H-ftSS
DasBuchfürAlle
Beschämendes oder Erniedrigendes darin finden, getäuscht zu
werden, wenn man im guten Glauben so gehandelt hat, wie
man's für recht hält."
„Darüber hat sich auch keines von uns Vorwürfe gemacht,"
erwiderte Mar. „Nicht einmal meine Mutter, die doch für ihr
Entgegenkommen nur Abweisung und Ungezogenheiten er-
fahren mutzte. Ich mützte mir Vorwürfe machen, weil ich
so duMm und so verblendet war, mich in die hübsche Larve
zu verlieben. Ich möchte wissen, ob's wirklich wahr ist, datz
alle Männer den Kopf verlieren, wenn sich's um ein hübsches
Gesicht, um fremdartiges Getue und um ein paar schöne Augen
handelt! Ein Trost
wär's freilich nicht
oder doch nur ein recht
mäßiger. Hier, auf
dieser Stelle gab ich
mir Mühe, ihr die
Legende und die Pro¬
phezeiung vom Elben-
born verständlich zu
machen; sie hat über
den Unsinn — wie sie
es nannte — gelacht
und gespottet und
hatte doch eine, wie
ich dachte, abergläu¬
bische Furcht davor,
den Becher zu sehen.
Sie war nicht dazu zu
bewegen! Und denk
dir, Ilse, Onkel hat
ihn am Tage zuvor,
ehe alles ans Licht
kam, dem Doktor Rö¬
mer gezeigt, und da —
du hast ja den Becher
auch gesehen und das
in ihn gefahte Herz
von Rubin wegen sei¬
ner hellroten, leuch¬
tenden Farbe bewun¬
dert, nicht wahr? Nun,
als Onkel dem Doktor
den Becher zeigte, war
der Rubin so dunkel,
datz der Stein fast
einem schwarzen Ob¬
sidian glich. Ist das
nicht seltsam? Und
gestern konnte Onkel
der Versuchung nicht
widerstehen und holte
den Becher aus dem
Fach, in dem er ver-
wahrt wird, wieder hervor. Der Rubin war wieder so hell, wie
wir alle ihn kennen. Nun, es kann darüber jeder denken, wie
er will, aber ich habe doch zuviel Elbenbornsches Blut in den
Adern, um nicht darin eine Bestätigung der Prophezeiung zu
erblicken. Hält' ich den Becher gesehen, während die falsche
Pilar noch hier war, wer weiß — wer weiß! Ach, Ilse, es ist
doch schön, datz man mit dir über all das sprechen, datz ich dir
beichten kann, wie verrannt, wie kopflos ich war! Wäre die
Hand nicht gewesen, die mich immer aus dem Morast dieses
Wirrsals herauszuziehen versuchte ..."
„Welche Hand?" fragte Ilse erstaunt, als er kurz abbrach.
„Ja, welche Hand?" wiederholte er verträumt. „Ich weitz
es ja nicht. In dem Dunkel der Leidenschaft, die mich ge-
packt hatte, sah ich immer eine Hand, die sich nach mir aus-
streckte, eine Hand, die mir aus dem Pfuhl helfen wollte.
Eine Hand, die ich nachts, im Traume immer noch sehe, die ich
malen könnte, so deutlich ist sie geworden. Ich sehe sie, wenn
ich die Augen zumache wie eben jetzt, und wenn ich sie
wieder öffne, dann ist sie wieder weg — nein, sie ist nicht weg!"
jauchzte Mar auf wie ein Blinder, der plötzlich sehend geworden
ist- „Ilse, es ist ja deine Hand, deine! O, ich blinder Esel, der
ich war! Ilse, liebe, liebe Ilse!"
Und ehe Ilse fragen konnte, ob ihr alter Spielkamerad über-
geschnappt sei, hatte er sie mit beiden Armen umschlungen und
kühte sie angesichts des Truchsessen und seiner Elfe auf den
roten Mund.
„Aber Mar, was fällt dir ein?" rief Ilse und wollte sich los-
machen; dabei stietz sie
ihren Hut ins Quell-
becken, der durch den
Abzug des Wassers in
den See trieb.
„Ich latz dich nicht
mehr los, für diese?
Leben nicht mehr!"
jubelte Mar glückselig.
