeutschen Wasserwege gegen den Schleichhandel.
und ihrer Langweile. Aber unser schönes, freies Land da
drüben, da gehört mein schönes, feines Bergkind hin, und da
will ich es auf Händen tragen und glücklich machen, so glücklich,
wie nur irgend ein Menschenkind werden kann; du weißt es ja
doch am besten, weshalb ich wieder nach Europa gekommen bin."
Gerhards sonst etwas rauhe und befehlshaberische Stimme
milderte sich zur vollsten Weichheit, als er jetzt fortfuhr: „Mein
liebes, kleines Nirlein, jetzt ist es genug mit dem Schmollen
und Trotzen. Wir
haben uns ja schon
liebgehabt, als du
noch ein kleines,
dummes Mädel ge-
wesen bist und ich
ein junger Bursche,
der da meinte, die
ganze Welt gehöre
ihm. Beinahe Tag
für Tag haben wir
uns gezankt und ge-
stritten und haben
es doch beide ge-
wußt, daß wir nicht
voneinander lassen
können, daß wir zu-
sammengehören für
das ganze Leben.
Was verlangst du
denn? Soll ich auf
die Knie nieder-
fallen vor dir? Im
Notfall bringe ich
auch das zustande,
wenn es nicht an-
ders geht."
Jetzt war es vor-
bei mit dem Trotzen
und Schmollen bei
Ilse. Sie beugte
sich zu ihm nieder,
und von ihren Lip-
pen kam nur ein
einziges Wörtchen:
„Gerhard!" Aber
es hatte den vollen Ton der Liebe, und sie widerstrebte auch
nicht mehr, als er sie jetzt in die Arme schloß und ihr Köpfchen
an seiner Brust barg. Er hatte es sich endlich doch erobert,
sein schönes Bergkind, das er nun mit sich hinausnehmen wollte
in die weite Ferne.
Mer die Alpenmatte hin flutete der Sonnenschein, und mit
ihm kam der Duft von all den tausend Blumen herüber, die
vielleicht erst heute morgen ihre Kelche dem Lichte erschlossen
hatten, als wollten sie auch ihren Glückwunsch abstatten, und
mitten hinein in dies junge Glück klang noch eine andere Stimme,
die sie freilich nicht hören konnten, der „Bergsegen" lag ja tief
unten im Walde, stundenweit entfernt, aber in ihrem Inneren
da sang und klang es wie das ferne, leise Rieseln einer Quelle,
da klang der alte Volks- und Verheißungsspruch auf, der ihnen
und ganz Engelberg nun doch zur Wahrheit geworden war:
Berg'egen allerwegen.
In der Kluft hör, was dich ruft.
Was so tief im Dunkeln schlief,
Zum Lichts hinauf
Steig auf! Steig auf!
nunmehr fünfzehnjährige Negerknabe war hoch aufgeschossen, er
trug noch die heimische Landestracht, denn der Konsul fand ein
harmloses Vergnügen darin, einen waschechten Neger unter
seiner Dienerschaft zu haben. Übrigens sprach er das Deutsche
fetzt fließend, verlief sich auch nicht mehr in Berlin und befand
sich sehr wohl in dem reichen Hause, dessen oberen Stock jetzt die Berliner Salons mit ihren Verbeugungen, ihrem Getratsch
Doktor Freydank und seine Frau bewohnten, während Bornholm
nach wie vor seine alten Räume innehatte. Seit der Geburt des
kleinen Jörg war Omar dessen bevorzugter und liebster Spiel¬
kamerad geworden. Er wurde auch stets bei dem heidnischen
Namen genannt, der fromme Paulus war beseitigt worden.
Gerhard behauptete, heute keine Eßlust zu haben, er müsse
sich irgendwie den Magen verdorben haben, und ließ ohne
weiteres das Mittagessen im Stich. Er hatte andere Dinge
im Kopfe, die ihm
wichtiger waren.
Aber er nahm sei¬
nen Weg nicht nach
dem See, wo die
Boote lagen, son¬
dern folgte seiner
„Spur", die ihn in
die Wälder nach
dem Bannwald hin¬
auf und über den
„Bergsegen" führte.
Auf dem Gipfel,
wo die Wälder en¬
deten, und von der
freien Matte,« die
sich dort ausbrei¬
tete, war der Blick
in das Hochgebirge
vollkommen frei,
und man hatte mit
Rücksicht auf die
Fremden, die jetzt
erst vom Engadin
herüberkamen und
Engelberg besuch¬
ten, hier eine Bank
errichtet. Gerhards
Spürsinn hatte ihn
richtig geleitet; dort
saß Ilse und blickte
hinaus auf die mit
Blumen übersäte
Matte. Schön war
das Mädchen ge¬
worden in den letz¬
ten Jahren, bildschön; er stand einige Minuten wie verloren
in ihren Anblick, ehe er sich bemerklich machte. Sie band
heute nicht Sträuße und Kränze; die Hände ruhten lässig im
Schoß, aber sie guckte auf, als er so plötzlich auftauchte und
ohne weiteres an ihrer Seite Platz nahm.
„Also hier bist du und nicht im Fischerhause. Hast du denn
wirklich geglaubt, ich würde dich nicht finden? Heute morgen
bist du mir wieder davongelaufen, aber hier geht es nicht höher
hinauf, und auf der Matte hole ich dich schon ein, hier heißt es
standhalten."
„Warum hast du mich denn eigentlich gesucht?" fragte
Ilse kühl.
„Zunächst wollte ich fragen, wie gefällt dir die neue Villa,
die ich im letzten Jahre für uns gebaut habe? Ich brachte euch
ja die Photographie davon mit."
„Sie ist sehr hübsch," war die ebenso kühle Antwort. Das
„für uns" überhörte sie.
„Ja, sie ist das Staatsgebäude unserer Kolonie, und die
Einrichtung wird dir auch gefallen. Ich habe sie in Berlin
ausgesucht, sie ist schon unterwegs, und wir finden sie dort bei
XXVI. 1919.