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D a s B li ch f ü r All e

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Die Strobecker Schuljugend beim Unterricht im theoretischen Schachspiel.



nie vergessen zu haben. Auf der ganzen Welt ist Ströbeck das einzige Dorf,
wo jnng und alt, Männer und Frauen, ja sogar die Kinder beiden Ge-
schlechtes eifrig Schach spielen. Dort
gibt es einen Männer- und Frauen¬
schachklub und ein Gasthaus „Zum
Schachspiel", in dern ernsthaft gespielt
wird. Im Ströbecker Amtsiegel führt
man einen schwebenden Adler und
ein Schachbrett, neben dem sich König
und Königin befinden, und auf dem
Kirchturm und dem von Sandsteinen
erbauten, mit Ziegeln gedeckten vier¬
eckigen Turm, dem sogenannten
„Schachturm", drehen sich als Wahr¬
zeichen Wetterfahnen im Winde, die
gleichfalls als Schachbrett gebildet
sind. Wie kam es nun, dasz in einem
Dorfe das edle Spiel jung und alt
dauernd in seinen Bann gezogen
hat?
Geschichtlich ist aus alter Zeit nichts
bezeugt. Aber in zwei Sagen erhielt
sich einiges, worüber der Halberstäd-
ter Lehrer Karl Elis in seinen 1843
herausgegebenen „Kurzgefaszten Nachrichten von Ströbeck" berichtete. Strö-
beck wird zuerst im Jahre 1004 in einer Urkunde des Kaisers Heinrich II.

Eine Schachpartie während der Arbeitspause beim Hufschmied.

worin er Meister war. Mit Lust und Eifer benützten die Bauern diese Ge-
legenheit, ein so schönes Spiel zu lernen, und bald kannte man im Dorfe
kein anderes Spiel mehr."
Nach einer zweiten Sage verhielt
cs sich so: „Als Bischof Burchard II.,
anch Bucko genannt, im Jahre 1068
auf seinem Heereszuge gegen die
Wenden einen vornehmen Wenden
gefangennahm, befahl er, ihn in den
Ströbecker Turm zu sperren, und lieh
den Wenden sagen, er wolle ihn so lange
gefangenhalten, bis sie die Friedens-
bedingungen erfüllten und ein an-
sehnliebes Lösegeld schickten. Dieser
Gefangene lehrte die Ströbecker das
Schachspiel."
Der geschichtliche Kern dieser beider:
Sagen mag in einer von dem Magde-
burger Pastor Koch in seiner 1801 ge-
druckten „Schachspielkunst" erwähnten
Überlieferung enthalten sein. Danach
soll ein Kapitular des Halberstadter
Domstifts, der zur Zeit, als dies noch die
Regierung besah, mit dem Bischof zer¬
fallen war und sich nach Ströbeck zurückzog, die Bauern mit dem Schach-
spiel bekannt gemacht haben. Er ward später selbst Bischof, ermunterte die

genannt. Die eine Sage
lautet: „Der Bischof Ar-
nulf von Halberstadt be-
kam 1011 vomKaiser Hein-
rich II. einen vornehmen
Staats- und Kriegsgefan-
genen, den Grafen Gun-
cellin, überwiesen, damit
er ihn, ohne dass es je-
mand erfahre, in dem alten
Turme von Ströbeck, der
noch jetzt am Nordende des
Dorfes steht, so lange ge-
fangenhalte, bis er dem Bi-
schof weitere Befehle er-
teilen würde. Die Bauern
mußten nun immer ab-
wechselnd bei Euncellin
Wache halten, und da sie
glimpflich mit ihm um-
gingen, so unterhielt er
sich freundlich mit ihnen,
schnitzte aus Langeweile
Schachfiguren, fertigte ein
Schachbrett an rind ward,
um sich die Zeit besser
vertreiben zu können, nun
der Lehrer im Schachspiel,

A. Frankl


Der historische Schachturm in Ströbeck.

Ströbecker, das Spiel wei-
terzupflegen, und befreite
sie unter dieser Bedingung
von manchen Abgaben.
Dieser Bischof scheint nun
allmählich mit dem noch
in einem Wiegenlied in
der Erinnerung lebendig
gebliebenen „Bucko vou
Halberstadt" verwechselt
worden zu sein.
Die Ströbecker besaßen
das Recht, jedem nenen
Landesherrn, der in ihren
Ort kam, auf freiem Felde
auf einem Tisch eine Par-
tie Schach anbieten zu dür-
fen. Der Kurfürst Fried-
rich Wilhelm schenkte am
13. Mai 1651 den Strö-
beckern ein „Schach- und
Kurierspiel" samt silbernen
nnd vergoldeten sowie el-
fenbeinernen Figuren. Das
Brett und die Elfenbein-
figuren sind noch im Besitz
der Ströbecker Gemeinde,
die silbernen Figuren gingen
 
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