„Nachdem ich so lange
hinter einem Irrwisch
dreingelaufen bin und
nun plötzlich die Sonne
sehe, mützte ich ein
Narr sein, wenn ich
wieder in den Nebel
zurückkehreu wollte.
Dich liebe ich, Ilse,
dich hab' ich immer ge-
liebt, und deine Hand
war's, die mir aus
dem Sumpf heraus-
helfen wollte, mir her-
ausgeholfen hat! Ilse,
sag, sag schnell, datz
du mir gut bist, datz
du mich liebst! Deine
Hand war's, die ich
immer gesehen habe.
Du hast sie mir" im
Traum gereicht, nicht
wahr?"
„Datz ich dich liebe,
soll ich dir sagen? Lie-
ber Gott, ich habe nie
einen anderen geliebt
als dich — aber was
nutzt denn das, wenn
du nun doch jetzt fort
mutzt?"
„Ich komme ja bald
wieder. Ach, Ilse, war-
um war ich nur solch
ein Heupferd? Sag, warum? Gib mir wenigstens den Trost
und sag mir, datz du auch eins warst!"
„Nein, den Trost kann ich dir nicht geben," erwiderte sie
ernst. „Soviel will ich dir aber sagen, datz ich's erst empfunden
hab', wie's mit mir steht, wie lieb ich dich habe, als du nur Augen
hattest — du weitzt ja für wen. Da wutzte ich's, datz du mir
mehr warst als mein Eespiel aus Kindertagen. Ich war nicht
eifersüchtig, Mar, ich konnte es ja so gut begreifen. Sie war
schön, und es wäre ja auch zu wünschen gewesen, wenn du
und sie ein Paar wurdet, aber gegönnt habe ich dich ihr nicht!
Nein, denn ich kannte dich und durchschaute sie oder hatte doch
in ihrer Nähe immer das Gefühl wie damals im Wald, als ich
vor der Kreuzotter stand. Ich hab's gewutzt, datz sie dich unglück-
lich machen würde, und das, das war bitter!"
„Also sind wir beide durch Nacht zum Licht gelangt," sagte
er innig und schmiegte sein Gesicht an ihr goldiges Haar.
Die letzte Seite des Frkedensvertrags mit den Unterschriften der beiden
deutschen Delegierten.
DasBuchfürAlle
Beschämendes oder Erniedrigendes darin finden, getäuscht zu
werden, wenn man im guten Glauben so gehandelt hat, wie
man's für recht hält."
„Darüber hat sich auch keines von uns Vorwürfe gemacht,"
erwiderte Mar. „Nicht einmal meine Mutter, die doch für ihr
Entgegenkommen nur Abweisung und Ungezogenheiten er-
fahren mutzte. Ich mützte mir Vorwürfe machen, weil ich
so duMm und so verblendet war, mich in die hübsche Larve
zu verlieben. Ich möchte wissen, ob's wirklich wahr ist, datz
alle Männer den Kopf verlieren, wenn sich's um ein hübsches
Gesicht, um fremdartiges Getue und um ein paar schöne Augen
handelt! Ein Trost
wär's freilich nicht
oder doch nur ein recht
mäßiger. Hier, auf
dieser Stelle gab ich
mir Mühe, ihr die
Legende und die Pro¬
phezeiung vom Elben-
born verständlich zu
machen; sie hat über
den Unsinn — wie sie
es nannte — gelacht
und gespottet und
hatte doch eine, wie
ich dachte, abergläu¬
bische Furcht davor,
den Becher zu sehen.
Sie war nicht dazu zu
bewegen! Und denk
dir, Ilse, Onkel hat
ihn am Tage zuvor,
ehe alles ans Licht
kam, dem Doktor Rö¬
mer gezeigt, und da —
du hast ja den Becher
auch gesehen und das
in ihn gefahte Herz
von Rubin wegen sei¬
ner hellroten, leuch¬
tenden Farbe bewun¬
dert, nicht wahr? Nun,
als Onkel dem Doktor
den Becher zeigte, war
der Rubin so dunkel,
datz der Stein fast
einem schwarzen Ob¬
sidian glich. Ist das
nicht seltsam? Und
gestern konnte Onkel
der Versuchung nicht
widerstehen und holte
den Becher aus dem
Fach, in dem er ver-
wahrt wird, wieder hervor. Der Rubin war wieder so hell, wie
wir alle ihn kennen. Nun, es kann darüber jeder denken, wie
er will, aber ich habe doch zuviel Elbenbornsches Blut in den
Adern, um nicht darin eine Bestätigung der Prophezeiung zu
erblicken. Hält' ich den Becher gesehen, während die falsche
Pilar noch hier war, wer weiß — wer weiß! Ach, Ilse, es ist
doch schön, datz man mit dir über all das sprechen, datz ich dir
beichten kann, wie verrannt, wie kopflos ich war! Wäre die
Hand nicht gewesen, die mich immer aus dem Morast dieses
Wirrsals herauszuziehen versuchte ..."
