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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 54.1919

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Heft 26
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608

DasVuchfüvAlle

Heft 26

Heft 26

DasVuchfüvAlle

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die Brust voller Hoffnungen und heimlichen Elückverlangens.
Er dachte an die Zeit, da Freda für immer sein wurde, an die
baldige Hochzeit in München, und daß er dann auch sein Kind
bei sich haben würde, sein über alles geliebtes Kind.
Gab es eigentlich so viel Seligkeit?
Alle Lichter in Frauenwörth waren erloschen. Nur von der
alten Marienabtei fiel noch ein
matter Lichtstreif auf den weißen
Schnee, als Heinz unter den
bereiften Linden entlang schritt
und seine Augen wehmütig den
alten Klostergarten streiften, wo
Schwester Jrmintraud in Frie¬
den schlief.
Als er dem Easthause näher
kam, gewahrte er durch die
Butzenscheiben mit den farbigen
Wappen noch Licht. Schnell
trat er, ehe er auf seine Stube
ging, noch einmal in den lieben
alten Raum, den trauten Maler¬
winkel zu grüßen, der ihn so
oft mit den Freunden zu feier¬
licher Runde vereinte. Ein Aus¬
ruf des Erstaunens entfuhr
seinem Munde, denn auf der
alten Holzbank an dem schweren
Eichentisch, das graue Haupt in
beide Hände gestützt, saß Sieg¬
linde Ebermeyer. Die Katze
schnurrte auf dem Ofen, und
das Rauschgold an der kleinen
Tanne in der Ecke der Gaststube
knisterte leise.
„Sie sind hier," rief der Pro¬
fessor, „und sind nicht zu uns
gekommen, um mit uns den
Christabend zu verleben?"
Die Malerin winkte energisch
ab. „Das fehlte noch, Pro¬
fessor, Ihnen die Stimmung zu
verderben. Nein, ich habe hier
auf Sie gewartet, nachdem ich
am Grab des Buben meine
stille Weihnacht gefeiert, die ich
hier dann fortgesetzt hab'."
Sie deutete auf das Wap¬
penschild, das an der Decke über
dem Tisch herabhing, und an
dessen unterem Ende eine Pa¬
lette baumelte. Das Wahrzeichen
der Künstler, die hier mitein¬
ander gelacht, gescherzt und ge¬
zecht hatten. Auf der inneren
Seite zeigte es das Künstler¬
wappen und auf der anderen
Seite das Bild des Gasthauses
unter den Linden auf Frauen¬
wörth, mit einem dürren Malers¬
mann, der auf der einen Seite ganz verhungert ins Haus
hineingeht und auf der anderen Seite wohlgenährt wieder
hinausspaziert. Über die Inschrift „Wenn d' wissen willst, wie
d' lebst in diesem Haus, so kommst du 'rein, so gehst hinaus,"
hatte Heinz oft seinen Spaß gehabt.
Der Professor reichte der Freundin die Hand. „Ich begreife,
daß man hier in der Stille, mit seinen Erinnerungen eine
wundervolle Weihnachtsfeier halten kann, in Gedanken an das
Jungvolk, das schon unter diesem Künstlerschild gesessen, und be-
sonders an den, der Ihrem Herzen so nahe stand.
Sieglinde wischte mit der Hand zornig über ihre feuchten Augen.

geheißen; in ihrer frischen Art brachte sie einen frohen Ton in
den Weihnachtstag, an dem doch zuweilen ein wehmütiger Ge-
danke an das nahe Scheiden aufstieg. Die Seligkeit Mechthilds
von gestern abend, als sie Walters Buch empfangen, war einem
Men, wehmütigen Ernst gewichen; sie war so mit sich selbst
beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkte, wie oft ihr Vater und