„Welche Hand?" fragte Ilse erstaunt, als er kurz abbrach.
„Ja, welche Hand?" wiederholte er verträumt. „Ich weitz
es ja nicht. In dem Dunkel der Leidenschaft, die mich ge-
packt hatte, sah ich immer eine Hand, die sich nach mir aus-
streckte, eine Hand, die mir aus dem Pfuhl helfen wollte.
Eine Hand, die ich nachts, im Traume immer noch sehe, die ich
malen könnte, so deutlich ist sie geworden. Ich sehe sie, wenn
ich die Augen zumache wie eben jetzt, und wenn ich sie
wieder öffne, dann ist sie wieder weg — nein, sie ist nicht weg!"
jauchzte Mar auf wie ein Blinder, der plötzlich sehend geworden
ist- „Ilse, es ist ja deine Hand, deine! O, ich blinder Esel, der
ich war! Ilse, liebe, liebe Ilse!"
Und ehe Ilse fragen konnte, ob ihr alter Spielkamerad über-
geschnappt sei, hatte er sie mit beiden Armen umschlungen und
kühte sie angesichts des Truchsessen und seiner Elfe auf den
roten Mund.
„Aber Mar, was fällt dir ein?" rief Ilse und wollte sich los-
machen; dabei stietz sie
ihren Hut ins Quell-
becken, der durch den
Abzug des Wassers in
den See trieb.
„Ich latz dich nicht
mehr los, für diese?
Leben nicht mehr!"
jubelte Mar glückselig.
„Nachdem ich so lange
hinter einem Irrwisch
dreingelaufen bin und
nun plötzlich die Sonne
sehe, mützte ich ein
Narr sein, wenn ich
wieder in den Nebel
zurückkehreu wollte.
Dich liebe ich, Ilse,
dich hab' ich immer ge-
liebt, und deine Hand
war's, die mir aus
dem Sumpf heraus-
helfen wollte, mir her-
ausgeholfen hat! Ilse,
sag, sag schnell, datz
du mir gut bist, datz
du mich liebst! Deine
Hand war's, die ich
immer gesehen habe.
Du hast sie mir" im
Traum gereicht, nicht
wahr?"
„Datz ich dich liebe,
soll ich dir sagen? Lie-
ber Gott, ich habe nie
einen anderen geliebt
als dich — aber was
nutzt denn das, wenn
du nun doch jetzt fort
mutzt?"
„Ich komme ja bald
wieder. Ach, Ilse, war-
um war ich nur solch
ein Heupferd? Sag, warum? Gib mir wenigstens den Trost
und sag mir, datz du auch eins warst!"
„Nein, den Trost kann ich dir nicht geben," erwiderte sie
ernst. „Soviel will ich dir aber sagen, datz ich's erst empfunden
hab', wie's mit mir steht, wie lieb ich dich habe, als du nur Augen
hattest — du weitzt ja für wen. Da wutzte ich's, datz du mir
mehr warst als mein Eespiel aus Kindertagen. Ich war nicht
eifersüchtig, Mar, ich konnte es ja so gut begreifen. Sie war
schön, und es wäre ja auch zu wünschen gewesen, wenn du
und sie ein Paar wurdet, aber gegönnt habe ich dich ihr nicht!
Nein, denn ich kannte dich und durchschaute sie oder hatte doch
in ihrer Nähe immer das Gefühl wie damals im Wald, als ich
vor der Kreuzotter stand. Ich hab's gewutzt, datz sie dich unglück-
lich machen würde, und das, das war bitter!"
„Also sind wir beide durch Nacht zum Licht gelangt," sagte
er innig und schmiegte sein Gesicht an ihr goldiges Haar.
Die letzte Seite des Frkedensvertrags mit den Unterschriften der beiden
deutschen Delegierten.