' " _ Freda über den See spähten
und ans Gestade liefen. Es kam
ihr nur zum Bewußtsein, daß
ihr Herz immer schwerer und
trauriger wurde, sie wußte selbst
nicht warum.
Am Vormittag war sie mit
Sieglinde, von Veits Grabe
kommend, in die Kirche ge-
gangen. Auch bei ihrem Besuch
im Kloster, gleich nach dem
Hochamt, um den frommen
Frauen Weihnachtsgaben für
die Armen zu bringen, war sie
nicht wie sonst bei der Sache
gewesen, so daß die Abtissin
Benedikta lächelnd drohte: „Ich
hoffe, Kind, du vergißt in der
Welt nicht, daß du hier stets
freudigen Herzens unsere Mech-
thild vom Wörth warst."
Warum war ihr Purpur-
glut so heiß ins Gesicht ge-
stiegen? Sehnte sie sich wirk-
lich fort von der Insel, die ihr
ans Herz gewachsen wie nichts
auf der Welt?
Immer hatte Mechthild das
sichere Gefühl gehabt, der heu-
tige Tag müsse ihr noch etwas
ganz Besonderes bringen. Und
nun neigte sich der Tag seinem
Ende zu, und alles war wie
zuvor. Leicht aufseufzend nahm
sie den Strauß weißer Christ-
rosen, die sie unter dem tie-
fen Schnee für das Grab der
Mutter gepflückt, und schritt
hinüber nach dem alten Kirch-
hof, wo heute morgen schon,
wie sie wußte, ihr Vater und
Freda geweilt.
Die sinkende Sonne streute
Rosen in den weißen Schnee
und brannte glutrot in die Fen-
sterscheiben der kleinen Häus-
chen, die unter ihrem Schnee-
häubchen friedsam in den flam-
mendenChristhimmel träumten.
Mechthild, in dunkler Pelzjacke
und Mützchen, sah reizend aus,
während sie mit tief gesenkten
Augen dahinschritt. Rotgolden
quoll das dicke Haar unter der schwarzen Pelzmütze hervor, die
langen Augenwimpern, die auf ihren Wangen lagen, hatten
goldene Säume. Lange stand sie an dem Grabe der Mutier
mit gefalteten Händen und tränendem Blick. Es war jo still
und feierlich auf dem alten Klosterfriedhof, wo schon so manche
der frommen Klosterfrauen schlief, die mit Schwester Jrmin-
traud hier gelebt und gelitten.
Kein Laut war in der Luft, keine Fußspur im weißen Schnee.
Plötzlich wurden Schritte laut, kurze, herrische, und als Mechthild
erschreckt aufsah, blickte sie in ein paar dunkle Augen, die fest
an ihrem Antlitz hasten blieben.

„Unsinn, Professor," sagte sie, „wir wollen nicht weich werden.
Der heutige Abend war den Toten geweiht, morgen aber, da will
ich mich gern mit Ihnen und den Ihren freuen, denn daß Ihnen
das Christkindl hold war, das liest man doch in Ihren Augen."
„Ich habe mich mit Freda verlobt," sagte der Professor und
sah die Malerin verklärten Blickes an.

Bub so sehr geliebt. Sie sprachen auch von der Zukunft, vom
künftigen Aufenthalt in München, und Heinz hatte die Gewiß-
heit, daß sein junges Weib und Mechthild keine treuere Seele
dort finden würden als die alte Malerin, die sich ja oft recht
grob gab, deren Herz aber so lauter wie Gold war, ein Herz,
nicht umzubringen in der Aufopferung für Freunde.

Phoiographleverlag der Phoiographiw-n U»kn in Atunqen.

Und Frauenwörth lag still und verträumt im weißen Schnee.
Alles schlief — nur Mechthild vom Wörth nicht. Die großen,
tiefgründigen Augen suchten die schimmernde Weite. Wie eine
Glocke tönte unausgesprochene Sehnsucht in Mechthilds jungem
Herzen, das doch selber nicht wußte, wohin seine Sehnsucht ging.

Mit dem Strom.
„Donnerwetter," ries sie fröhlich, „das ist aber ein gescheites
Stück'l, Professor. Na, da wünsche ich tausendmal Glück! Daß es
so kommen würde, das habe ich schon im Sommer gewußt. Man
muß sich nur Zeit lassen."
Dann traten noch die Julie und die Wirtsmarie an mit
einem riesigen Humpen Weihnachtspunsch für Sieglinde und
den Professor, und die Freude lachte ihnen aus den dicken Ge-
sichtern, daß der Professor den Wörth nicht vergessen hatte >
und rechtzeitig zum Christfest gekommen war.
Lange noch saß Heinz mit Sieglinde an dem alten Eichentisch;
sie plauderten von Veit und der sonnigen Mechthild, die der

(7tV>it blankem Rauhfrost brach der erste Lhristtag an. Wie von
^unzähligen Diamanten überstreut, funkelte der See mit
Herrenchiemsee und Frauenwörth. Festlich und köstlich war der
Wintertag. Sieglinde ward herzlich im Fischerhause willkommen


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